"The Favourite" 2018 (Regie: Georgios Lanthimos)
Wir haben es nun doch in "The Favourite" geschafft. Der Ansturm im Kino war so groß, dass der Film extra in einen größeren Saal verlegt wurde, der dann auch ausverkauft war. Scheinbar pushen die 10 Oscar-Nominierungen schon erheblich so einen Film.
Handlung: Abigail Hill (Emma Stone) kommt an den Hof von Queen Anne (Olivia Colman), wo sie anfangs trotz ihrer Verwandtschaft mit Lady Marlborough (Rachel Weisz) niedere Dienste verrichten muss. Lady Marlborough beherrscht die Königin, obwohl sich diese durch die herrische Art der Lady oft in die Ecke gedrängt und gedemütigt fühlt. Eigentlich neigt die Königin eher den Tories unter der Führung Robert Harleys (Nicholas Hoult) zu, während sie aber von Lady Marlborough gedrängt wird die Whigs um Godolphin (James Smith) zu unterstützen, die für eine Verlängerung des Krieges stimmen. Lord Marlborough (Mark Gatiss) ist ein gefeierter Held, aber Lady Marlborough wäre durchaus bereit ihn zu opfern, wenn es ihren Zielen nützt. Abigail hingegen erobert mit ihrer anfänglich gütigen Art zusehends das Herz der Königin. V.a. dass Abigail sich auch auf praktische Dinge wie die Heilkunde versteht, nutzt ihr bei der immer kranken Königin, die nicht nur an der Gicht leidet, sondern auch durch ihre ungesunde Ernährung stark eingeschränkt ist. Schließlich gelingt es Harley mit Gewalt und Versprechungen Abigail auf seine Seite zu ziehen und Abigail begreift, dass sie nur mit harten Bandagen am Hof weiterkommt und zumindest für den Moment Lady Marlborough außer Gefecht setzen muss. Schließlich erreicht sie alles, die Gunst der Königin und eine Hochzeit mit Harleys Parteigänger Samuel Masham (Joe Alwyn), was ihrer Position bei Hofe nutzt.
Was hat mir nun an dem Film gefallen? Natürlich bekommen die drei Hauptdarsteller Weisz, Colman und Stone nicht ganz umsonst ihre Oscar-Nominierungen und v.a. Olivia Colman brilliert in ihrer Rolle. Die Einteilung des Films in Kapitel und die 18.Jh.-Schrift bei Vor- und Abspann geben ihm eine besondere Note. Wenn man denkt, dass ein Kammerspiel, welches sich primär um 3 Frauen dreht, etwas arg langweilig ist, hat man nur zum Teil richtig geraten. Auch wenn die Intrigen höchst durchschaubar und keineswegs raffiniert sind, machen doch die Dialoge Spaß und die Rollen sind den Darstellerinnen auf den Leib geschneidert. Bis in alle Winkel wurde das Dilemma der traurigen, kranken Queen Anne durchleuchtet, die nicht nur unter dem Tod der zahlreichen Kinder litt. Die Darstellerin der Lady Marlborough hätte aber gerne auch noch etwas schöner sein können oder überhaupt der Person irgendwie ähneln können. Denn so wie es ist, wirkt sie von vornherein diabolisch und berechnend (vielleicht daher die dunklen Haare - hier die echte:
Sarah Churchill, Duchess of Marlborough - Wikipedia )
Die Dialoge sind geschliffen und m.E. durchweg gelungen. Auch das Drehbuch, bei aller offensichtlicher Freiheit mit Mordanschlägen etc., hält den Zuschauer auf Trab, auch wenn ich den Film dennoch ein wenig überdehnt empfand.
Ganz drollig die Betonung auf die illustren Freizeitaktivitäten der snobistischen Adligen wie Entenrennen oder sich mit Obst zu beschmeißen.
Was missfiel mir. Trotz des positiven Gesamteindrucks doch eine ganze Menge.
Die Kostüme orientieren sich mit ihrem Schwarz-Weiß-Schema stark an "Der Kontrakt des Zeichners". Die Spitzen sind einfach furchtbar, wenn auch vielleicht ein Stilmittel. Die Herrenkleidung wirkt doch sehr pimfig - wir sprechen hier vom Königshof und nicht von einer Versammlung der Gentry. Man sieht praktisch null Stickereien, auch keine Orden etc. an den Herren. Die Justaucorps mit Knöpfen an beiden Vorderkanten ergeben keinen Sinn. Die Waffen etc. sind erkennbar unpassend (grobe Degen an Höflingen, simpelste Jagdgewehre an Lady Marlborough). Auf die Dauer hat's mich einfach nur noch genervt eine Hauptrolle zum x-ten Mal im selben Kleid zu sehen, selbst wenn es ein Stilmittel sein soll, dass Lady Marlborough immernoch im blutbespritzten Jagdjäckchen rumläuft, statt nach Wochen mal ein anderes zu haben.
Die eingestreuten gewollt witzigen Passagen wie der alberne Tanz von Lady Marlborough mit Mr. Masham fand ich unnötig und ein bisschen nervtötend. Vielleicht sollte ja auch die asiatische Musikerin im Kammermusikensemble auf dem Schlosshof so ein "Witz" sein.
Die Nebenrollen haben mich teilweise erheblich gestört. So wirkt Godolphin einfach wie ein alter Mann ohne jeglichen Esprit. Noch schlimmer aber Mark Gatiss als Marlborough, der in keiner Minute irgendwie glaubhaft den genialen Taktiker darstellt. Er scheint einfach unbeholfen. Man hätte sich da getrost an John Neville orientieren dürfen ("The First Churchills" 1969). Gatiss wirkt einfach wie ein deplatzierter Komödiant in einer ernsthaften Rolle.
Die Ausstattung ist durchwachsen. Am unbrauchbarsten fand ich allerdings den Drehort. Beinahe der gesamte Film spielt nur bei Hofe, der in Hatfield House verlegt wurde. Das führt dazu, dass das Schloss vor allem in der Totalen viel zu klein ist. Wer Windsor oder Hampton Court mal gesehen hat, weiß was ich meine. Das schlägt sich dann auch in Szenen nieder wo bspw. die Kutsche offenbar Probleme hat auf dem viel zu kleinen Hof zu wenden. Hätte man erst eine königliche Equipage genommen, wäre es noch gravierender gewesen. Die Räumlichkeiten passen vielleicht zu einem Grafen oder Herzog, aber eben nicht zur Queen. Das gibt dem Film eine regelrecht klaustrophobische Wirkung, wenn ein "Hofball" in eine viel zu kleine Hall gepresst wird. Ein Hofball mit 10-12 Paaren, die tanzen können? Oh no! My goodness.
Etwas skurril, dass das Familienleben der Marlboroughs vor allem im Gegensatz zu der letztlichen Kinderlosigkeit von Queen Anne garnicht vorkommt.
Insgesamt ein Film, der gut ist und wohl sehr stark von 3-4 Darstellern lebt, aber auch zahlreiche Schwächen hat. Meiner besseren Hälfte hat er besser als mir gefallen.
7 von 10 Sticheleien.