Johne meint infolge des Großen Krieges wäre Rom von der indirekten Kontrolle zur direkten übergegangen - dafür spricht, dass Ahenobarbus erfolglos sich in die Rechtssprechung der Cherusker eingemischt hat, die offensichtlich eigenständig eine (römerfreundliche?**) Fraktion verbannt hatten, während Varus bei den Cheruskern Recht sprach (Johne, Die Römer an der Elbe, 2006, S.128). Kehne spricht von einer Amicata mit den Cherusci von 7 v.Chr. bis 1 n.Chr. bis zum Ausbruch des Immensum Bellum - ohne förmlichen Staatsvertrag - die geräumten Militärstandorte rechtrheinisch lassen darauf schließen, dass es bei den Cheruskern keine Besatzungstruppen gab, nach dem Krieg und der erfolgten Kapitulation (deditio) wurden die Cherusci nach Kehne Foederati, und nahmen damit eine zentrale Stellung in der römischen Germanienpolitik ein, entrichteten Abgaben) und stellten Hilfstruppen (Kehne, S.20-21, 2008).
** nach Auffassung von Timpe, Kehne und Wolters war eher die prorömische Fraktion an der Macht, die durch die römische Suprematie gereizt wurde (Timpe 1967, Will, 1987, Wolters 1990
Ich will die Okkupationspolitik Roms in Germanien und ihren Wechsel von indirekter Kontrolle zur direkten Kontrolle mit der Okkupationspolitik in Gallien vergleichen. Meiner Ansicht nach ähnelt die römische Politik in einigen Punkten dem gallischen Vorbild, und basiert in ähnlichen "außenpolitischen" römischen Rechtsvorstellungen.
Cäsar argumentiert in Gall. I,45 gegenüber dem suebischen Heerkönig Ariovist historisch, als dieser die römische Einmischung im freien Gallien infrage stellt (Gall I,44). Fabius Maximus habe 121 v.Chr. die Arverner und Rutener besiegt, daher hätte das römische Volk das höchste Recht in Gallien zu herrschen. Rom habe den Arvernern verziehen, weder Tribut aufgelegt, noch zur Provinz gemacht, und ihnen ihre eigene Verfassung gelassen.
Der Freiheitsbegegriff Roms ist eng mit dem der römischen Herrschaft verknüpft. Die Arverner, 121 v.Chr. der führende Stamm Galliens, und wurden in einer Schlacht zusammen mit ihren Klientelstämmen, unter anderem den Allobrogern und Rutenern 122 oder 121 v.Chr. an der Rhone bei der Mündung der Isère besiegt. Ihr König Bituitus und sein Sohn Congonnetiacus wurden gefangen genommen und in Alba Fucens festgehalten, und im Triumphzug von Fabius Maximus, der den beinmane
Allobrogicus erhielt, mitgeführt. Die Arverner hatten daraufhin ihre führende Rolle in Gallien verloren, diese übernahm der mit Rom befreundete Stamm der Haeduer. Rom gewährte den Arvernern Freiheit, nahm ihnen aber zum Beispiel ihre Vormachtstellung, und übernahm ihren Klientelstamm der Allobroger unter ihre direkte Herrschaft. Die "Freiheit" der Arverner, deren Territorium nach der Niederlage auch ausgiebig geplündert wurde, war eine
gegebene, gewährte Freiheit, eine privilegierte Form der Abhängigkeit von Roms Willen. Das kommt in der Formulierung Cäsars zum Ausdruck, wenn er davon spricht, "
Wolle man die Ansicht des Senats beachten, so müsse Gallien frei sein, weil er diesem Land, auch nachdem es im Krieg besiegt war, die eigene Verfassung habe lassen wollen."
Rom nahm nach der Unterwerfung der Arvener und ihrer Verbündeten eine aktive Rolle in der gallischen Politik auf, intervenierte mittels Gesandschaften (Cicero, Ad Atticum 1.19.2, zur diplomatischen Mission in Gallien 60 v.Chr.), vergab Freundschaften an wohlgesonnene Prinzeps (Gall IV, 12,4; VII, 31,5), und erschlossen sich im Export-Handel (z.B. mit Wein) eine Vormachtsstellung in Gallien. Ich denke, zentral ist aus römischer Sicht der politische Gehorsam, wie Kehne schrieb, die Bereitschaft der Stämme und deren Prinzeps zur Kooperation und Unterordnung unter Roms Willen, Kehne nennt dies obsequium. Waren Stämme, Familien oder Fraktionen bereit, politisch gehorsam zu sein, wurden sie entsprechend belohnt und protegiert, auch in formell souveränen Stämmen.
Der Wechsel zur direkten Kontrolle und Okkupation erfolgte mehr als sechzig Jahre später, meines Wissens überschritten weder römische Heere bis dahin die Grenzen der provincia transalpina in Südfrankreich Richtung Norden, noch gab es gallische Einfälle in den von Rom okkupierten Süden. Lässt man die römische Germanienpolitik bei den ersten Rheinübergängen Cäsars 55 v.Chr. beginnen, als Versuch einen politischen Raum indirekt zu kontrollieren z.B. durch Intervention zur Unterstützung der befreundeten Ubier, dann fällt die Unterschiedlichkeit gleich auf -weder wurden die Sugambrer, noch die Sueben von Cäsar oder Agrippa besiegt und unterworfen, die Ubier wechselten 20/19 v.Chr. auf die linksrheinische Seite, und es gab mehrere Grenzverletzungen und Beutezüge der Sugambrer und Sueben ins Imperium Romanum (z.B. die Niederlage des Lollius 16 v.Chr.). Die (scheinbar) erfolgreiche indirekte Kontrolle beschränkte sich auf den kurzen Zeitraum zwischen der Deditio vieler Stämme zwischen Rhein und Elbe 8 v.Chr. und 1 n.Chr. bis zum Ausbruch des Immensum bellum. Im Unterschied zur Politik gegenüber dem "freien" Gallien wurden zwar militärische Anlagen zurückgezogen, trotzdem zogen römische Heere durch das Territorium der Stämme (Sommerfeldzug als Machtdemonstration von Domitius Ahenobarbus (Dio, 55,10a,3).
Sucht man in der Gallienpolitik einen Vergleich zur politischen Rolle der Cheruski, dann würde ich die Haedui (Häduer) wählen. Auch die Haeduer hatten eine Amicata mit der römischen Republik, diese vertragslose Vereinbarung war jedoch kein Beistandspakt, und so unterstützten Rom die Haeduer nicht militärisch in ihrem Krieg gegen die Sequaner in den 60er Jahren v.Chr. Während des gallischen Krieges unterstützten die Haeduer besonders ihre romfreundliche Fraktion Cäsar mit Hilftstruppen (Reiterei), Getreidelieferungen und als Standort ihrer Oppida für die Winterlager oder Tross, Geiseln und Kriegskasse. Sehr wahrscheinlich war dies bei den Cheruskern nach der Deditio der Cherusker 5 n.Chr. ähnlich. In war eine führende Rolle in Germanien zugedacht. Cäsar gebraucht, nachdem sich die Haeduer dem Vercingetorixaufstand angeschlossen hatten, und nach der Niederlage der verbündeten gallischen Stämme eine ähnliche rechtliche Formulierung wie V.Paterculus bei den Cheruskern nach deren Beteiligung am immensum bellum. Cäsar marschiert sofort zu den Haeduern, wahrscheinlich nach Bibracte, und nahm deren Unterwerfung entgegen: (VII,90,1)
His rebus confectis in Haeduos proficiscitur; civitatem recipit - Hierauf zog er ins Land der Häduer, das er wieder in Besitz nahm/ nahm ihre Ergebung an. Und:
eo legati ab Arvernis missi: quae imperaret, se facturos pollicentur. imperat magnum numerum obsidum -
Dort erschienen Arverner und versprachen Gehorsam. Er verlangte viele Geiseln".
Ähnlich wie die Cherusker werden die Haeduer (und Arverner) bevorzugt behandelt. Eine römfreundliche Fraktion wird installiert, die Kriegsgefangenen (im Unterschied zu denen anderer Insurregenten) nicht versklavt, sondern freigelassen. Die Haeduer erhalten für ihre Civitas Aedurum einen neuen Hauptort, Augustodunum (heute Autun), ihre Vormachtstellung in Gallien wird formal restituiert / wiederhergestellt.
Wenn es nicht zur Varusniederlage gekommen wäre, hätten die Cherusker wahrscheinlich einen ähnlichen Weg genommen.