Um die Existenzberechtigung dieses Fadens wieder einmal zu unterstreichen, bringe ich hier die Kalenderreform des Papstes Gregor XIII. als Beispiel für die Macht der Kirche, auf das Alltagsleben einzuwirken.
Und wie genau wirkte sich der Unterschied ob man nun kalendarisch 11., den 23 oder den 21 März schreibt nun ganz konkret auf das Leben der Bevölkerung aus?
Das müsstst du mir ehrlich gesagt mal erläutern.
Wenn morgen beschlossen würde, das heute nicht etwa 5. September, sondern erst der 28. August sei, was würde das in deinem Leben genau verändern, abgesehen davon dass es vielleicht eine Handhabe wäre einmalig Säumnisgebühren bei der Bibliothek zurück zu fordern oder ähnliches?
Die katholischen Länder Italien, Spanien und Portugal übernahmen den neuen Kalender sofort, die meisten anderen „Staaten“ folgten nach wenigen Jahren.
Was im Übrigen der Nachweis dafür ist, dass das nichts mit Macht zu tun hat, sondern einfach nur mit dem Bedürfnis das Kalendersystem zu verbessern und zu harmonisieren, denn wenn es als katholisch-kirchlicher Machtanspruch verstanden worden wäre, hätten sich die Lutheraner, Calvinisten erc. das sicherlich nicht zueigen gemacht, denn das hätte ja Unterwerfung unter römische Lehren bedeutet.
Die Orthodoxie tat sich aufgrund des Schismas schwer damit: Gäbe es z.B. die Oktoberrevolution nicht
Nun, angesichts des Umstands, dass wir nach wie vor von einer "Oktoberrrevolution" sprechen, tun wir uns offensichtlich auch nicht so gaz leicht damit uns in allen Fällen vom julianischen Kalender zu verabschieden, immerhin handelt es sich nach dem gregorianischen Kalender eigentlich um eine Novemberrevolution.
Der Umstand, dass wir nach wie vor aber von einer "Oktoberrevolution" reden, wäre dann der Nachweis des begrennzten Einflusses, der gregorianischen Verordnung sozusagen.
Nach und nach übernahmen auch islamischen bzw. weit entfernten Länder wie China und Japan den Kalender.
Den Kalender ja, aber nicht die Zeitrechnung, was wieder mehr oder minder Beleg dafür ist, dass die Vorstellung von der Machtausübung qua Kalender-Verordnung nicht so ganz trägt.
Der Gregorianische Kalender war und ist – im Nachhinein betrachtet – ein Segen für die ganze Menschheit. Aber er ist auch ein Beweis für die Macht der Kirche, denn keine andere Macht wäre in jener Zeit dazu in der Lage gewesen.
Wie würde man nach diesem Paradigma die Erfindung und Einführung der Eisenbahnzeit (deren Auswirkungen auf das Alltagsleben der Betroffenen nebenbei gesagt größer gewesen sein dürften) bewerten?
Immerhin schwangen sich damit die Eisenbahngesellschaften dazu auf den Menschen vor Ort ihre Zeitrechnung und ein Stück weit ihre Lebenstaktung (Arbeitszeiten etc.) zu oktroyieren.
Ist dass dann folglich der Beweis für die ultimative Macht, sagen wir, der Köln-Mindener Eisenbahngesellschaft, über Westfalen und das Rheinland, weil die an ihren Stationen den Menschen ihre Vorstellung von Zeit noch wesentlich präziser diktierte, als es alle Päpste je zusammgen geschafft hätten?
Und wie ist dann die Vereinheitlichung der Zeitzonen in Europa zu deuten? Als revolutionärer Befreiungsschlag der Menschen gegen die unerbittliche Zeit-Diktatur der Köln-Mindener Eisenbahngesellschaft?
Sorry, aber ich finde es wirkt unweigerlich komisch, wenn man das zu Ende denkt.
Ich denke hier sollte man wirklich das Bedürfnis nach einer genaueren Berechnung und Harmonisierung von einem kirchlichen Machtanspruch/Diktat unterscheiden.
Aber immerhin, die verschiedenen Ortszeiten und die verschiedenen Zeiten der verschiedenen Eisenbahngesellschaften in den Ländern ermöglichten regelmäßige Zeitreisen.
Und da will mir der Lesch immer erklären, das sowas unmöglich sei.
Da sieht man mal, wozu die Menschen im 19. Jahrhundert in der Lage waren und was wir heute nicht mehr können. ^^