Hegemonieansprüche des HRR

Argument Sprache durch ein Zitat verdrängt.

Es ist spät, aber dazu sei nur kurz gesagt, daß die deutsche Sprache bis ins 18. Jahrhundert sogar in mehrere Schriftsprachen unterteilt war. So konkurrierten die hoch- und die oberdeutschen Schreibsprachen miteinander. Es wurde damals regelrecht darüber gestritten, welche Form nun das bessere Deutsch sei. Das Hochdeutsche setzte sich bekanntlich durch. Trotzdem sahen die Zeitgenossen das Deutsche als eine Sprache an, auch wenn diese regional und ideologisch sehr stark gespalten war. Ein Bayer sprach bayerisches Deutsch, ein Märker wieder ein anderes, und ein Franke sprach irgendwas zwischen Deutsch und komischen Würgelauten. Trotzdem wurden diese Varietäten als Teil einer einzigen Sprache verstanden.

Argument Hanse durch eine deutsche Bezeichnung negiert.
Was genau soll an der Hanse ein Argument sein? Ja, es gab damals Wirtschaftsunternehmen. Und ja, diese Wirtschaftsunternehmen waren an, höre und staune, Gewinn interessiert. Und ja, diese Wirtschaftsunternehmen waren international. Und trotzdem deutsch. So wie auch heute BMW noch immer als Deutsche Firma gilt, obwohl sie international operiert, verkauft und in China produziert. Was genau das mit der Nation als solcher zu tun hat, erschließt sich mir nicht komplett.

Aber zum Pkt. des 30. jährigen Krieges und der Kleinstaaterei kommt müde oben angeführtes Zitat.
Es gab während des Dreißigjährigen Krieges genügend Leute, die es kritisierten, daß Deutsche Deutsche abschlachteten, aber jede Partei sah sich im Recht. Das ist auch heute noch so. Und die Söldnernaturen der damaligen Zeit gibt es auch heute noch. Ich habe meinen Grundwehrdienst geleistet und kann mir daher erlauben zu sagen, daß heute niemand mehr aus Patriotismus in der Armee ist, sondern des Geldes wegen. Und wenn sie gedurft hätten, so wären einige meiner Kameraden zu den Engländern, Amerikanern oder Franzosen gegangen.

Du sagst es: "Fürsten hatten immer zuerst dynastische Interessen".
Was bitte hat dies mit einem deutschen Gefühl zu tun?
Äh, nichts. Genau deshalb habe ich auch geschrieben, daß es allgemein bekannt sei, daß dies so war. Trotzdem wußten die Fürsten, daß sie Deutsche waren, gleichgültig, welchen Thron sie in Beschlag nahmen. Der Existenz der deutschen Nation tut es keinen Abbruch, wenn der sächsische Kurfürst auf dem polnischen Königsthron hockt. Wenn ich könnte, wäre ich auch gerne König von England. Wären Sie deshalb kein Deutscher?

Überaus logisch noch dazu. Wenn also in späteren Zeiten das deutsche Gefühl "vorhanden aber durch andere Interessen zurückgedrängt" war, warum sollte ich dann annehmen, dass es im Mittelalter nicht mindestens genauso war?
Etwas Derartiges habe ich nie behauptet. Teilweise habe ich das Gefühl, daß Sie mehr hineinlesen, als drinsteht. Ich schreibe, daß die Deutschen im Mittelalter bereits eine nationale deutsche Identität hatten. Punkt. Wie wichtig diese Identität war, worauf sie sich stützte und wie sie mit Patriotismus/Nationalismus in Verbindung stand, sind wieder ganz andere Punkte.
 
Zuletzt bearbeitet:
excideuil
Das bleibt als Quintessenz übrig.

Argument Sprache durch ein Zitat verdrängt.
Argument Hanse durch eine deutsche Bezeichnung negiert.

Aber zum Pkt. des 30. jährigen Krieges und der Kleinstaaterei kommt müde oben angeführtes Zitat.

Überaus logisch noch dazu. Wenn also in späteren Zeiten das deutsche Gefühl "vorhanden aber durch andere Interessen zurückgedrängt" war, warum sollte ich dann annehmen, dass es im Mittelalter nicht mindestens genauso war? Spielten da "andere Interessen" keine Rolle? Na, ja, wer es denn glaubt.

Ich weiß ehrlich gesagt gar nicht, was du mir beweisen willst? Wo habe ich behauptet, dass "die deutsche Sache" das einzige Interesse mittelalterlicher Herrscher war? Ich sagte lediglich, dass es ein Bewusstsein davon gab deutsch zu sein, nicht mehr, nicht weniger.
Zum 30-jährigen Krieg: lies den Simplizissimus als Zeitzeugendokument, wie man damals zur deutschen Nation stand. Ansonsten verschaffen ein paar zeitgenössische Zitate noch ein wenig Klarheit darüber.

Sjchers Teutschland schlaffst du noch?
Ach wie nah' ist dir dein Joch /
Das dich hart wird drükken /
Und dein Antlitz dürr' und bleich
Jämmerlich erstikken /
Wach' auff du Teutsches Reich /
Wach' auff du Teutsches Reich!

Tolles Teutschland deiner Ruh'
Eilet Krieg und Auffruhr zu /
Ach hör' auff zu schlaffen /
Alle Kreaturen gleich
Kommen dich zu straffen /
Wach' auff du Teutsches Reich/
Wach' auff du Teutsches Reich!

Volles Teutschland / grosse Noht
Wird dich martern auff den Tod /
Sichers Weib begehre /
Daß doch GOTT sein Hertz erweich'
Und den Feinden wehre /
Wach' auff du Teutsches Reich /
Wach' auff du Teutsches Reich!
Johann von Rist

Zerbrich das schwere Joch, darunter du gebunden,

O Teutschland, wach doch auf, faß wieder einen Mut,

Gebrauch dein altes Herz und widersteh der Wut,

Die dich und die Freiheit durch dich selbst überwunden.
Georg Rodolf Weckherlin (1584-1653)

"ICH teutscher Michel / versteh schier nichel /
In meinem Vatterland / es ist ein schand.
Man thut jetzt reden / als wie die Schweden /
In meinem Vatterland / pfuy dich der schand.
2. Fast jeder Schneider / will jetzund leyder /
Der Sprach erfahren sein / vnd red Latein:
Welsch vnd Frantzösisch / halb Iponesisch /
Wann er ist voll vnd toll / der grobe Knoll.
3. Der Knecht Matthies / spricht bona dies /
Wann er gut morgen sagt / vnd grüst die Magd:
Sie wend den Kragen thut ihm dancksagen /
Spricht Deo gratias / Herr Hippocras.
4. Ihr fromme Teutschen / man solt euch beutschen /
Daß ihr die Muttersprach / so wenig acht.
Ein schön new Lied genannt Der Teutsche Michel 1642

 
Was genau soll an der Hanse ein Argument sein? Ja, es gab damals Wirtschaftsunternehmen. Und ja, diese Wirtschaftsunternehmen waren an, höre und staune, Gewinn interessiert. Und ja, diese Wirtschaftsunternehmen waren international. Und trotzdem deutsch. So wie auch heute BMW noch immer als Deutsche Firma gilt, obwohl sie international operiert, verkauft und in China produziert. Was genau das mit der Nation als solcher zu tun hat, erschließt sich mir nicht komplett.

Begib dich nicht auf ein schmales Brett, Wirtschaftsunternehmen sind immer an Gewinn interessiert. Gewinn hat nichts mit nationalen Gefühlen zu tun. Und so betrachte bitte die Hanse.

Grüße
excideuil
 
Etwas Derartiges habe ich nie behauptet. Teilweise habe ich das Gefühl, daß Sie mehr hineinlesen, als drinsteht. Ich schreibe, daß die Deutschen im Mittelalter bereits eine nationale deutsche Identität hatten. Punkt. Wie wichtig diese Identität war, worauf sie sich stützte und wie sie mit Patriotismus/Nationalismus in Verbindung stand, sind wieder ganz andere Punkte.

Nun, ja, ich erlaube mir einmal den halbpolemischen Einschub, dass ich nichts hinein- sondern mit der Brille lese - ist einfach meinem Alter geschuldet.

Ich bin der Meinung, dass es dieses Gefühl einer deutschen Nation nicht gegeben haben kann, dafür waren die Unterschiede - sei es von Ort zu Ort - sei es von Region zu Region - einfach zu groß. Zudem war das MA, nach meinem Verständnis, ein Kampf der Fürsten um großmögliste Machtausdehnung. Für nationale Befindlichkeiten war da kein Platz, zumal es neben den Fürsten auch keine Autorität gab, die sich hätte artikulieren können, sieht man von den Städten ab, die es wirtschaftlich taten.

Grüße
excideuil
 
Auch die Hanse betrachtete sich als deutsch, erkennbar an der zeitgenössischen Eigenbezeichnung "dudesche Hanse, lat.: Hansa Teutonica".
Nochmal K. F. Werner: "Die Kaufleute, schon im London des 10. Jahrhunderts 'die des Kaisers' genannt, sind im Ostseeraum des 12./13. Jh. mercatores Romani Imperii." Der Bezug zum Kaisertum, und nicht das Deutschsein, war ihr Markenzeichen.

....daß also die Deutschen wußten, daß sie Deutsche waren
Na, das liest sich schon etwas anders als "Die Deutschen ... sahen sich als herrschendes Volk des (übernationalen) Reiches...."

...schlagt mich doch...
Das mit dem Schlagen bringst Du jetzt schon zum zweiten Mal. Gibt es einen bestimmten Aspekt des Themas, den Du uns damit klarmachen möchtest? Hat das etwas mit Alexander von Roes und Troja zu tun?
 
Na, das liest sich schon etwas anders als "Die Deutschen ... sahen sich als herrschendes Volk des (übernationalen) Reiches...."

Diese Ansichten wurden aber ähnlich formuliert. Siehe mein angebrachtes Zitat von Barbarossa

Wollt ihr wissen, wo der alte Ruhm eures Rom geblieben ist, der würdevolle Ernst des Senats, die tapfere Zucht der Ritterschaft und der unbezwingliche Schlachtenmut? Bei uns Deutschen sind sie geblieben. Auf uns gingen jene Tugenden über mit der Krone der Cäsaren: Hier sind eure Konsuln, hier euer Senat, hier eure Legionen! Unserer Weisheit und unserem Schwert seid ihr euer Dasein schuldig.

Oder Dürer, der auf den Rahmen seines Gemäldes von Karl dem Großen schrieb

Dies ist, der Gestalt und [dem] Bildnis geich, Kaiser Karl, der das Römische Reich den Deutschen untertänig gemacht hat. Seine Krone und Kleidung, hoch geachtet, zeigt man in Nürnberg jedes Jahr mit anderen Heiligtümern öffentlich.
 
Zuletzt bearbeitet:
Das Gedicht von @MacX im Beitrag #56 klingt für mich so, als ob man sich überhaupt erst einmal klar machen mußte, welche Gegenden "diutsch sint", wobei dies klar an der "zung" (Zunge), also der Sprache, festgemacht wird. Wenn das zwischen 1272-80 entstanden ist, dann scheint das 13. Jh. (vielleicht auch bereits das 12. Jh.) also für die Entstehung einer "nationalen Identität" im deutschsprachigen Raum zu stehen.
Diese Entstehungsphase dürfte spätestens mit der "Wahlkapitulation" Karls V. im Jahre 1519 als abgeschlossen gelten, denn mit diesem Dokument werden Deutsche gegenüber anderer Nationalitäten im Reich privilegiert.
So mußte sich Karl V. u.a. verpflichten,
Reichsämter ausschließlich mit Deutschen zu besetzen, in offiziellen Dokumenten nur die deutsche oder die lateinische Sprache zu verwenden und keine fremden Truppen ins Reich zu bringen sowie keinen Untertanen des Reiches ohne Verhör durch deutsche Richter fremden Gerichten zu überstellen.
Somit kann festgestellt werden, daß die Kurfürsten mit diesem Dokument
ein ständisch gebundenes nationales Bewußtsein zu erkennen gaben.
Hintergrund war sicher vor allem die Tatsache, das Reich vor einem zu großen ausländischen Einfluß zu schützen, da Karl zum Zeitpunkt seiner Wahl bereits einige Jahre vorher König von Spanien geworden war.
 
Zuletzt bearbeitet:
Über das Thema Nationalgefühl der Deutschen im Alten Reich wurden bereits mehrere wissenschaftliche Arbeiten verfaßt.

Ja richtig, ich kenn den Forschungsstand.

Ich empfehle Ihnen das bereits erwähnte "Wettkampf der Nationen". Es ist sehr schön geschrieben, und lateinische Quellen sind grundsätzlich ins Neuhochdeutsche übersetzt, so daß auch Nichtlateiner sie verstehen. Der Nachteil ist, daß man die Arbeit im Netz nicht zur Gänze findet und sie sehr teuer ist, wenn man sie kaufen will. Aber in einer Staats- oder Universitätsbibliothek wird man sicherlich fündig und kann sie dort entweder ausleihen oder kostenlos auf einen Datenstift kopieren. Empfehlenswert ist außerdem "Nation und Sprache" (hsg. von Andreas Gardt). Und wenn Sie sich (unwissenschaftlich) darüber amüsieren wollen, wie Ausländer die Deutschen im Mittelalter sahen, können Sie Thomasin von Zerklaeres "Welschen Gast" lesen. Köstlich.

Schon blöd, ich kenn das Buch ;)

Ich kenne auch die zahlreichen Rezensionen darüber. Die sollte man auch lesen:

Aus Sehepunkte:

Beantwortet ist die Frage nach der zeitgenössischen Wirkmächtigkeit und vor allem nach den Vermittlungswegen von spätmittelalterlich-frühneuzeitlichem 'Nationalismus' in die Moderne auch mit dem Buch von Hirschi noch nicht. Dazu liegen die Trittsteine der Quellenbefunde seit dem späten 16. Jahrhundert doch recht weit auseinander.

Es braucht doch noch weitere Forschungen. Diese sind noch nicht abgeschlossen und es sind eben noch ganz viele Fragen offen.

Ich habe immer noch das Gefühl du konstruierst dir was zusammen.

Und ich will mich nicht amüsieren, denn ich bin keine Deutsche. Sondern in diesem Fall wohl eine Ausländerin.
 
Zuletzt bearbeitet:
Ja, würde ich schon sagen. Niemand bezeichnet sich als Deutscher, wenn er keine Ahnung hat, was das bedeutet.
Hier lässt Du außer Acht, dass der deutsche Volksname ursprünglich aus Italien stammte. Er war zunächst eine Fremdbezeichnung, keine Selbstbezeichnung. Deshalb ist es auch problematisch aus dem Umstand, dass eine Gruppe (zusammenfassend) als Deutsche bezeichnet wurde, darauf zu schließen, dass sich diese Gruppe als Deutsche (zusammengehörig) fühlte.


Im Laufe der Zeit wurde diese Bezeichnung von der so bezeichneten Gruppe aufgenommen und es bildete sich ein Bewusstsein der Zusammengehörigkeit heraus. Doch wann geschah dies genau? Diese Frage lässt sich doch nur anhand der Kontexte berücksichtigen, in denen diese Bezeichnungen verwendet wurden. Um so bedauerlicher ist es, dass Du die Kontexte nicht berücksichtigen willst (siehe unten).
Ich sage nicht, dass das deutsche Volk im MA homogen war, nur, dass es sich in unterschiedlicher Qualität schon als solches gesehen hatte.
Was versteht Du unter dem „deutschen Volk“ im MA? Eine Sprachgemeinschaft, eine Ethnie, eine Raumgemeinschaft, etc.
Homogen war diese Gruppe ganz gewiss nicht. Da stimme ich Dir zu.
Im übrigen haben wir schon im 11. Jhd das "Reich der Deutschen" (auf Latein wohlgemerkt).
Imperator hat ja bereits darauf hingewiesen, dass es sich dabei um eine Fremdbezeichnung (seitens des Papstes) handelte und dass der angesprochene Heinrich IV. Römer sein wollte und nicht deutscher Nationalkönig (#54). Hierzu hast Du geantwortet:
Keineswegs. Die Bezeichnung findet man bereits unter Heinrich II. Er bezeichnete sich selbst als rex teutonicorum.
Hier bitte ich dann doch um eine möglichst genaue Quellenangabe. Denn bis Otto III. hat „die erdrückende Mehrheit der … Könige … die Intitulatio Name – Legitimationsformel – rex“ verwendet (H. Wolfram, Intitulatio II, Band 2, S. 104), weil es unmöglich war, „auf dem Boden des Karolingerreiches ein anderes ethnisches Vollkönigtum als das der Franken zu errichten“ (H. Wolfram, a.a.O., S. 135). Bei Heinrich II. wurde gelegentlich die Intitulatio „Romanorum rex“ verwendet. Die Abweichung von der bis dahin üblichen Praxis fand also in die römische Richtung statt. Die Intitulatio „Heinricus … rex Teutonicorum“ aus dem Jahre 1020 war Empfängerausfertigung des Bischofs Heriwart von Brixen mit dem oben bereits beschriebenen Italienbezug (Joachim Ehlers, Die Entstehung des Deutschen Reiches, S. 45).
Dass Heinrich IV seine imperialen Ansprüche nicht beschnitten wissen mochte, verneint nicht im geringsten, dass er sich als Deutschen sah.
Der Gedanke, Heinrich IV. habe sich als Imperialist und Deutscher gesehen, geht am eigentlichen Problem vorbei. Heinrich nahm fränkische und römische Traditionen in Anspruch, um ein Reich mit den Ländern Gallia, Italia und Germania legitim regieren zu können. Da Heinrich weder Franke, Römer, Gallier noch Italiener war, hatte dieser überhaupt gar kein Interesse an einer irgendwie gearteten Ethnifizierung seines Reiches. Deshalb war in der Sprache seiner Kanzlei Begrifflichkeiten wie „regnum Teutonicum“ etc. verpönt, währenddessen die päpstliche Kanzlei in ihrem Sprachgebrauch derartige Begriffe systematisch verwendete, um die Axt an das „Römische Imperium“ zu legen. Die Nationalisierung ging also vom Papst aus, nicht vom „deutschen Volk“ oder den „deutschen Fürsten“ oder dem Kaiser. Sie geschah auf „deutscher Seite“ unwillig, da sie mit einem Verlustgefühl verbunden war: der heilsgeschichtlich bedeutsame Reichsgedanke ging verloren.
Und wenn? Spricht es nicht dafür, dass diese hohen Herren sich als Deutsche wahrnahmen und auch erwarteten mit der Botschaft Anklang zu finden?
Was für einen Anklang? Um den beurteilen zu können, müsste man ja die Kontexte Deiner Zitate berücksichtigen. Das aber willst Du leider nicht.
Hm, ich bin nicht sicher, was du erwartest... von Otto dem Großen ist mir eine Urkunde bekannt, nach der im Bistum Magdeburg die ansässigen Slawen und Deutschen unterschiedlich besteuert wurden, ich meine auch im Sachsenspiegel ist ähnliches erwähnt. Außerdem sollte demnach dem König von Böhmen die Kurwürde verweigert bleiben, da er kein Deutscher sei.
Irgendetwas aus dem sich ergibt, dass mit der Unterscheidung zwischen „Deutschen“ und „Nichtdeutschen“ seitens der „Deutschen“ im Alltagsleben ein Gefühl der Zusammengehörigkeit einherging. Die von Dir genannte unterschiedliche Besteuerung erfolgte im Rahmen der mittelalterlichen Besiedlung Ostdeutschlands. Durch die niedrigere Besteuerung sollten Siedler angelockt werden. Das ist kein Anhaltspunkt für ein Zusammengehörigkeitsgefühl der Deutschen.
Gefragt hatte ich nach Beispielen aus dem Alltagsleben. Die Königswahl gehört nicht zum Alltagsleben. Aber eines nur so nebenbei: der König von Böhmen hat an den Wahlen teilgenommen und sein Wahlrecht auch ausgeübt.
Wirklich? Ich spüre heute ja auch nicht mehr viel von deutscher Solidarität, Ablehnung gegenüber Fremdem und von deutscher Schicksalsgemeinschaft. Patriotismus und das Wissen um die simple Tatsache, daß man einem Kollektiv angehört, sind zwei Paar Schuhe. Ich spreche hier ja ausdrücklich nicht davon, daß alle Deutschen im Mittelalter Patrioten oder Nationalisten waren! Ich sage lediglich, daß es schon damals ein (neutrales!) National- und Zusammengehörigkeitsgefühl gab, daß also die Deutschen wußten, daß sie Deutsche waren, und daß auch das Ausland die Deutschen als Volk begriff.
Bitte nicht übertreiben, um dann die Übertreibung um so überzeugender ablehnen zu können.;)
Das von Dir (wir dutzen uns hier doch alle) im MA verortete National- und Zusammengehörigkeitsgefühl muss sich, wenn es denn die breite Volksmasse erfasst haben soll, irgendwie im Alltagsleben durch eine irgendwie geartete Unterscheidung zwischen Deutschen und Nichtdeutschen gezeigt haben. Das muss weder Xenophobie noch Nationalismus noch Patriotismus gewesen sein, aber irgendetwas diffuses doch dann schon, oder noch nicht einmal das (da neutrales Gefühl)???? Also nur ein sprachlicher, im realen Leben unbedeutsamer Nebel???
Übrigens ist der Schluss von der Außenbetrachtung auf das Binnengefühl hochproblematisch.
Trotzdem möchte ich versuchen, Ihren Einwand zumindest an zwei Beispielen aufzugreifen. Im Buch "Ritter, Tod und Teufel" können Sie lesen, daß viele Zünfte, insbesondere in Grenzmarken, von ihren Anwärtern verlangten, "dudescher art und herkunft" zu sein (Seite 145). Ausländer waren also in diesen Zünften nicht erwünscht. Aus der Schrift "Wettkampf der Nationen" möchte ich folgendes über die Wahl Karls V. zitieren (wegen Urheberrechts- und Platzgründen freilich gekürzt, aber auf Google.Books kann man sich mehr ansehen).

In "Die Erfindung der Deutschen", die hier schon mal verlinkt wurde, können Sie lesen:

Eine gewisse Bevorzugung des Eigenen war also durchaus vorhanden. Natürlich sind hier wieder Adelige Beispiele und keine Bauern, ja, schlagt mich doch.

Auf Seite 48 erfahren Sie einiges Interessantes über die Untertanenbefragungen aus dieser Zeit: Lesebuch Altes Reich - Google Büche

Nicht so sehr, wie man glauben möchte. Fürsten hatten immer zuerst dynastische Interessen, das ist klar, aber auch im 17., 18. und 19. Jh. gibt es viele Zeugnisse fürstlichen Reichspatriotismus.
Es geht weniger um die Frage, ob eine Differenzierung zwischen Deutschen und Nichtdeutschen einsetzte und ob diese Bedeutung erlangte, sondern WANN dies im Einzelnen geschah und WELCHE Bedeutung sie im Einzelnen erlangte. Da sind in einer auf das MA bezogenen Diskussion Hinweise auf das 16., 17., 18. Und 19. Jh. wenig hilfreich.
 
Fazit: Von 4 Gruppen passt das postulierte System nur bei einer einzigen Gruppe.
Meinung: Absoluter Schwachsinn, nur geeignet leichtgläubigste Menschen zu überzeugen.

Keine Ahnung vom Hochmittelalter.
Aber im Spätmittelalter (da weiß ich es zufällig) war es doch schon so, wie es die Monarchen eigentlich bis heute handhaben, sie suchten sich aus ihren vielen Taufnamen einen aus, unter dem sie regierten.
Der oft nicht mit dem bisherigen Rufnamen übereinstimmte.
Fast gar wie die Papstnamen.

Unterstellt man dies für das Hochmittelalter, dann bleibt auch hier kein Sinn, aber viel Unsinn.=)
 
Gandolf
Hier lässt Du außer Acht, dass der deutsche Volksname ursprünglich aus Italien stammte. Er war zunächst eine Fremdbezeichnung, keine Selbstbezeichnung. Deshalb ist es auch problematisch aus dem Umstand, dass eine Gruppe (zusammenfassend) als Deutsche bezeichnet wurde, darauf zu schließen, dass sich diese Gruppe als Deutsche (zusammengehörig) fühlte.
Im Laufe der Zeit wurde diese Bezeichnung von der so bezeichneten Gruppe aufgenommen und es bildete sich ein Bewusstsein der Zusammengehörigkeit heraus. Doch wann geschah dies genau? Diese Frage lässt sich doch nur anhand der Kontexte berücksichtigen, in denen diese Bezeichnungen verwendet wurden. Um so bedauerlicher ist es, dass Du die Kontexte nicht berücksichtigen willst (siehe unten).
Ich lasse mich gern belehren, wenn jemand die Kontexte liefern kann, die mich davon überzeugen, dass trotz der Eigenbezeichnung als Deutsche etwas anderes gemeint sein könnte.

Was versteht Du unter dem „deutschen Volk“ im MA? Eine Sprachgemeinschaft, eine Ethnie, eine Raumgemeinschaft, etc.
Homogen war diese Gruppe ganz gewiss nicht. Da stimme ich Dir zu.
Eine Sprachgemeinschaft, die auch in einem Reich beheimatet ist.
Die Intitulatio „Heinricus … rex Teutonicorum“ aus dem Jahre 1020 war Empfängerausfertigung des Bischofs Heriwart von Brixen mit dem oben bereits beschriebenen Italienbezug (Joachim Ehlers, Die Entstehung des Deutschen Reiches, S. 45).

Ja, davon sprach ich. Was ist mit "Empfängerausfertigung" gemeint? Hatte der Kaiser Urkunden in seinem Namen nicht stets besiegeln müssen? Also ist doch davon auszugehen, dass ihm diese Bezeichnung geläufig war, und er sie auch genehmigte.

Der Gedanke, Heinrich IV. habe sich als Imperialist und Deutscher gesehen, geht am eigentlichen Problem vorbei. Heinrich nahm fränkische und römische Traditionen in Anspruch, um ein Reich mit den Ländern Gallia, Italia und Germania legitim regieren zu können. Da Heinrich weder Franke, Römer, Gallier noch Italiener war, hatte dieser überhaupt gar kein Interesse an einer irgendwie gearteten Ethnifizierung seines Reiches. Deshalb war in der Sprache seiner Kanzlei Begrifflichkeiten wie „regnum Teutonicum“ etc. verpönt, währenddessen die päpstliche Kanzlei in ihrem Sprachgebrauch derartige Begriffe systematisch verwendete, um die Axt an das „Römische Imperium“ zu legen. Die Nationalisierung ging also vom Papst aus, nicht vom „deutschen Volk“ oder den „deutschen Fürsten“ oder dem Kaiser. Sie geschah auf „deutscher Seite“ unwillig, da sie mit einem Verlustgefühl verbunden war: der heilsgeschichtlich bedeutsame Reichsgedanke ging verloren.
Kein Widerspruch. So sehe ich es auch. Allerdings meine ich, dass die Bezeichnung der Deutschen als Teutones schon geraume Zeit üblich war und Heinrich auch wusste, dass die deutschsprechende Bevölkerung seines Reiches damit gemeint war, nur wollte er sein Königtum nicht allein darauf beschränkt wissen.

Was für einen Anklang? Um den beurteilen zu können, müsste man ja die Kontexte Deiner Zitate berücksichtigen. Das aber willst Du leider nicht.
Ich will schon, nur hab ich den genauen Kontext zu allen Zitaten nicht parat. Ich verwahre mich nur gegen das Totschlagargument, eine Selbstbezeichnung sei per se nicht als solche zu verstehen, weil es ja in einem anderen Kontext gemeint sein könnte.

Irgendetwas aus dem sich ergibt, dass mit der Unterscheidung zwischen „Deutschen“ und „Nichtdeutschen“ seitens der „Deutschen“ im Alltagsleben ein Gefühl der Zusammengehörigkeit einherging. Die von Dir genannte unterschiedliche Besteuerung erfolgte im Rahmen der mittelalterlichen Besiedlung Ostdeutschlands. Durch die niedrigere Besteuerung sollten Siedler angelockt werden. Das ist kein Anhaltspunkt für ein Zusammengehörigkeitsgefühl der Deutschen.
Gefragt hatte ich nach Beispielen aus dem Alltagsleben. Die Königswahl gehört nicht zum Alltagsleben. Aber eines nur so nebenbei: der König von Böhmen hat an den Wahlen teilgenommen und sein Wahlrecht auch ausgeübt.

Ich fürchte, ich kann fast nur mit politischer Propaganda der gehobenen Schicht aus dem Mittelalter dienen, sei es in Briefen, Urkunden oder Liedern. Für mein Verständnis lässt sich daraus schon eine deutsche Identität ablesen...

@Repo: ich denke da irrst du dich. Den Begriff "deutsche Zunge" habe ich in einigen mittelhochdeutschen Quellen lesen können. Ich müsste nochmal nachgucken.
 
Welchen Begriff meinst du, tedescho [te'desko]?
Ich meine "theodiscus". Dieser Begriff wurde beginnend mit dem 8. Jh. als Sprachname verwendet ("Tam latine quam theodisce" seien einer angelsächsischen Synode 786 früher gefasste Beschlüsse verlesen worden). In Italien wurde "theodiscus" in der 1. Hälfte des 9. Jh. als Fremdbezeichnung aller nichtromanisierten Franken - mithin als Volksname - verwendet (Joachim Ehlers, Die Entstehung des Deutschen Reiches, S. 41, 42, 44).

Gleiches gilt aber auch für das von MacX angesprochene rex "Teutonicorum". Das lässt sich zwar auf Vergils "teutonicus" zurückführen. Die Verwendung dieses Begriffes im "fränkischen Raum" (Fuldaer Annalen 876: theutonica lingua, Ludwigslied: rithmus teutonicus) deutet aber auf die Bezeichnung einer Sprache hin, nicht auf die Bezeichnung einer ethnischen Gruppe. "Als Volksname begegnen Teutonia, teutonicus, Teutones im 10. Jahrhundert sonst nur in Italien, in Westfranken-Frankreich und an der Slawengrenze" (Joachim Ehlers, Die Entstehung des Deutschen Reiches, S. 41, 43, 44 [Hervorhebung durch Gandolf]).


@MacX:

Der Volksname ist von Aussen herangetragen und somit auch kein Beleg dafür, dass sich die derart Bezeichneten als zusammengehörig fühlten. Dass diese Bezeichnung im Laufe der Zeit von den Bezeichneten übernommen wurde (ab wann und von wem?) und sich bei diesen auch ein Gefühl der Zusammengehörigkeit (bis 1500???) entwickelt hat, steht ja ausser Frage. Doch WANN dies geschehen und WELCHE Bedeutung dies für WEN (bestimmte Gruppe, Volk) hatte, lässt sich nur klären, wenn man die Kontexte Deiner Zitate berücksichtigt.
Ich lasse mich gern belehren, wenn jemand die Kontexte liefern kann, die mich davon überzeugen, dass trotz der Eigenbezeichnung als Deutsche etwas anderes gemeint sein könnte.
Wenn ich mich richtig erinnere, hat sich Deine Eigenbezeichnung von Heinrich II. als Fremdbezeichnung des Brixener Bischofs herausgestellt. Also kläre die Kontexte Deiner Zitate bitte selber ab!:p
Was versteht Du unter dem „deutschen Volk“ im MA?
Eine Sprachgemeinschaft, die auch in einem Reich beheimatet ist.
Versteht man unter Volk nicht eher eine Ethnie?
 
Zuletzt bearbeitet:
Wenn er von Deutschen als Eigenbezeichnung verwendet wurde, schon.
Von Wem, Wann und in WELCHEM Zusammenhang?

Und ab wann hat eine Gruppe ein Zusammengehörigkeitsgefühl? Wenn einer, zwei, drei ... sich selbst als Gruppenmitglied bezeichnen? Mehr gehört nicht dazu?
 
Zuletzt bearbeitet:
Ich meine "theodiscus". Dieser Begriff wurde beginnend mit dem 8. Jh. als Sprachname verwendet ("Tam latine quam theodisce" seien einer angelsächsischen Synode 786 früher gefasste Beschlüsse verlesen worden). In Italien wurde "theodiscus" in der 1. Hälfte des 9. Jh. als Fremdbezeichnung aller nichtromanisierten Franken - mithin als Volksname - verwendet (Joachim Ehlers, Die Entstehung des Deutschen Reiches, S. 41, 42, 44).

Gleiches gilt aber auch für das von MacX angesprochene rex "Teutonicorum". Das lässt sich zwar auf Vergils "teutonicus" zurückführen. Die Verwendung dieses Begriffes im "fränkischen Raum" (Fuldaer Annalen 876: theutonica lingua, Ludwigslied: rithmus teutonicus) deutet aber auf die Bezeichnung einer Sprache hin, nicht auf die Bezeichnung einer ethnischen Gruppe. "Als Volksname begegnen Teutonia, teutonicus, Teutones im 10. Jahrhundert sonst nur in Italien, in Westfranken-Frankreich und an der Slawengrenze" (Joachim Ehlers, Die Entstehung des Deutschen Reiches, S. 41, 43, 44 [Hervorhebung durch Gandolf]).

Nun, das lateinische theodiscus, davon ital. tedescho ist allerdings ein Germanismus: þiudisk. Daraus ist ganz regelmäßig das Wort deutsch entstanden.
germ. > dt.
þ > d
d > t
sk > sch
Dass das deutsche Wort deutsch, welches ursprünglich nichts anderes bedeutet als 'völkisch' (ohne die Konnotationen, die mit völkisch in der Sprache des Nationalsozialismus verbunden sind) uns in lateinischen Texten überliefert ist, liegt daran, dass hauptsächlich in dieser Sprache geschrieben ist. Der Erstbeleg des Wortes ist allerdings der Galaterbrief in der Gotenbibel des Wulfila, hier in der Bedeutung von 'heidnisch':

ake biþe ik gasahv þatei ni raihtaba gaggand du sunjai aiwaggeljons, qaþ du Paitrau faura allaim: jabai þu Iudaius wisands þiudisko libais jah ni iudaiwisko, hvaiwa þiudos baideis iudaiwiskon?
 
Den Hinweis greife ich gerne auf:

Nun, das lateinische theodiscus, davon ital. tedescho ist allerdings ein Germanismus: þiudisk. Daraus ist ganz regelmäßig das Wort deutsch entstanden.
germ. > dt.
þ > d
d > t
sk > sch
Dass das deutsche Wort deutsch, welches ursprünglich nichts anderes bedeutet als 'völkisch' (ohne die Konnotationen, die mit völkisch in der Sprache des Nationalsozialismus verbunden sind) uns in lateinischen Texten überliefert ist, liegt daran, dass hauptsächlich in dieser Sprache geschrieben ist. Der Erstbeleg des Wortes ist allerdings der Galaterbrief in der Gotenbibel des Wulfila, hier in der Bedeutung von 'heidnisch':
ake biþe ik gasahv þatei ni raihtaba gaggand du sunjai aiwaggeljons, qaþ du Paitrau faura allaim: jabai þu Iudaius wisands þiudisko libais jah ni iudaiwisko, hvaiwa þiudos baideis iudaiwiskon?
... womit Ulfilas das griechische έϑυικϖς ("volkstümlich", "heidnisch") übersetzte. Ergänzend hierzu: theoda (lat.) = Volk; theodiscus = "völkisch", "volkstümlich", "zum Volk gehörend".

Sowohl theodiscus als auch þiudisko kommen aus gelehrt-kirchlichem Milieu. Ob es für diese Begriffe eine ältere volkssprachliche Grundlage gab oder ob die beiden Wörter aus aktuellem Befürdnis entwickelt worden sind, ist ungewiß. Gleiches gilt für das um 1000 bei Notker Teutonicus von St. Gallen erstmals auftretenden diutisk.

"Klar hingegen ist die Bedeutung: 786 heißt theodisce unzweifelhaft »in der angelsächsischen Volkssprache«" (Ehlers [# 76], S. 41-44). Mit dem Wort wurde damals eine Sprache bezeichnet, kein Volk (auch wenn es ursprünglich den Sinn von volkstümlich, völkisch, zum Volk gehörend hatte).

786 bezieht sich hierbei auf die in # 76 genannte angelsächsische Synode.
 
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