Die "Indogermanen" sind ein Konstrukt. Sie beruhen in verschiedenen Wissenschaften auf verschiedenen Annahmen. Im Gegensatz zu allen anderen hier immer wieder diskutierten Ethnien liegen nicht einmal schriftliche Nachweise für deren Existenz vor.
Ich würde Geist den Rücken stärken.
Die technisch besten Überlegungen zu einem solchen Volk kenne ich von Gimbutas, und die sollen inzwischen auch völlig überholt sein.
Kein Mensch, der bei Trost ist, spricht von einem "indogermanischen Volk".
Es gibt allerdings eine indoeuropäische Sprachfamilie und zahlreiche Völker mit einer indoeuropäischen Sprache. Und da die Einwanderung indoeuropäischer Sprachträger in diverse Gebiete belegt ist - Hethiter in Kleinasien, Indoarier in Nordindien, Proto-Griechen auf dem Balkan, Italiker auf der Apennin-Halbinsel - , wird seit langer Zeit nach einem Druckzentrum bzw. einer Ausgangsregion gesucht.
Bei der Verbreitung indoeuropäischer Sprachen gibt es verschiedene Szenarien, die selbstverständlich alle hypothetisch bleiben.
Eine Fraktion vermutet, dass sich indoeuropäische Sprachträger von einem Zentrum zwischen den Karpaten und Südrussland Richtung Westen nach Mittel- und Südeuropa ausgebreitet haben, während ein anderer Zweig nach Osten Richtung Indien und Zentralasien expandiert ist. Das ursprüngliche Idiom dieser Proto-Indoeuropäer - nämlich die nur hypothetisch von der Indogermanistik erschlossene "Grundspraxche" - hätte sich danach in den neuen Regionen zu den historisch bekannten indoeuropäischen Einzelsprachen entwickelt, woran die Sprachen der autochthonen Bevölkerung beteiligt waren.
Dieses Modell versucht also zu erklären, warum sich indoeuropäische Sprachen in einem riesigen geografischen Raum finden lassen, der immerhin vom Atlantik bis Indien und Zentralasien reicht.
Hierzu besonders: Marija Alseikaitė Gimbutas:
Das Ende Alteuropas. Der Einfall von Steppennomaden aus Südrussland und die Indogermanisierung Mitteleuropas. 1994, Institut für Sprachwissenschaft, Innsbruck 1994, ISBN 3-85124-171-1
Ein anderes Modell, das u.a. der Archäologe
Alexander Häusler in mehreren Publikationen vertritt, zählt die indoeuropäischen Sprachträger zur autochthonen Bevölkerumng Europas, die dort ohne größere Invasionen oder Migrationen von außerhalb seit dem Mesolithikum ansässig waren. Die weite Verbreitung der indoeuropäischen Sprachen wird lediglich durch die Weitergabe von Kulturkontakten erklärt.
Alexander Häusler, Nomaden, Indogermanen, Invasion. Zur Entstehung eines Mythos.
http://www.uni-leipzig.de/~diffint/index.php/diffint/article/viewArticle/36
Ein anderes Szenario lässt die indoeuropäischen Sprachträger aus Anatolien/Vorderasien kommen und identifiziert sie mit den frühen Ackerbauern des Neolithikums, die sich von Anatolien aus im 7. Jahrtausend v. Chr. über den Balkan verbreiteten (Sesklo-, Starcevo- und Vinca-Kultur) und schließlich um 5500 v. Chr. mit der Linearbandkeramischen Kultur Mitteleuropa erreichten. So vor allem Colin Renfrew:
Colin Renfrew:
Die Indoeuropäer – aus archäologischer Sicht. in:
Spektrum der Wissenschaft. Dossier. Die Evolution der Sprachen. Heidelberg 2000, 1, S. 40–48. ISSN 0947-7934
Colin Renfrew.:
Archaeology and Language. The Puzzle of Indo-European Origins. Jonathan Cape, London 1987, Cambridge 1990. ISBN 0-521-38675-6.
Da keine dieser Hypothesen zu beweisen ist, darf sich jeder die ihm am wahrscheinlichsten dünkende Spekulation zur Ausbreitung der indoeuropäischen Sprachen frei Haus aussuchen.
Das - nicht mehr und nicht weniger - ist dazu zu sagen.