Angesichts der Tatsache, dass der Rassebegriff und rassische Konstrukte von den beteiligten Fachwissenschaften der Humanbiologen, Genetikern und Anthropologen (und weiteren, wie Psychologen, Soziologen, eetc) abgelehnt werden, mutet das verbissene Festhalten an rassischen menschlichen Kategorisierungen befremdlich an.
Während die wissenschaftliche Lage hinreichend geklärt ist, der Rest sich damit im weltanschaulichen Bereich und gesellschaftlich instrumentalisierbaren Bereichen abspielt, kann man folgendes beobachten:
1. Humangenetiker und Anthropologie (insbesondere Anthropological Genetics) werden von Vertreter rassischer "Konzeptionen" als irrelevant bezeichnet, bzw. deren Erkenntnisse verworfen. Solche pseudo-wissenschaftlichen Ansätze findet man zB hier in #1, 3 etc. Oben ist die "Strategie" solcher Argumentationen angesprochen worden: damit sollen zunächst einmal störende Erkenntnisse der Humangenetik beseitigt werden, die darauf hinweisen, dass die genetische Vielfalt in allen historisch vorgeschlagenen Rasse-Einteilungen größer ist als der genetische Abstand zwischen solch definierten, letztlich willkürlich abgegrenzten Rassen. Die Ausgrenzung der wissenschaftlichen Erkenntnisse dient der Überleitung zum Dogma der Rassetypisierung, mit Verweis auf "gesunden Menschenverstand" zum Erkennen menschlicher Unterschiede, zum Verfechten der Begriffshülse "Rasse".*
2. Ausgangspunkt der Argumentation pro-Rasse-Kategorien bilden sodann regelmäßig Körperbau, Physiognomie, Phänotypen etc. Daran hat sich im Prinzip seit 150 Jahren nichts geändert, obwohl Anthropologen und Humangenetiker dieses inzwischen verworfen haben. Diese Argumentationen stört das nicht, und gebetsmühlenartig heben sie auf den gleichen Kern ab: körperliche Unterschiede gleich welcher Art seien hinreichender "Beweis" für die Richtigkeit von Rasse-Clustern, allerdings ohne dass die rasse-bildenden, rassetypischen Merkmale der menschlichen Konstitutionstypen, der Physiognomie, Gesichtszüge oder Pigmentierung etc. genannt werden können. Natürlich legt man sich hier auf nichts fest, um die Argumentation flexibel zu halten.
3. Rassekategorien werden in einem weiteren Schritt (über die "Phänotypen" hinaus) mit zuzuweisenden unterschiedlichen körperlichen und geistigen Fähigkeiten und Eigenschaften sowie mit kulturellen Unterschieden verbunden. Man muss sich die Mehrstufigkeit vor Augen halten: (a.) werden die Phänotypen als Kernargument für die Rasseeinteilung benutzt, (b.) eine genetische Variation anschließend bei den "so bewiesenen" Rassetypen unterstellt wird, (c.) unterschiedliche Fähigkeiten, Eigenschaften und in der Folge kulturelle Unterschiede aufgrund der genetischen Unterschiede angenommen.
4. Kombiniert man konstruierte Rasse-Taxonomien mit daraus abgeleiteten unterschiedlichen Eigenschaften, Fähigkeiten und Kulturen wiederum mit behaupteter genetischer "Verwandschaft" im Sinne von diffusen "Abstammungseinheiten" (Verwandschaft ist hier natürlich nicht im humanbiologischen, anthropologischen, soziologischen Sinn etc. gemeint, worauf etwa juristische Definitionen von "Verwandschaft" zurückgreifen), landet man bei der Abgrenzung von Ethnien, "Völkern", unterstellter ethnischer Homogenität. Hier wird es kritisch: aus der Diskussion angeblich feststehender Rasse-"Differenzen" ist es ein kurzer Schritt zum "Vergleich", zu Bildung ethnischer "Milieus", Wertigkeiten etc. Selbstredend gibt es für solche populationsbezogenen "Verwandschaftlichkeiten" und Abstammungseinheiten wiederum außer Phänotypen keine klaren Kategorien (siehe oben 1., Humangenetik wird von den Vertretern verworfen, weil die Argumentation störend).
Ethische Betrachtungen der einschlägigen Fachwissenschaften zum Rassebegriff ...
- auch rechtsethische (sozusagen Ausdruck des gesellschaftlichen Konsenses), in Übernahme der eindeutigen Erkenntnisse von Anthropologie, Humangenetik etc. -
...weisen darauf hin, dass die fortgeführte Vertretung von Rasse-Kategorien außerhalb der wissenschaftlichen Diskussion die Rasseidee auf ein simplifizierendes, naives, ideologisch-politisierendes Niveau verlegt. Dies erfolgt, um die Rassen-Taxonomie bzw. rassische Stereotypen aufrecht erhalten zu können (Graves 2006: "What We Know and What We Don't Know: Human Genetic Variation and the Social Construction of Race").
Warum bedarf es dieses ethischen Betrachtungen der Fachwissenschaften, wenn die Rassen-Typisierung verworfen und "Rasse" lediglich als "soziales Konstrukt" bezeichnet wird. Die Erklärung ist einfach: Rasse oder Ethnie wird durchaus wissenschaftlich als "Ersatzmerkmal" für statistische Cluster-Bildungen verwendet. Dass die hier involvierten Wissenschaftler (zB bei statistischen Betrachtungen zu Krankheiten, Lebenserwartungen, körperlichen Eigenschaften) regelmäßig darauf hinweisen, dass es sich bei diesem "Rassebegriff" lediglich um ein statistisches Konstrukt für vermutete Häufigkeitsverteilungen in Populationen, nicht aber hierin um den "Nachweis" von Rassen handelt, sozusagen Ersatzmerkmal für soziale Milieus, wird von Verfechtern der Rassetypisierung regelmäßig ausgeblendet. Hier schließt sich dann der Kreis:
"Although a broad range of associations between genetic markers and human traits - including diseases - is emerging, any accompanying correspondence with race or ethnicity is statistical.
Although certain relatively rare genetic diseases, such as Tay-Sachs, are found in higher frequencies in some human populations, the result of population bottlenecks or environmental pressure, these diseases are also found in other populations. Overemphasizing the genetic contribution to complex human disease or behavioral traits can promote not only racism, but also a naive genetic essentialism - the notion that genes determine health status or behavior. Such essentialism is particularly dangerous in clinical translation, where a focus should be maintained on the individual rather than the group."
Genome Biology | Full text | The ethics of characterizing difference: guiding principles on using racial categories in human genetics
Soo-Jun Lee et. al., "The ethics of characterizing difference: guiding principles on using racial categories in human genetics"
Man muss nicht besonders erwähnen, dass diese Verwendung dann wieder in pseudo-wissenschaftlichen Argumentationen pro-Rasse auftauchen, natürlich ohne den ausgeblendeten Kontext des sozialen Konstruktes "Rasse" als statistische Cluster zB in Diskriminanzanalysen. Ebenso werden Ethnien oder Abstammungseinheiten als Ersatz für den wissenschaftlich verworfenen Rassebegriff verwendet.
Voraussetzung für das alles ist natürlich das Festhalten am Rassebegriff, oder dessen leiser, inhaltlich gleichbleibender Ersatz durch Ethnien (Ethnozentrismus), "Abstammungseinheiten", etc.
* kennzeichnend ist, dass weder für fortgesetzte Rassetypisierungen wissenschaftliche Literatur beigebracht werden kann, noch wird sich mit der anthropologischen Literatur auseinander gesetzt, die Rassetypisierungen verwirft.
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Zum den Grenzbereichen, wenn Unterschiede "ethnisiert" und als Stereotypen gehandelt werden, siehe zB:
Ethnie
Mythenbildung und Instrumentalisierung in rechtsextremen Szenen | Brandenburgische Landeszentrale für politische Bildung
Ethnie