Ich hab mich mal mit diesen Genetik-Kram von
Dienekes aus einander gesetzt und musste feststellen, dass es hierbei nur um eine Pseudowissenschaft handelt. Dieser Artikel basiert auf grundlegende Fehlannahmen.
Dienekes' Anthropology Blog: How Turkish are the Anatolians?
Allein schon die Frage “wie türkisch sind die Anatolier” zeigt schon die grundlegende Fehlannahme. „Türkisch“ hat eine sprachliche, ethnische oder kulturelle Bedeutung und hat absolut nichts mit Genen zu tun. Der Autor dieses pseudowissenschaftlichen Artikels hat offensichtlich nicht die geringste Ahnung davon, was ein Volk aus macht.
The Anatolians are the ethnic descendants of both the indigenous populations of Asia Minor who converted to Islam (and were thus spared from the genocidal campaign of the Ottomans and Kemalists during the early 20th century), and also of non-indigenous populations from the Balkans, the Middle East, and Central Asia.
Die Beschreibung der türkischen Ethnogenese ist nach der maßgeblichen Wissenschaft falsch. Die Türken sind im Wesentlichen die Nachommen der Oghusen sowie der autochthonen Bevölkerung Anatoliens, mit der die Oghusen sich vermischten, und erst in weiter Hinsicht Nachkommen von Einwanderern aus den Balkan und Kaukasus.
»Schon Ende der 20er Jahre des 11. Jh. unternahmen türkmenische Reiter – in den islamischen Quellen werden die islamisierten Oghusen Türkmenen genannt – einen Beutezug in das armenisch-byzantinische Grenzgebiet, in dem sich seit den 40er Jahren derartige Überfälle dann zusehends häuften. Sie sollten schließlich das Ende der Herrschaft von Byzanz in Anatolien zur Folge haben. Alp Arslan (1063-1072), ein Neffe und zugleich der Nachfolger Toğrıl Begs, schlug 1071 bei Manzikert die byzantinischen Streitkräfte. Kleinasien wurde in den folgenden Jahren von den Türkmenen überflutet. Sie stellen in ethnischer Hinsicht im Wesentlichen die Urahnen des türkischen Bevölkerungsteils der heutigen Türkei dar. « (Matuz, Josef: Das Osmanische Reich. Grundlinien seiner Geschichte, 4., bibliographisch ergänzte Auflage 2006, S. 15f)
»Es zeigte sich, dass die Türken in Anatolien nicht nur Fuß gefasst, sondern auch Wurzeln geschlagen hatten. Längst gab es die von den Byzantinern so genannten 'Halbbarbaren' (mixovarvaroi), Nachkommen aus muslimisch-christlichen Ehen. Es zeigte sich, dass Kleinasien erst wieder 'byzantinisiert' werden musste. Man hatte ja größere Teile der Bevölkerung vor der türkischen Eroberung systematisch evakuiert, andere waren geflohen; und so stellten in vielen Landesteilen Türken schon früh die Bevölkerungsmehrheit. « (Neumann-Adrian, Michael / Neumann, Christoph K.: Die Türkei. Ein Land und 9000 Jahre Geschichte, München 1990, S. 164)
From Central Asia came the Turks, who were the main agent for the Islamization and during the last century Turkification of Asia Minor.
Diese Aussage ist völlig falsch.
»Aus einer vielleicht im 13. Jahrhundert erreichten relativen Bevölkerungsmehrheit der Türken wird spätestens im 15. Jahrhundert ein absolutes Übergewicht. « (Kreiser, Klaus: Der Osmanische Staat. 1300-1922 [=Oldenbourg Grundriss der Geschichte, Band 30], 2., aktualisierte Auflage, München 2008, S. 5)
To what extent are the Anatolians descended from Central Asian Turks? The study of Cinnioglu et al. (2004) discovered an occurrence of 3.4% of Mongoloid Y-chromosomal haplogroups in Anatolia (haplogroups Q, O, and C).
Hier wird das pseudowissenschaftliche Vorgehen der Populationsgenetik deutlich. Es wird ohne jegliche wissenschaftliche Evidenz davon ausgegangen, dass die einwanderten Türken bestimmte Haplogruppen hatten (Q, O und C).
Haplogruppe Q sind am typischsten für Inuit (Eskimo) und Selkupen. Bei Turkvölkern in Zentralasien kommt diese Haplogruppe kaum vor. Nur bei den Altaiern am Altai-Gebirge beträgt der Anteil dieser Haplogruppe ca. 10%. Bei den Jakuten ca. 5%. Wieso wird eine Haplogruppe als Maßstab genommen, die bei den Türken Zentralasiens kaum vorkommt, aber am stärksten bei den Eskimo vertreten ist? Und inwiefern diese Haplogruppe bei den eingewanderten Oghusen vertreten war, ist völlig unklar.
Die Haplogruppe O ist am stärksten bei Chinesen (ca. 75%), Japanern (ca. 50%) und Tibetern (ca. 30%) vertreten. Bei den meisten Turkvölkern kommt diese Haplogruppe kaum/nicht vor. Nur bei den Kirgisen beträgt sie ca. 20%, bei den Uighuren ca. 10% und bei den Kasachen ca. 5%. Was haben Japaner, Tibeter und Chinesen mit den Oghusen zu tun? Ob die Oghusen diese Haplogruppen überhaupt hatten, ist übrigens völlig unklar.
Die Haplogruppe C kommt bei einigen Turkvölkern in Zentralasien mehr oder weniger vor, ist aber bei den meisten Turkvölkern in Zentralasien in der Minderheit. Diese Haplogruppe findet man am häufigsten bei Ewenken (ca. 70%), Burjaten (ca. 60%) und Mongolen (über 50%). Diese Haplogruppe ist nicht am typischsten für Turkvölker. Auch wenn sie bei einigen vorkommt. Wie bei den Kasachen (ca. 40%), Altaier (fast 25%) und Usbeken (ca.10%). Wie stark diese Haplogruppe nun bei den Oghusen vertreten war, ist völlig unklar. Die genetische Variabilität der eingewanderten Türken Anatoliens ist in Wahrheit völlig unbekannt. Eine Tatsache, die die Pseudowissenschaftler von der Populationsgenetik einfach unterschlagen. Es werden völlig willkürlich Haplogruppen ohne jegliche Evidenz als Maßstab genommen, die zwar am typischsten für Eskimo, Chinesen und Ewenken sind, aber bei Turkvölkern in Zentralasien nur eine Minderheit darstellen.
Hier ist eine Karte mit der Verteilung der Y-Haplogruppen bei Völkern:
http://freepages.genealogy.rootsweb.ancestry.com/~robert/Y-Haplogroups-1500AD-World-Map.png
Unverständlich ist, wieso ausgerechnet nur die Haplogruppen (Q, O und C) als Maßstab genommen wurden und keine anderen. Diese Haplogruppen sind typisch für mongolide Völker in Ostasien (Chinesen und Japaner)und Nordsibirien (Burjaten und Ewenken). Es stellt sich doch die Frage, wieso Populationsgenetiker davon ausgehen, dass die eingewanderten Türken diese Haplogruppen hatten. Die gehen tatsächlich davon aus, dass es sich bei den eingewanderten Türken um ein genetisch (und natürlich auch anthropologisch
) rein ostasiatisches Volk gehandelt hat, dass nach 5000km Wanderschaft bei einer Dauer von ca. 5 Jahrhunderten völlig unvermischt mit europiden Völkern nach Anatolien migrierte. Wer das wirklich glaubt, hat nicht die geringste Ahnung von der Ethnologie Zentralasiens. Eine derartige Kontinuität von nomadischen Verbänden bei solchen Entfernungen ist ohnehin höchst unwahrscheinlich. Nomadische Stammesverbände waren ständigen Veränderungen unterworfen. Nur weil ein Stamm im 8. Jh. in der heutigen Mongolei als „Oghusen“ erwähnt wird, muss das noch lange nicht bedeuten, dass der Stamm, der im 10. Jh. am Aral-See ebenfalls „Oghusen“ genannt wurde, von der ethnischen Zusammensetzung identisch sein muss, mit dem in älteren Quellen namensgleichen Stamm.
Die frühen Türken in Zentralasien waren keine reinen Ostasiaten und die heutigen sind es auch nicht. Schon gar nicht genetisch. Das zeigt allein die Tatsache, dass die
Altaier am Altai-Gebirge genetisch eher mit Inder oder Norweger (!) verwandt sind als mit Mongolen. Die Wissenschaft geht davon aus, dass an der Ethnogenese der frühen Türken in Zentralasien indoeuropäische Völker einen bedeutenden Anteil hatten. Vielleicht wären schon Angehörige des historischen Stammes der „Türk“ im Gebiet der heutigen Mongolei durch so einen „Genetik-Test“ durchgefallen:
»Es muss bislang offenbleiben, ob es sich bei den Türk um türkisierte Iraner handelte oder ob sie als Türken im heutigen Sinne iranische Elemente in ihre Lebensformen aufgenommen haben. « (Scharlipp, Wolfgang Ekkehard: Die frühen Türken in Zentralasien. Eine Einführung in ihre Geschichte und Kultur, Darmstadt 1992, S. 18)
Das es sich bei den Artikel von Dienekes nur um pseudowissenschaftlicher Müll handelt, wird allein an der Tatsache deutlich, dass sogar Chinesen (Dunganen) als Maßstab herhalten müssen. Übrigens haben die
Jakuten nur ca. 12% dieser Haplogruppen (Q, O, C). Die dürften nach diesen Test überwiegend nicht aus Zentralasien stammen.