Historiker sind auf Quellen angewiesen, und aus diesen Quellen lassen sich bestimmte Fakten ableiten.
Diese Fakten lassen sich nicht einfach je nach ideologischer Großwetterlage kontrafaktisch wegwischen. Es können Historiker nicht Geschichte neu schreiben. Historische Fakten lassen sich vielleicht unterdrücken, man kann sie leugnen.
Es ist doch ein wenig irritierend, was hier geschrieben wird. Die Deutung von historischen Ereignissen als allgemein akzeptierter Narrativ ist hoch konfliktorientiert, da sie teilweise politische Interessen legitimieren oder delegitimieren will oder soll, vgl. z.B. die Deutung des WW1 nach 1918. Und die Kontroverse hat - trotz der bahnbrechenden Arbeiten von Albertini - lange angehalten. Und unterlag anhaltendem Revisionismus bis 2014.
Wilson, Keith M. (1996): Forging the collective memory. Government and international historians through two World Wars. Providence: Berghahn Books.
Ähnlich kontrovers und konfliktorientiert im "Historikerstreit". Und im Ergebnis "eigentlich" offen.
Augstein, Rudolf (1991): "Historikerstreit". Die Dokumentation der Kontroverse um die Einzigartigkeit der nationalsozialistischen Judenvernichtung. Orig.-Ausg., 8. Aufl. München, Zürich: Piper
Und erneut aufgeflammt im Rahmen der Diskussion um die Rolle der Hohenzollern.
Malinowski, Stephan (2021): Die Hohenzollern und die Nazis. Geschichte einer Kollaboration. 5. durchgesehene Auflage. Berlin : Propyläen.
Dabei kann man auch erfolgreiche und produktive Beispiele von Revisionismus und Gegendarstellung sehen, wie in der provokativen und revisionistischen Arbeit von Taylor und der argumentativen Widerlegung durch die Autoren um Martel.
Martel, Gordon (1999): The Origins of the Second World War reconsidered. 2nd ed. London, New York: Routledge.
Taylor, A. J. P. (2001): The origins of the Second World War. Ringwood, Vic.: Penguin Books.
Und die Diskussion über "Appeasement" auf der Basis des - angeblichen - Appeasments durch Chamberlain ist bis in die heutige Zeit als "Muster" für Außenpolitik wirkungsmächtig. Dabei ist die Deutung der Politik im historischen Kontext durchaus umstritten, trotz eindeutiger Faktenlage auf der Grundlage der freigegebenen Dokumente.
Sicherlich sind Quellen ein Gerüst, da sie empirische Evidenz bereitstellen. Mehr nicht! Der Rest ist im wesentlichen das Ergebnis einer "plausiblen Deutungshoheit" durch die jeweilige "Scientific Community", wie u. a. im Diskursmodell bei Habermas beschrieben.
"Wissenschaftliche Wahrheit" basiert auf Diskurs, Widerspruch und Konsens und kann sich durch einen erneuten Diskurs in der Bewertung verändern (vgl. Mannheim, Halbwachs etc.)
Die Art der Deutung - als Narrativ - ist u.a plausibel bei Gruber beschrieben und bedient sich - wie bei Wehler u.a. beschreiben - einer Vielzahl von "Hilfskonstruktionen", die individuelles und kollektives Handeln plausibel macht.
Wehler, Hans-Ulrich (Hg.) (1974): Geschichte und Psychoanalyse. Frankfurt/M.: Ullstein
Wehler, Hans-Ulrich (Hg.) (1984): Geschichte und Soziologie. 2. Aufl. Königstein/Ts.: Atheneum
Das handelnde Individuum in der Geschichte
Dabei unterliegt das Erinnern einer Vielzahl von Einflussfaktoren und es ergibt sich wohl einer Interaktion zwischen der gesellschaftlichen Agenda und der Publikation von historischer Forschung. Zumindest bei den Themen, die einer "politisch ideologische" Aufladung erfahren können.
Die gesellschaftliche Konstruktion von Narrativen, also u.a. auch der "Gründungsmythos" von Nationalstaaten unterliegt dabei einer hochgradigen Emotionalisierung. Wie u.a. auch bei dem Thema "Bandera" und dem ukrainischen Gründungsmythos" deutlich erkennbar war und "interessante" Thesen hervorgebracht hat.
Assmann, Aleida (2009): Erinnerungsräume. Formen und Wandlungen des kulturellen Gedächtnisses. 4. Aufl.. München: C.H. Beck.
Assmann, Aleida (2016): Formen des Vergessens. Göttingen: Wallstein Verlag
Halbwachs, Maurice (1985): Das Gedächtnis und seine sozialen Bedingungen. 1. Aufl. Frankfurt am Main: Suhrkamp
Mannheim, Karl (1995): Ideologie und Utopie. 8. Auflage. Frankfurt am Main: Vittorio Klostermann.
Mannheim, Karl; (1980): Strukturen des Denkens. 1. Aufl. Frankfurt am Main: Suhrkamp
Welzer, Harald (2011): Das kommunikative Gedächtnis. Eine Theorie der Erinnerung. 3. Aufl. München: Beck
In diesem Sinne ist Geschichtsschreibung ein permanenter Prozess der kumulierten Anhäufung von Wissen mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit zur Revision von Interpretationen.
Und es sei noch angefügt, dass im Rahmen der "Karriereplanung" ein aufstrebender Historiker auch deshalb erfolgreich sein kann, weil er die Deutungen und Ergebnisse von Kollegen "vom Kopf auf die Füsse oder andersherum" gestellt hat. Wie im Fall der Verwunderung von Krumeich zu den Arbeiten von Schmidt zu Frankreich.