Aber das Beispiel Ariovist zeigt, dass es diese mobilen Truppen gab, die wahrscheinlich mit irgendwelchen Stammesnamen nicht zu beschreiben waren, die sich sammelten und über Jahre ein Leben führten, in dem sie nicht die harte Bauernarbeit ausführen mussten.
Die von Tributen, Raub, Plünderungen usw. lebten, parallel zur Bauerngesellschaft mit ihren Pflügen.
Warum sollte Ariovist da ein Einzelfall sein?
Das Problem an dieser Vorstellung ist mE, dass die germanische Gesellschaft nicht produktiv genug war, um viele Menschen von der Produktion von Nahrungsmitteln zu befreien.
Hätten germanische Adlige/Häutplinge/WieimmerwirdieOberhoschisauchnennen eine zahlreiche, auf sie eingeschworene Gefolgschaft von "Berufskriegern", hätten sie das politische Geschehen mehr unter Kontrolle gehabt, als das der Fall gewesen zu sein scheint. Ich beziehe mich va auf diesen Thread, wo das Thema diskutiert wurde:
Wie waren die Germanen des Arminius gesellschaftlich organisiert?
Wo immer Ariovists Heer auch herkam, er führte es nach Gallien, die im Großen und Ganzen wirtschaftlich weiter entwickelt war; weit genug, um einen von der normalen Arbeit befreiten Kriegerstand (plus Druiden...) zu unterhalten, der die führende politische Klasse war, wenn wir Caesar hier trauen dürfen. Ich spekulier mal und sag, in Germania Magna wäre ein solches Heer nicht lange zusammen geblieben, da die Versorgung nicht möglich gewesen wäre.
Woher kamen also Ariovists Leute, und warum waren Germanen so zahlreich in den Legionen vertreten? ME eine Folge eben der geringen Entwicklung der Produktivkräfte. Einerseits waren die Germanen, verglichen mit ihren Nachbarn im Westen und Süden, materiell ärmer, also eine Motivation gegeben, vom Reichtum dieser Nachbarn mit zuprofitieren, sei es als Eroberer, sei es als Söldner. Anderer seits waren diese Gesellschaften mE zerstritten genug, um von häufigen Kleinkriegen ausgehen zu können, untereinander oder gegen Nachbarn, und sie waren egalitär genug, um alle oder einen großen Teil der (jungen) männlichen Bevölkerung die Möglichkeit zu geben, an diesen Kleinkriegen teilzunehmen, oder zumnidest darauf vorbereitet zu werden. Das war im römischen Gebiet mit dem Entstehen einer Berufarmee nicht mehr der Fall, und wenn ich das richtig erinnere berichtet Caesar von den Galliern, dass dort va der Kriegerstand militärisch geschult war; was Ariovists Erfolg mit erklären könnnte.
Was es in einem solchen Umfeld oft gibt sind Kriegs-/Räuberbanden (meist junger) Männer; jüngere Söhne, solche mit, sagen wir, juristischen Komplikationen an der Hacke, Bauern, die durch Krieg, Dürre, Naturkatastrophe oä ihren Unterhalt verloren hatte etc., und nun versuchten, mit dem Schwert einen Statusgewinn zu erreichen. Ariovist war vielleicht der Anführer eine solchen Bande, die lange genug erfolgreich in germanischen Kleinkriegen war, dass sie genug Leute anzog, um den Stunt in Gallien durchzuziehen, bis ihnen Caesar in die Quere kam.
Ein Sieg über Varus erscheint sehr viel wahrscheinlicher, wenn wir davon ausgehen, dass es Arminius gelang, verschiedene "Warlords" (oder "proto-fränkische" Kleinkönige?) vom Schlage eines Ariovist zu sammeln, sicher auch unterstützt von lokalen Bauern, aber im großen und ganzen Krieger, die von den Tributen der Bauern lebten, und denen unter römischer Herrschaft die Felle davonschwammen. Ein nicht so abwegiges Szenario.
Davon berichten die Quellen aber nichts. Gut, die sind auch eher dünn, zugegeben. Dennoch erscheint es mir wahrscheinlicher, dass es wie sonst allgemein angenommen ein Aufstand verschiedener Stämme war, alsa weiter Teile der Bevölkerung. Damit lassen sich die notwendigen Zahlen (viele tausend) mE besser erklären als mit Heeren von Beruskriegern, die sonst keine Erwähnung finden. Wenn ich mit meiner obigen Annahme richtig liege, dass eine "militärische Grundausbildung" weit verbreitet war (zumindest im Guerillakrieg... bzw Überfällen & Viehstehlen...),
kann ein solches Aufgebot durchaus gefährlich werden; wenn es a) überhaupt erst mal zusammen kommt, b) lange genug versorgt werden kann, um nicht wieder auseinanzuderlaufen, wofür es c) eine gute Organisation und Führung bedarf; neben dem politischen Willen, das ganze überhaupt zu versuchen. Hätte es solche militärischen Anführer mit entsprechenden Truppen gegeben, wären das doch die ersten gewesen, die die Römer entweder angesprochen und für sich vereinahmt hätten, um durch sie die Region zu kontrollieren, oder sie gezielt aus dem Weg geräumt hätten, um sie als Gefahr auszuschalten.
ME war es genau das Fehlen solcher ständigen militärischen oder politischen Strukturen, dass die Römer vor große Probleme stellte; so große, dass die dauerhafte Besetzung nicht lohnte, bei dem zu erwartenden, eher mickrigen Ertrag. Es gab keinen etablierten Adel, der mächtig genug gewesen wäre, durch ihn bzw seine Romanisierung die Kontrolle zu erlangen; keine ständige Armee, die man besiegen konnte; keinen König, den man unterwerfen (und dann seine Bürokratie nutzen) konnte.
Und jetzt fällt mir erst auf, wieviel mehr ihr gewschrieben habt seit ich das letzte mal in diesen Thread geschaut habe. Evtl später mehr.
EDIT
Ich meine nur: der Alltag innerhalb der Stämme war geregelt und friedlich. Stammeszugehörigkeit bedeutete auch Rechtssicherheit, gleiches Wertesystem.
Wenn das Rechtssystem Blutrache beinhaltet (wie bei den Germanen anzunehmen), passt auch das zu einer Gesellschaft, die zumindest hin und wieder zur Gewalttätigkeit greift...
Außerdem waren diese Stämme (oder wie immer die sich nun genau organisiert haben, wer nun genau als "gleich" angesehen wurde; mE war das zunächst die eigene Großfamilie bzw Sippe) eher klein und überschaubar; das waren noch nicht die Großstämme späterer Zeit wie die Sachsen oder Baiern. Will sagen, Leute mit ganz anderem Rechtssystem und ganz anderen Werten (aber dafür sehr interessanten Kühen) lebten sicherlich nicht allzu weit entfernt.
Es will mir einfach nicht in den Sinn, dass die germanischen Stämme, trotz allen Zwist, nicht Rom frühzeitig als gemeinsamen Feind erkannt und entsprechend gehandelt haben.
Ja, ich weiß, es gibt zig Argumente dagegen und einige haben auch durchaus ihre Berechtigung, nur ...
Naja, Segestes hin oder her, es gab sicherlich Germanen, die die Partei der Römer ergriffen, weil sie sich von der römische Herrschaft etwas versprachen. Positiv gewendet: Eine wirtschaftliche Entwicklung, Einschluss in die weit überlegene Ökonomie des römischen Imperiums, die
pax romana, was ein Ende der mE häufigen Kriege der Stämme untereinander bedeutet hätte, und das römische Rechtssystem und damit Stabilität und Rechtssicherheit. Solche Germanen, va wenn sie eigenes Vermögen oder eine entsprechende Abkunft mitbrachten und römische Bildung erwarben, wären romanisiert die perfekten Leute, zusammen mit römischen Siedlern eine Provinz Germania Magna zu etablieren. Und damit, negativ gewendet, natürlich einen gehörigen persönlichen Gewinn einzustreichen, auchauf Kosten ihrer Landsleute oder gar Verwandten, denen die römische Herrschaft weniger gut bekommen ist.
Diese Leute haben halt aufs falsche Pferd gesetzt, wie man so schön sagt...