Ashigaru schrieb:
@ El Quijote: danke für diesen Beitrag, ich wollte auch schon etwas dazu schreiben.
Die Verlustzahlen in der Antike sind so gut wie immer maßlos übertrieben und dienen stets dazu (mir ist zumindest kein anderer Fall bekannt) die Siege noch überragender darzustellen. Es gab dazu kürzlich hier eine Diskussion bezüglich der Verlustzahlen bei den Schlachten Alexanders des Großen, der Name des Threads will mir aber nicht einfallen.
Diese These ist interessant, weil sie doch ein schlechtes Licht auf die Antike wirft, wonach Tote bei den Gegnern - unabhängig ob Zivilbevölkerung oder nicht - nicht etwas zu vermeidendes, sondern als etwas positives angesehen werden...
Ashigaru schrieb:
Leider habe ich dazu keine entsprechende Literatur, aber wenn man sich vorstellt, dass nach dem "Gallischen Krieg" nur noch ein Drittel der männlichen Bevölkerung in Gallien gelebt haben soll, dann hätte das wohl unvorstellbare demographische Folgen gehabt (Abnahme der Geburtenrate, Arbeit/Landwirtschaft hätten nicht mehr im gleichen Maße betrieben werden können, Überalterung). Die Entwicklung der Provinz spricht dagegen, auch dass die Stämme im Prinzip bis in die Kaiserzeit weiterexistierten ("Civitates" sind meistens nach den dort lebenden Stämmen benannt).
Na ja, Gallien wurde halt von den Römern zwangsassimiliertm, weswegen die drastischen Verluste an der Zivilbevölkerung in gewissem Sinne aufgefangen werden konnten. Fakt aber ist wohl, daß die gallischen Kulturen, v. a. die der Cäsar feindlich gegenüberstehenden Stämme, als eigenständige Kulturen de facto aufgehört haben zu existieren.
Zu dem Umfang der römischen Bevölkerungsgruppen, die sich nach den Gallischen Kriegen in dieser Region niederließen, schrieb Aquilifer: "Einzig die VI. und X. Legion, die Anfang des Jahres 45 noch in Spanien standen, wurden von Caesar in die provincia transalpina entlassen. Das war keinesfalls die übliche Verfahrensweise, aber für diese Zahl an Kolonisten konnte in Italien kein Land mehr bereitgestellt werden.
Insgesamt wurde eine colonia von Caesar begründet: Arelate bei Massilia. Die restlichen Kolonisten wurden in Narbo (gegründet schon 118) angesiedelt. Ob Caesar plante weitere coloniae anzulegen ist nicht bekannt, jedoch ist davon auszugehen, dass die unter Plancus um 44 oder 43 entstandenen, nämlich Lugdunum und Raurica, auf die acta Caesaris zurückzuführen sind."
Tib. Gabienus schrieb:
Jetzt wechseln wir wieder die Region...
Nun ja, wenn Cäsar eine ganze Stadt vernichtet, dann schließt das sein Wüten auf den Dörfern ja nicht aus. Abgesehen davon war Avaricum anscheinend die einzig bewohnbare Ortschaft der Bituriger gewesen, da dieselben im Krieg gegen Cäsar ja die Politik der Verbrannten Erde verübten.
Tib. Gabienus schrieb:
Und wie wir vorher gesagt haben, zog Caesar nicht los und hatte vor "die Gallier" oder "einzelne Stämme" die im übrigen als nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe mir irgendwie nicht zusagen, ganz oder auch nur teilweise zu vernichten. Das ergab sich immer aus der Situation heraus und wie du selbst anhand von Beispielen "belegt" hast, ist er dabei keineswegs radikal vorgegangen (radikal bedeutet gründlich).
Avaricum war nicht radikal?
Die Zahlenverhältnisse an gallischen Opfern sind nicht radikal?
Tut mir leid, aber unter dem Terminus "Radikal" scheinen wir beide wohl etwas anderes zu verstehen. =)
Es ist doch bezeichnend, daß Cäsar seine Soldaten immer überall dort sich austoben ließ, wo er einen feindlichen Stamm wähnte. Für ihn waren die Bewohner desselben eben potentielle Feinde. Zudem spielten wohl auch niedere Motive wie Rache und Vergeltung mit hinein. Und gekoppelt mit der Tatsache, daß solcherlei Maßnahmen den späteren Assimilierungsprozeß Galliens unterstützten, um die Kultur der feindlichen gallischen Stämme auszulöschen, diesen gallischen Stämmen ihr Bewußtsein, ihre kulturelle Identität zu nehmen und Widerstand zu prohibieren, gehen die maßlosen Attacken Cäsars gegen die gallische Zivilbevölkerung weit über das Maß hinaus, was kriegsbedingt notwendig gewesen wäre, weswegen das Verdikt "Führen eines imperialistischen Aggressionskrieg" eben nicht ausreicht. Und da nach heutigen Kriterien das Vergehen "das Zufügen von ernsthaften körperlichen oder geistigen Schäden bei Angehörigen der Gruppe" sowie das Vergehen "die absichtliche Auferlegung von Lebensbedingungen, die auf die völlige oder teilweise physische Zerstörung der Gruppe abzielen" zwecks (hier
teilweisen Vernichtung einer Volksgruppe schon ausreicht, um sich das Verbrechen Völkermord zuschulde kommen zu lassen, treffen diese Kriterien auf Cäsar wohl oder übel zu, unabhängig davon, was wir davon halten, diese modernen Kriterien auf die Antike anzuwenden.
Tib. Gabienus schrieb:
In der Tat geht es um die. Wenn du Caesar besondere Grausamkeit vorwerfen willst, würde das ein abnormes Verhalten für seine Zeit (unsere Zeit zählt nun mal nicht) voraussetzen. Und gerade stellten wir fest: es war usus so zu handeln. Also kann man ihm aus der Sicht seiner Zeitgenossen nichts vorwerfen. Nur und ausschließlich aus heutiger Sicht, und die kann eben nicht ausschlaggebend sein.
Nun ja, da ich mich im Rahmen meines Studiums mit Cäsar auseinandersetzen mußte, kam er mir natürlich gerade recht, um seine Verfehlungen anzuprangern. Ich hätte genauso gut Caligula, Hannibal oder Dschingis Kahn nehmen können. Nur da Leute wie Dschingis Kahn oder Attila im Gegensatz zu Cäsar schon mit einem obskuren Ruf behaftet sind, dürften diese wohl weniger reizvoll sein, an den Pranger gestellt zu werden.
Noch einmal: Ich will Cäsar nicht eine für damalige Verhältnisse "besondere Grausamkeit" zitieren. Was ich will, ist seine Grausamkeiten als solche darzustellen. Der Imperialismus hat eine lange Tradition in der Menschheitsgeschichte und muß bekämpft werden, wo man ihn trifft. Und da ist Cäsar gewissermaßen als Paradebeispiel eines imperialistischen Politikers natürlich allererste Wahl.
Tib. Gabienus schrieb:
DIe Römer waren notorisch davon überzeugt, dass niemand berechtigt war, sich ihrr Herrschaft zu widersetzen: Gegen Rom zu kämpfen bedeutete zu rebellieren. Und Rebellen hatten jedes recht auf einen Platz in der römischen Gesellschaft verloren: Sie hatten sich selbst von der Gemeinschaft der zivilisierten Bevölkerung ausgeschlossen und verdienten den Tod. Aus ihrer Milde heraus (da ist deine angesprochene Clementia auch im Kriege Anm. Tib.) entschieden sich die Römer gelegentlich dafür, ihnen ein neues Leben zu gewähren." Danach nimmt er Bezug auf die Wortentwicklung, auf die antike Autoren hin und wieder verweisen, von servare zu servus.
Ist aber trotzdem eine anmaßende Geisteshaltung.
Tib. Gabienus schrieb:
Wie ich darauf komme? Die Römer hatten schon erste Erfahrungen gesammelt, auch oder gerade im gallischen Krieg, mit Verbündeten, die sich gegen sie wandten und waren sich deren Bedrohungspotential bewußt. Wenn sie also zum Mittel des Völkermordes gegriffen hätten, und dies eine außerordentliche Tat war, dann erstaunt die Inkonsequenz gegenüber der Bedrohung direkt an ihrer Tür.
Mit Verlaub, aber das ist mir zu Schwarz-Weiß gedacht. Das akute Bedrohungsgefühl für Cäsar waren nun einmal die
feindlichen Stämme Galliens und nicht die freundlichen. Gegen die wand er sich deswegen. Nun hätte Cäsar natürlich, um wirklich jede Gefahr zu prohibieren, auch die freundlichen Stämme Galliens ausrotten können, da sie sich ja später gegen ihn wenden
könnten. Aber das wäre seiner Strategie, nämlich die gallischen Stämme gegeneinander auszuspielen, in keinster Weise gerecht geworden. Außerdem könnte Cäsar ja gewissermaßen alle Menschen auszurotten versuchen, da ja jeder ein potentieller Attentäter von ihm sein könnte o. ä. Ich hoffe, Du siehst, daß wir mit solcherlei Gedankenspielen nicht sehr weit kommen...
Tib. Gabienus schrieb:
Wie bitte? Einen wütenden Mop kann niemand kontrollieren. Der Versuch die Plünderung Mainz in der Kaiserzeit des 1. Jh. zu unterbinden büßte ein Ursupator mit seinem Leben. Nein, niemand muß sie wüten lassen. Wenn die Kontrolle verloren geht, und aus Soldaten eine Soldateska wird, ist es de facto und par definition nicht möglich, sie zu stoppen.
Erstens hatte Cäsar seine Soldaten im Griff; sie waren ihm blind ergeben. Und zweitens würde ein Wink Cäsars genügen, diese disziplinierte Meute gewissermaßen in eine blindwütige, blutrünstige und mordlüsterne Horde Hunnen zu verwandeln. Wie Dir aus der Geschichte bekannt sein dürfte, gehen obrigkeitliche Disziplin und entfesselte Gewalt oft Hand in Hand miteinander...
Tib. Gabienus schrieb:
Wenn wie gesagt deine Rechnung stimmt, und die "eigenen" Stämme nicht von dieser Rechnung ausgenommen waren wäre dies richtig. Allerdings würden dann die besiegten Stämme rein rechnerisch aufhören zu existieren.
Kulturell haben sie jedenfalls nicht mehr weiterexistiert. Ganze Kulturen sind nach den Gallischen Kriegen im Nirwana der Geschichte verschwunden.
Tib. Gabienus schrieb:
Erzähle bitte deinen Professoren, dass du eine Völkermordanklage gegenüber Caesar auf der Basis eines einzigen, fast 40 Jahre alten Sekundärwerkes entworfen hast...
Nicht nötig, ich will nicht, daß die in Ohnmacht fallen.
Ypy schrieb:
Teilweise sehe ich hier den (vielleicht unterbewussten) Versuch Geschichte in einer speziellen ideologischen Ansicht zu bewerten - ein Armutszeugnis, falls der-/diejenige sich professionell mit Geschichte befasst oder dieses in Zukunft vor hat.
Ich weiß, ideologisch sind immer die anderen... :runter:
Ernsthaft: Geschichte lebt davon, daß man Hypothesen aufstellt, um diese dann mit Fakten zu untermauern (oder auch nicht, wenn sich die Hypothese nach der kritischen Überprüfung als falsch erwiesen hat). Aber ich möchte einmal den sehen, der ohne Thesen arbeitet. Wenn niemand mehr mit Thesen arbeiten würde, wäre die Wissenschaft ganz schön arm und ihrer Kreativität, ihrer Beweglichkeit und ihres Pluralismus beraubt.