und ich habe eben genau diesen Sturm auch infrage gestellt! Warum hast du damit dann ein solches Problem?
Bis dahin habe ich gar kein Problem. Es fängt erst da an. Und das habe ich dir auch schon auf deinen ersten Beitrag hin geschrieben. Du versuchst unrettbare Passagen bei Cassius Dio zu retten, indem du den historischen Narrativ ignorierst (Wilfried hat das schön zusammengefasst, auch wenn ich mit ihm nicht in allem einer Meinung bin: Man hätte sich bei dieser Schilderung schon wundern müssen, dass die Römer auch ganz ohne germanische Angriffe überhaupt aus Germanien herausgefunden hätten) und versuchst andere, durch die Quelle nicht gedeckte Gründe für das Niederstürzen der Baumkronen zu finden, welche die textinterne Diskrepanz, dass die Germanen unbehelligt durch den dichtesten Wald laufen können, während die Römer am gleichen Ort von Baumkronen erschlagen werden, auflösen.
Das ist Kritikpunkt Nr. 1.
Kritikpunkt Nr. 2 ist, dass du willkürliche Teile des Textes nimmst und für wahr erklärst und andere ignorierst, je nachdem, wie es dir gerade für deine Hypothese in den Kram passt und sie geeignet sind, deine Hypothese zu stützen oder eben gerade nicht.
Um aber das glaubwürdig infrage stellen zu können muß man Alternativen anbieten.
Wo steht das geschrieben, dass man textinterne Widersprüche mit phantasievollen Geschichten ausfüllen muss?
Das Herabstürzen der Bäume ist an den Sturm gebunden. Kein Sturm, kein Herabstürzen der Bäume. Alles andere: Willkür.
OK, dann nennen wir das eben Hypothese, da ist für mich jetzt außer dem Wort nicht wirklich ein Unterschied.
Der Unterschied ist riesig. Eine Hypothese ist eine Annahme, eine Theorie ein Lehrgebäude.
Warum nicht? Hypothesen kann ich soviele aufstellen wie ich lustig bin und ich kann von diesen Hypothesen dann auch ableiten was will.
Es gibt natürlich im Bürgerlichen Gesetzbuch nichts was dagegen spricht.
Wissenschafts- und erkenntnistheoretisch ist das jedoch bereits seit Kant, erst recht aber mit Popper ein No-Go! Man spricht hier auch von
ad-hoc-Hypothesen oder
Hilfshypothesen. Manche Wissenschafttheoretiker unterscheiden auch zwischen
Hilfs- und
ad-hoc-Hypothesen, bei ihnen sind ad-hoc-Hypothesen Hilfshypothesen, deren Ziel es ist, eine Hypothese gegen Kritik zu immunisieren.
Velleius hat sich auf kein anderes Werk bezogen, er hat gesagt dass andere (Mehrzahl) das auch bereits geschrieben haben. Wen er mit diesen anderen gemeint hat ist zumindest mir unbekannt.
Auf die Gefahr hin, dass du mir Wiederholung vorwirfst. So klar, wie in der ÜS von Marion Giebel, ist die lateinische Stelle nicht. Velleius muss sich gar nicht auf Werke beziehen, welche die Varusschlacht behandeln.
"Traduttore tradittore" sagen die Italiener: Der Übersetzer übt Verrat am Originaltext. Wie man etwas übersetzt, ist immer eine Frage der Interpretation. Deshalb müssen Geschichtsstudenten auch spätestens zum Ende des Grundstudiums das Latinum nachweisen, damit sie nämlich zumindest auf dem Papier in der Lage sind, sich unabhängig von Quellenübersetzungen zu machen. Wenn man seine Argumentation auf eine Stelle aus einem Text stützt, dann sollte man auch sicher sein, dass die Stelle korrekt übersetzt ist bzw. dass die Stelle keine andere Interpretation als die des Übersetzers zulässt.
Tacitus hat meines Wissens nicht über die Varusschlacht geschrieben sondern über die Germanicusfeldzüge.
Das ist korrekt. Es wird aber mehrfach auf die Varusschalcht Bezug genommen, bei der Begehung des Schlachtfeldes, die garniert wird von Schilderungen Überlebender sowie bei der Schlacht an den
pontes longi, bei der Taictus Caecina einen Traum andichtet, dass Varus ihn habe in den Sumpf ziehen wollen (Tac. ann. I, 65, 2) und bei der Arminius in den Mund gelegten Rede vom Untergang der Varuslegion, welche man nun wiederholen könne (Tac. ann. I, 65, 4)
Ich kann verstehen dass du hier versuchst entsprechende Parallelen aufzubauen aber
1. ist mir das völlig egal was wann in Spanien war
2. habe ich von spanischer Geschichte überhaupt keine Ahnung
3. hat das überhaupt nichts damit zu tun ob meine Hypothese möglich ist
Der erste Punkt ist schade, der zweite ist nicht weiter schlimm. Aber vielleicht ist dir ja trotz deines Sträubens die Parallele zwischen der Cassionischen Entwicklung der Geschichte von der Varusschlacht und der maghribinischen Entwicklung von der Geschichte der Schlacht von Sagrajas/Sacralias/az-Zallaqa aufgefallen: Je weiter man sich zeitlich von der Schlacht entfernt, desto mehr schießen die Behauptungen und Ausschmückungen ins Kraut. Eben genau wie bei Cassius Dio und der Varusschlacht.
Die Spitzgräben befinden sich nur an den Wallenden, die zur Seite knicken. Also nicht durchgehend.
Wer hat das behauptet?
Behauptet wurde doch vielmehr, dass die Drainagegräben auf der Südseite des Walls, die kaum einen halben Meter breit und vielfach gerade mal 5 – 10 cm tief, an einzelnen Sammelpunkten bis zu 50 cm tief in den Boden reichen, ernstzunehmende Annäherungshindernisse seien.
Wovor denn retten? Vor Deinem ungerechten Urteil?
Wieso ist mein Urteil ungerecht, wenn ich feststelle, das Cassius Dio offensichtlich die Naturgesetze für die Römer gelten lässt, für die Germanen aber nicht?
Nein dafür gibt es keine Belege. Und in dieser Hinsicht steht auch nichts bei Dio. Dass auch nur ein Mann von Baumkronen erschlagen wurde, sagt Dio mit keiner Silbe. Warum behauptest Du das eigentlich dauernd? Es mag ja möglich sein, dass herabstürzende Baumkronen an diesem Tag ein paar Römer und Germanen verletzt oder gar getötet haben; aber Dio hat nichts davon berichtet, und erst recht nichts davon, dass die Baumkronen zwischen Römern und Germanen irgendwelche Unterschiede gemacht hätten.
Komisch, Xander und Sepiola verstehen mich:
Ich glaube, El Quijote wollte Cassius Dio nicht unterstellen, dass die herabstürzenden Baumkronen nur Römer, aber keine Germanen erschlagen hätten.
Die Sache ist die: Ein Aufenthalt im Wald während eines Orkans ist lebensgefährlich. Wer in so eine missliche Situation gerät, muss auf die Baumkronen aufpassen. Ich kann nun nicht gut auf einen Gegner zielen, wenn ich gleichzeitig auf die tödliche Bedrohung von oben aufpassen muss.
Cassius schreibt nun, dass die Römer das Problem mit den Baumkronen hatten, während die Germanen - offensichtlich ungehindert - planmäßig gegen die Römer vorrücken und auf sie schießen.
Wenn El Quijote darauf hinauswill, dass die Gefahr durch herabstürzende Baumkronen nur die Römer verwirrt, die Germanen aber nicht, kann ich das gut nachvollziehen.
Dass die Römer es trotzdem "Schulter an Schulter" versuchen, obwohl sie sehen, dass da Bäume stehen, gegen die man zwangsläufig prallen muss, wie findest Du das?
Eher vernünftig oder eher doof?
Wenn man sich einen Kampf mit den Römern liefern will, ist ein Sturm im Wald wohl weniger gefährlich!
Kann ja nicht ganz so abwegig sein, was ich schreibe.
So ein Unfug steht bei Dio nicht […] An keiner Stelle sind in Dios Varusschlacht-Schilderung die Naturgesetze ausgehebelt.
Natürlich schreibt Dio das nicht wortwörtlich, hat ja auch niemand behauptet. Wenn man den cassionischen Text aber ernst nimmt, dann steht genau das da. Der Sturm behindert die Römer, die bewegungsunfähig und blind werden, ihre Waffen nicht mehr gebrauchen können, während die Germanen in demselben Wetter an demselben Ort sich frei bewegen können. Natürlich mildert Cassius Dio das ein klein wenig ab, aber letztendlich ist das der Kern seiner Schilderung. Der Sturm hat einen niederschmetternden Effekt auf die Römer, gar keinen auf die Germanen.
Nehmen wir einen Buchenwald an. Buchenwälder werden auch als Kathedralwälder bezeichnet, sie sind sortenarm und die Buchen neigen dazu, hoch aufzuschießen, also wie Säulen und Fenster in einer gotischen Kathedrale: In einem Buchenwald würden Römer in ihrer gewohnten Form agieren können.
Anders sieht es in einem Fichtenwald aus. Hier wäre ein Kampf Mann gegen Mann wohl die einzige Möglichkeit. Die Chancen wären hierbei aber gleichermaßen verteilt, der ungerüstete Germane, der nur Textilien am Körper hat, wäre sogar im Nachteil gegen den Römer in seiner Rüstung. Durch das Buschwerk würden beide gleichermaßen behindert. Das römische Kurzschwert zum zustoßen wäre wahrscheinlich im dichten Gebüsch sogar besser geeignet, als das germanische Hiebschwert.
Wenn man sich mal von der Vorstellung Germaniens als Barabaricum mit Urwäldern löst, wie es uns die antiken Historiographen überliefern, und zu dem kommt, was die Pollenanalyse seit den 1920er Jahren nahelegt, nämlich, dass die Gegend kultiviert war, die meisten Wälder Hudewälder (also Laubwälder ohne dichtes Unterholz, Kathedralwälder) waren, dann muss man auch hier Cassius Dio in Frage stellen.
Eine südeuropäisch ausgerüstete (für trockenes Klima optimierte Waffen) und mit südeuropäischer Taktik (Formation) kämpfende Armee hatte Probleme im mitteleuropäischen Urwald. Traurig aber wahr. Eine Comitatenses Armee hätte den Germanen salopp gesagt in den Hintern getreten. Die Anpassung der römischen Armee an den mitteleuropäischen Naturraum war aber zu Beginn des 1. Jahrhunderts noch nicht erfolgt.
Diese südeuropäisch ausgerüstete Armee mit für trockenes Klima optimierten Waffen (ich hab in Italien (Toskana) und Spanien (Andalusien) schon Regenfälle erlebt – wobei die Regenfälle in Andalusien, das war von November bis März, also nicht zur Zeit des Kriegszuges vormoderner Zeiten – in meinem Gefühl allerdings von November bis März durchgängig) konnte auf Erfahrungen und Erfolge in der entsprechenden Klimazone von gut siebzig Jahren zurückblicken und zum Urwald habe ich oben schon das Notwendige geschrieben.
Die Frage ist ja aber auch, warum sich Dio Antigravitations-Germanen hätte ausdenken sollen?
Eine sehr schöne Formulierung.
Quintilian (inst. 10,1,31) weist auf eine Nähe der Geschichtsschreibung zur Poesie hin.
Und Wiegels erklärt zurecht, daß es sich bei diesen Quellen um Literatur statt Reportage handelt.
Und vor allem waren die antiken Historiographen keine modernen Geschichtswissenschaftler.