Christentum und Schriftlichkeit - zu den "dark ages"
Für das Christentum selbst ist Schriftlichkeit essentiell wichtig: Es ist eine Offenbarungsreligion und diese Offenbarungen Gottes und die Erlebnisse der Apostel, Propheten und Heiligen mit ihrer Gotteserfahrung zu verschriftlichen war eine Basisleistung für die Entwicklung des Christentums, ohne die etwa ihre Auslegung von Martin Luther (Bibel als Grundstein des Glaubens) unmöglich gewesen wäre! Muss ich weiter ins Detail gehen? Die Evangelien des Neuen Testaments erzählen die Geschichte Jesu und der Apostel. Als Beispiel möchte ich mir hier den Evangelisten Lukas herausnehmen. Er gilt als Heidenchrist aus der Umgebung des Apostels Paulus und als Autor des Lukasevangeliums wie der Apostelgeschichte. Schon im Vorwort widmete er seine Arbeit einem gewissen Theophilos, zu dem sich die Einleitung im Wikiartikel wegen seiner Querverbindung zur von mir oben skizzierten römischen Oberschicht lohnt:
Theophilos (Lukas) ? Wikipedia
Nur Matthäus und Johannes sollen nicht nur Evangelisten, sondern auch Apostel gewesen sein, die damit Jesu selbst noch gekannt haben müssten. Markus soll Judenchrist gewesen sein und sein Werk richte sich vor allem an Nichtjuden, dem er zahlreiche Besonderheiten erklärt.
Wichtig bleibt die Feststellung, dass dem Christentum keine generell feindliche Haltung zur Schriftlichkeit nachgesagt werden kann! Nun erst kann man sich der zweiten Frage, nach den Veränderungen im Schriftleben der Antike durch die Christianisierung zuwenden.
Zunächst einmal entwickelte sich mit Evangelien, Heiligenvitae und auch nur noch mehr oder weniger lose mit dem Christentum verbundenen Strömungen wie der Gnosis oder sich auch auf Jesus beziehender Religionen (Nestorianismus) oder Sekten ein neues Betätigungsfeld der Schriftlichkeit zusätzlich zur bisherigen Literatur. Als das Christentum Staatsreligion geworden war, bestand ein erhöhter Bedarf an derartigem Schrifttum. Aus christlicher Sicht hatte antike, vor allem heidnische Literatur keinen, über das Formale hinausgehenden Wert an sich mehr, weshalb es wohl schon immer Strömungen im Christentum gab, welche diese Literatur ablehnte auf die ich nicht wieder extra einzugehen brauche. Die römische Oberschicht jedoch behielt ihren klassischen Bildungskanon bei und fügte ihm im Wesentlichen wohl nur christliche Werke hinzu.
Ein erster und gravierender Bruch kam jedoch mit der Politik des Kaisers Julian (Apostata), der eine Wiederbelebung des Heidentums und eine Verdrängung des Christentums anstrebte. Per Dekret griff er in den traditionellen Bildungskanon ein, indem er Christentum und klassische Literatur für unvereinbar für die schulische Ausbildung erklärte. Er wollte damit verhindern, dass weiterhin Christen einen Einfluss auf die Ausbildung von Schülern behielten, denn hier waren ungebrochen nur die alten Klassiker Lehrstoff für Rhetorik und Schriftlichkeit. Es sollten nur noch jene mit diesen „Lehrbüchern“ lehren, die auch mit deren innerer, heidnischer Aussage übereinstimmten. Die Wirkung war ein Erdbeben für den Literaturbetrieb, weshalb christliche Lehrer nun Ersatz in christlichen Werken suchten und es gleichzeitig eine erhebliche Beschäftigung mit antiken Werken und ihrer Vereinbarkeit mit christlicher Lehre auslöste. Julian blieb eine kurze Episode, sein Dekret wurde zurückgenommen, aber von nun an waren die antiken Klassiker eben nicht mehr selbstverständliche Lehrbücher aus christlicher Sicht, auch wenn man wohl sofort wieder zur alten Praxis zurückkehrte…! Im Großen und Ganzen aber mochte das Christentum aber nur Teile des antiken Literaturbetriebes zu verändern!