Habe nicht den gesamten Thread gelesen, aber wie ist denn die russische Teilmobilmachung noch vor der deutschen
Ist alles ausführlich diskutiert worden. Aber man kann natürlich alles fünfmal diskutieren. Wird nur nicht unbedingt besser. Also dann aus einem alten Thread zur "Mobilisierung" in Russland.
"Das gravierendste Problem der Darstellung betrifft die Kontextualisierung der Problematik der Mobilisierung. Die Entwicklung der strategischen Planungen seit 1870 und ihrer operativen und taktischen Umsetzung erfolgte in Europa im Rahmen einer Revolution im Bereich des Militärischen (RMA). Die industrielle Revolution veränderte die militärische Sicht und Moltke d.Ä. forderte das DR auf, nicht Festungen zu bauen, sondern Eisenbahnen. Sie waren fortan der Faktor, der Kriege entscheiden sollte. In diesem Kontext schrumpften Raum und Zeit, die Verwundbarkeit der jeweiligen Territorien legte im Rahmen der Militärstrategien den „Kult der Offensive“ nahe und die dramatische Steigerung der Anforderungen an die Logistik der Millionenheere näherte den Aberglauben an den „kurzen Krieg“ [vgl. 9].
Die zentralen planerischen Größen in den Generalstäben Europas wurden „Masse und Geschwindigkeit“. Vor diesem Hintergrund entwickelte das DR den Schlieffenplan, der in seiner letzten Fassung drei fatale Merkmale aufwies. Fatal, weil sie die Planungen der angrenzenden Länder beeinflussten und zur Destabilisierung der politischen und militärischen Situation gravierend beitrugen:
1. Einen Aufmarsch im Westen gegen Frankreich, der keinen lokalen – alleinigen - Krieg im Osten mehr zuließ. Das DR mußte am 01.08. 1914 Russland den Krieg erklären, um überhaupt via Bündnisverpflichtungen im Westen seinen Krieg beginnen zu können.
2. Einen extremen Automatismus in der Abfolge der einzelnen Schritte zum Krieg hin aufwies, die präzise eingehalten werden mußten
3. Eine extreme Komprimierung des Faktors „Zeit“ im Rahmen der Mobilisierung und der Konzentration der Kräfte wahrnahm
Diese Faktoren sind es, die ab ca. 1910 eine deutlich erhöhte Dynamik in die militärische Planungen der einzelnen Ländern in Mitteleuropa brachte. Die zeitliche Wirkung bzw. Kausalität geht dabei von der Kenntnis der Franzosen des Schlieffenplans aus und die sich in einem dramatischen Wettlauf mit dem DR befinden in Bezug auf die eisenbahngestützten Mobilisierung ihrer Truppen und der entsprechenden zeitgerechten Konzentration an den kritischen Stellen der Front befinden.
Diese Dramatik des antizipierten „Kurzen Krieges“ und des „Kults der Offensive“ stellt Joffre ab 1912 und dann wieder 1913 in den Gesprächen der Generalstäbe von Frankreich und von Russland dar und erhält von Zhilinski, dem Chef des russischen Generalstabs, die -unrealistsische - Zusage, dass Russland „M+15“ plus mit ca. 800.000 Soldaten eine Entlastungsoffensive im Osten gegen Österreich-Ungarn und / oder gegen das DR starten würde, sofern die Durchführung des Schlieffenplans gegen Frankreich zum Einsatz kommt. Dabei beharren beide Seiten auf das Recht der Planungshoheit und legen die Einzelheiten ihrer Aufmarschplanung nicht offen.
Die gesamte Problematik der schnellen Mobilisierung wird dann während der Schlacht ab dem 17. August 1914 im Bereich der teilmobilisierten 1. und 2. russischen Armee deutlich. Der Hintergrund für die Zusage von Zhilinski ist die damalige skeptische Einschätzung der Leistungsfähigkeit des russischen Heeres durch ihre eigenen militärischen Spitzen, ob man in der Lage wäre, nach der Niederlage von Frankreich, erfolgreich gegen das DR zu kämpfen. In diesem Sinne stand die gemeinsame militärische Planung von Frankreich und Russland unter dem Damoklesschwert, entweder gemeinsam zu gewinnen oder gemeinsam zu verlieren.
Zudem ist relevant, die politische Dimension der Entscheidungen für die Teil- bzw- die dann folgende General-Mobilisierung von den militärischen Problemen zu trennen [vgl. beispielsweise systematisch zu dem Thema Sagan in 9].
Diese vorangestellten Überlegungen sind für das Verständnis der politischen und militärischen Diskussion im Juli 1914 in St Petersburg wichtig, auch um den nicht unerheblichen politischen und militärischen Druck auf die Mobilisierungs- und Aufmarschplanung durch die Franzosen angemessen zu würdigen, der durch den finanziellen Hebel entsprechend „dezent“ unterstrichen wurde.
Bei Lieven [1, S. 139ff] und Fuller [2, S. 445ff] wird deutlich, dass sich St Petersburg im Zuge der Juli-Krise bewusst gegen das Appeasement der letzten Jahre gegenüber dem DR und Österreich-Ungarn entschieden hat, wie an der Position des „starken Mannes“ innerhalb des Kabinetts, von Krivoshein deutlich wird [1, S. 143]. Dieses ist umso erstaunlicher, da wie McDonald feststellt, „there was no real conflict of interests between Russia and Germany“ [3, S. 199] und verweist umso deutlicher einerseits auf situative Faktoren für die Eskalation der Krise und andererseits wird auch deutlich, dass die zentrale Konfliktlinie zwischen Russland und Österreich-Ungarn aufgespannt ist und der Streitpunkt sich um die Erbmasse des zerfallenden Osmanischen Reichs kristallisiert. Und Russland sich, spätestens seit dem russisch-türkisch-Krieg (1877-78) als „Schutzmacht“, nicht uneigennützig, der slawischen Völker auf dem Balkan positioniert hat.
Die konkrete Bedeutung der Sitzungen des Ministerrats vom 24. Und 25. 07 für die Juli-Krise liegt dann primär darin, dass sich Russland hinter die territoriale Integrität von Serbien stellt und somit gleichzeitig seine Rolle als Groß- und Schutzmacht unterstreicht [1, S. 146]. Dieses ist vor allem für die außenpolitische Bewertung durch Sazonow von Bedeutung, weil er davon ausgeht, dass Ö-U den Krieg gegen Serbien in jedem Fall anstrebt [3, S. 206]. Eine Einschätzung, die u.a. laut Rauchensteiner, durchaus zutreffend ist und darauf abzielt, seine zunehmend schwierigen ethnischen bzw. nationalistischen Probleme mit den Süd-Slawen militärisch zu lösen.
Mit dieser deutlichen Reaktion gegenüber Ö-U will Russland die Demütigung der Serben respektive der „Süd-Slawen“ verhindern, die auch Russland als „Schutzmacht“ unweigerlich getroffen hätte und ihren Status als Großmacht nachhaltig beschädigt hätte. Gleichzeitig sollte durch diese Haltung das Abgleiten von Serbien auf den Status eines Teils des informellen Österreich-Ungarischen- Imperiums verhindert werden. Diese Positionierung im Juli 1914 gegenüber Wien zielte somit darauf ab, die eigene Position auf dem Balkan durch eine „Eindämmung“ von Ö-U zu stabilisieren und zum anderen die angeschlagene Position seit der Liman von Sanders-Krise am Bosporus zu stärken, wie Bobroff es darstellt [5].
Gleichzeitig mahnt der russische Ministerrat Serbien auch zur Annahme der österreichischen Bedingungen, sofern sie nicht die staatliche Unabhängigkeit betreffen bzw. einschränken. Um die eigene politische Entschlossenheit zu unterstreichen wird eine Teil-Mobilisierung angeregt, sofern es die Umstände erforderlich machen sollten und ohne das DR provozieren zu wollen. Eine Sicht, der sich ein Nikolaus II anschloss .
Dieser Schritt der russischen Regierung war durchaus erstaunlich und so durch Bethmann Hollweg respektive Moltke nicht erwartet worden, da sie die russische Armee bzw. die russische Gesellschaft als nicht kriegsbereit eingeschätzt haben. Das DR wird auf diplomatischem Wege über die Ziele der russischen Teil-Mobilmachung informiert!
Als Ergebnis der Sitzungen vom 24.und 25. Juli trat am 26 Juli das „Gesetzt zur vorbereitende Periode zum Krieg“ vom 17.02.1913 in Kraft. Diese reine Verwaltungsmaßnahme zielte primär darauf ab, den engen Zeitrahmen der Mobilisierung bzw. präziser der Konzentration der Kräfte entsprechend der Aufmarschplanung nach Plan 19 A (Rev), auf Druck der französischen Forderungen (seit 1910 gab es jährlich Treffen der Generalstäbe), organisatorisch (Eisenbahnen, Festungen, Logistik etc.) überhaupt einhalten zu können. Zudem wurden die regulären Verbände aufgefüllt, um die Sicherheit der Bereitstellungsräume für die relativ lange Konzentrationsphase der Armeen zu gewährleisten, die in der finalen Phase der General- Mobilisierung von ca. 1,3 Mio auf 4,7 Mio erweitert wird [6, S. 86].
Dem Drängen von Sazonow auf die Teil-Mobilisierung, als politisches Druckmittel gegen die drohende Kriegsgefahr von Ö-U gegen Serbien, wurde durch Yanushkevich, als „frisch“ ernannten Chef des Generalstabs aus Unkenntnis der schwerwiegenden organisatorischen Implikationen nicht angemessen widersprochen. Erst am 26.07. informierte der nach St Petersburg zurück gekehrte General-Quartiermeister Danilov die Regierung, das eine Teilmobilmachung in den vier Militärbezirken Odessa, Kiew, Kazan und Moskau aus einer Reihe von Gründen nicht durchführbar sei [1, S. 144 ff]. Die eigentlich politische Verantwortung für diese problematischen Beschlüsse trägt jedoch der Kriegsminister Sukhomlinov.
Am 26.07. geht Sazonow, wie Grey, noch davon aus, das die Antwort der Serben an Wien zu keinen militärischen Maßnahmen von Seiten von Ö-U führt. Erst die Ereignisse vom 28.07 und 29.07 führten bei Sazonow zu einer veränderten Einschätzung [1, S. 145]. Und am 28.07 hatte Sazonow von Nikolaus II noch die endgültige Zustimmung zur Teil-Mobilisierung gegen Ö-U erhalten. Um dann ab dem 29.07. aus einer Reihe von Ereignissen, u.a. die überraschende Kriegserklärung von Ö-U am 28.07 an Serbien, zusammen mit Yanushkevich und Krivoshein auf die General-Mobilisierung zu drängen.
Es war dabei nicht nur Sazonow, der dem DR die „verdeckte“ dynamisierende Rolle (vgl. „Blanko-Scheck“) zuschriebe, sondern der russische Generalstab ging in seiner Einschätzung – korrekt – davon aus, dass das deutsche Militär den präventiven Krieg anstrebte, solange das „Große- Programm“ bis 1917 noch nicht abgeschlossen sei [2, S. 450 und vgl. dazu als Bestätigung auch [8, S. 182ff] oder [7, S. 79 ff ])