Der Erste Weltkrieg und seine Bedeutung in der heutigen Zeit.

In diesem Sinne ist die erste Lehre und die wichtigste Bedeutung, dass man einen offenen und kritischen Diskurs führen muss.

Die Ursachen des Ersten Weltkrieges sind ein überaus komplexer Prozess. Wir können aus solchen Prozessen nur dann etwas lernen, wenn wir verstanden haben, wie es überhaupt zu so einer Situation, wie sie sich dann im Juli 1914 tatsächlich darstellte, kommen konnte. Wenn man das verstanden hat, sollte man mit mit einer vergleichbaren Situation besser umgehen können. Sollte man zumindest meinen.
 
Dann mache ich einmal den Anfang.

Die erstarrten Blöcke mit ihren Bündnisverpflichtungen gehören sicher zu dem Bündel der Kriegsursachen und sind somit auch einer Betrachtung zu der Vorgeschichte des Ersten Weltkrieges wert.

Diese beginnt genau genommen eigentlich schon mit dem erzwungenen Abgang Bismarcks als deutscher Kanzler und die damit verbundene katastrophale Nichtverlängerung des Rückversicherungsvertrages mit Russland im Jahre 1890 und dessen Folgen.

Bismarck hatte seit 1871 Frankreich gewissermaßen unter Kontrolle gehalten und vor allem20 Jahre lang isoliert. Sinn und Zweck war es die Cauchemar des coalitions gegen Deutschland zu verhindern. Die Aufgabe dieser wesentlichen Maxime der Bismarckschen Außenpolitik, die billigende Inkaufnahme der Zweifrontenbedrohung, war eine gravierende Folge der Nichtverlängerung des Rückversicherungsvertrages.

Im März 1890 stand Russland also ohne Bündnispartner da. Der Außenminister Giers, der pro deutsch eingestellt war, bemüht sich redlich um die Verlängerung des Vertrages. Das war aber Dank Holstein, der von ihm abhängige Caprivi, Marschall und auch Berchem nicht zu erreichen und das obwohl der deutsche Botschafter in Petersburg Schweinitz in Sommer 1890 mit guten Gründen, die geheime Zusatzklausel, der Stein des Anstoßes sollte wegfallen, dazu geraten hatte. Wilhelm II. sollte später bereuen, auf die Männer des AA gehört zu haben.

Dies war jedenfalls die Gelegenheit und Chance für Paris aus der Isolation herauszukommen. Die französischen Bemühungen waren ja nicht neu, aber nun, da Berlin ohne Not den Vertrag nicht verlängerte, wurde entschlossen und zielführend gehandelt. Schon im Jahre 1894 trat die russisch-französische Allianz in Kraft.

Bismarcks außenpolitische Maxime war es immer gewesen, ein russisch-französisches Bündnis zu verhindern. Denn er war sich nicht sicher, ob das Deutsche Reich im Falle eines Falles dieser Koalition militärisch gewachsen sein würde.

Kurz vor Abschluss der Militärkonvention hatte der französische Außenminister Ribot an seinen Kabinettskollegen, Kriegsminister Mercier, geschrieben, „Wir dürfen nicht einen Augenblick den Krieg aus den Augen verlieren, den wir eines Tages gegen Deutschland zu führen haben werden und der für lange Zeit das Schicksal Europas bestimmen wird.“

Zar Alexander III. meinte: „Wir müssen uns wirklich mit den Franzosen einig werden. Bei einem Krieg zwischen Frankreich und Deutschland müssen wir sofort über die Deutschen herfallen, um Ihnen keine Zeit zu lassen zunächst Frankreich zu schlagen, um sich dann gegen uns zu wenden. Wir müssen die Fehler der Vergangenheit wieder gutmachen und Deutschland bei der ersten Gelegenheit zu zerschmettern.“

Was enthielt die Militärkonvention?

„Falls die Streitkräfte des Dreibundes oder eine zu ihm gehörende Macht mobil machen sollten, werden Frankreich und Russland beim ersten Bekanntwerden des Ereignisses, ohne das es einer vorherigen Absprache bedarf, sofort und gleichzeitig die Gesamtheit ihrer Streitkräfte mobil machen und so nahe wie möglich an den Grenzen in Stellung bringen.“

Deutschland brauchte also gar nicht selbst mobil zu machen, um von einen französisch-russischen Angriff bedroht zu werden. Und unabhängig gegen wem der Dreibund oder eine zu ihm gehörende Macht mobil macht, machen Frankreich und Russland mobil. Das war ganz und gar nicht harmlos. Kennan spricht nicht umsonst von der schicksalhaften oder auch unheilvollen Allianz. Der drängelnde Teil war Frankreich.

„Die verfügbaren Streitkräfte, die gegen Deutschland aufzubieten sind, werden auf französischer Seite 1.300.000 Mann, auf russischer Seite 700.000 bis 800.000 Mann betragen. Diese Truppen werden den Kampf rückhaltlos und mit aller Kraft aufnehmen, so dass Deutschland zugleich im Osten und im Westen zu kämpfen haben wird.“

„Frankreich und Russland werden keinen Separatfrieden schließen.“

Das sind die wesentlichen Bestimmungen des Bündnisses zwischen Russland und Frankreich.

Was waren die Folgen?

Für Deutschland, der drohende Zweifrontenkrieg. Bismarcks Albtraum ist Realität geworden.

Für Frankreich, Ende der Isolation, konnte sich ab sofort deutlich offensiver und aggressiveres Verhalten in der auswärtigen Politik erlauben und an seinem Ziel den deutschen Einfluss zurück drängen herangehen.

Für Russland, ebenfalls Ende der Isolation, größere außenpolitische Handlungsspielräume, Druckmittel gegen Deutschland und konnte ebenfalls offensiver agieren.

Gab es eigentlich eine akute Bedrohungslage, für die der Abschluss der Militärkonvention gesprochen hätte? Nein. Beide Partner wollten aus der Isolation und sich außenpolitisch mehr Ellenbogenfreiheit verschaffen.

Zum Vergleich hier die wesentlichen Passagen des Zweibundvertrages von 07.10.1879:

„Sollte wider Verhoffen und gegen den aufrichtigen Wunsch der beiden Hohen Kontrahenten Eines der beiden Reiche von Seiten Rußlands angegriffen werden, so sind die Hohen Kontrahenten verpflichtet, Einander mit der gesamten Kriegsmacht Ihrer Reiche beizustehen und demgemäß den Frieden nur gemeinsam und übereinstimmend zu schließen.“

In allen anderen Fällen, beispielsweise ein französischer Angriff auf Deutschland, sicherte man sich gegenseitige wohlwollende Neutralität zu.

Auch noch interessant: Wilhelm I. hatte Zar Alexander II. vertraulich über den Vertrag bereits am 04.November 1879 informiert. Über die russisch-französische Militärkonvention wurde von den beiden Vertragsparteien Geheimhaltung vereinbart.

Was war der Anlass für den Zweibund? Der Zar, und nicht nur er, waren enttäuscht und wütend über den Berliner Kongress. Dafür wurden Andrassy und aber auch Bismarck verantwortlich gemacht. Bismarck fühlte eine Bedrohung und suchte das Bündnis mit Wien, wo bei der bei Andrassy offene Türen einrannte.

1882 wurde der Dreibund begründet. Italien suchte Schutz und Unterstützung, beispielsweise wegen Zoll- und Wirtschaftskrieges mit Frankreich, bei Wien und Berlin vor/gegenüber Frankreich. Es handelte sich um eine rein Defensivabmachung. Italien hatte aber schon 1882 auf Unterstützung seiner kolonialen Ambitionen geliebäugelt.

In Artikel 2 des Vertrages wurde vereinbart, das Italien im Falle eines unprovozierten französischen Angriffs Beistand von Deutschland und Österreich-Ungarn erhält. Umgekehrt erhält Deutschland von Italien Beistand im Falle eines unprovozierten französischen Angriffs.

In Artikel 3 wird der Casus Foederis definiert, eben für den Fall das eine oder zwei der vertragschließenden Parteien von zwei oder mehreren Großmächten angegriffen werden sollten.
 
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Der Unterschied zum russisch-französischen Zweibund sticht ins Auge. Sowohl der Zweibund als auch der Dreibund sind um einiges defensiver ausgerichtet als der Zweierverband zwischen Frankreich und Russland.

Im weiteren Verlauf begann Frankreich Russland mit gewaltigen Krediten bei dessen militärischer Aufrüstung zu unterstützen. Gleichzeitig machte Paris aber auch Vorgaben, was mit dem Geld zu geschehen haben, beispielsweise den Ausbau oder Bau von Eisenbahnlinien an die deutsche Grenze. Oder aber auch, dass Petersburg mit dem größten Teil seiner Streitkräfte gegen Deutschland zu marschieren habe und nicht gegen Österreich.

Im späteren Verlauf der mehrfachen Verlängerungen des Dreibundes war es vorbei mit der italienischen Bescheidenheit. Rom begann dem Dreibund nicht als Schutz und Defeinsivabkommen zu betrachten, sondern vielmehr als Erwerbsgemeinschaft. Man wollte Unterstützung bei Durchsetzung seiner kolonialen Träume und bekam sie zum Teil von Deutschland zugesichert. Das hatte aber letzten Ende alles nicht viel geholfen, den Rom und Paris schafften ihren Streitigkeiten aus der Welt und schlossen 1902 ein Bündnis ab. Der Inhalt verstieß zwar nicht unbedingt gegen die Abmachung des Dreibundes, aber sicherlich gegen dessen Geist. Entscheidend für Italien waren, das Frankreich Rom freie Hand in Tripolis zusicherte. Aber eben auch wirtschaftliche Gründe dürften eine nicht unwichtige Rolle gespielt haben. Jedenfalls war der Dreibund nur noch Papier. Das wurde auch später im Zuge der Marrokkokrise Nr. 1 deutlich, wo Rom alles andere als eine Stütze für Berlin gewesen war.

Schon zwei Jahre später landete Frankreich den nächsten großen Coup. Paris im Verbunde mit dem englischen König Edward, der einiges für die Annäherung an Frankreich getan hat, war es tatsächlich gelungen, die kolonialen Reibungsflächen mit England in Form der Entente Cordiale aus der Welt zu schaffen. Ich denke, das war für Berlin hinreichend Anlass nervös zu werden. Kurze Zeit später gab es die erste große, schwere diplomatische Krise bis hin an dem Rand des Krieges. Ich spreche von der ersten Marokkokrise. Zum Verlauf der Krise verlinke ich hier zu dem entsprechenden Faden im Forum:

https://www.geschichtsforum.de/thema/die-marokko-krisen.38564/

England war gewillt Frankreich im Zweifelsfall militärisch beizustehen; obwohl dies gar nicht Bestandteil der Entente Cordiale war. Im Foreign Office vertrat man die Auffassung, das Marokko durch eine vertragliche Abmachung zwischen London und Paris gewissermaßen in die französische Interessensphäre fiel, entsprechend dafür, eben auch militärisch, einzustehen. Kurz und vereinefacht ausgedrückt. In Berlin wollte das AA, genauer Holstein und Bülow, genau das Gegenteil erreichen. Holstein wollte die Entente sprengen und hat sich dabei gründlich verrechnet. Das Ende vom Lied war, das Deutschland eine empfindliche Schlappe auf der Konferenz von Algeciras einstecken musste.

In der Folge kam es dann zu militärischen Absprachen zwischen England und Frankreich. Höhepunkt war der Briefwechsel im Jahre 1912 zwischen Paul Cambon, französischer Botschafter in London und den englischen Staatssekretär des Äußeren, Sir Edward Grey. Dieser Briefwechsel kommt einem Bündnis schon recht nahe.

Im Jahre 1907 folgte dann der koloniale Ausgleich mit Russland. Die einschneidende Folge, war die, das Russland seinen außenpolitischen Fokus von Asien zurück nach Europa, genauer auf dem Balkan, verlegte. Das hatte schwerwiegende Folgen. Grey hatte mit einen alten britischen Axion gebrochen, nämlich den Russen den Zugriff auf dem Balkan und den Meerengen zu versperren. Wichtig war für London nur der Schutz des Empires. Das hatte natürlich Konsequenzen.

Es begann schon ein Jahr später. 1908 rollte der russische Außenminister Iswolsky die Frage der Meerengen auf. Zu diesem Zwecke traf er sich mit dem k.u.k Außenminister Aehrenthal in Buchlau. Es wurde eine Vereinbarung des Inhalts geschlossen, das Österreich Russland in der Frage der Meerengen nicht im Wege steht und dafür freie Bahn für die Annexion von Bosnien und die Herzegowina erhält.

Nur hatte Iswolsky unbegreiflicherweise es versäumt seine Verbündeten in Paris und London mit ins Boot zu holen. Grey wollte zu diesem Zeitpunkt aber eben noch nicht, er machte iswolsky aber deutlich, das zu einen späteren Zeitpunkt die Zustimmung durchaus erfolgen könnte/ würde, seine Zustimmung erteilen. Nun wollte aber Iswolsky auch nichts mehr von seiner getätigen Zusage von der Buchlauer Abmachung mit Aehrenthal wissen, eben der Annexion Bosniens und der Herzegowina. Er log, dass sich die Balken bogen. Daraus entstand dann eben die nächste schwere diplomatische Krise; die sogenannte Annektionskrise. Petersburg wäre wohl vor einem Krieg nicht zurückgeschreckt, wenn es sich militärisch von dem Krieg gegen Japan schon erholt gehabt hätte.

1914 waren England und Russland dabei eine Marinekonvention über ein Zusammenwirken in der Ostsee abzuschließen: Ihr zufolge wollte England im Kriegsfall die Landung russischer Marineinfanterie an der Küste Pommerns absichern. Damit drohte dem Deutschen Reich aus seiner Perspektive eine dritte Front und es sah den „Einkreisungsring“ um sich verfestigt, gewissermaßen das letzte Glied der Kette.

Von dieser projektierten Marinekonvention erfuhr Kanzler Bethmann wenige Wochen vor der Ermordung des österreichischen Thronfolger Franz Ferdinand durch einen Spion in der russischen Botschaft in London. Es wurde deutlich, das England jetzt endgültig in das russisch - französische Lager abgedriftet war. Italien stand ja schon mit 1 ½ Beinen im gegnerischen Lager. Eine sehr beunruhigende Tatsache.Fatal war die Tatsache, dass der britische Staatssekretär des Äußeren gegenüber dem Unterhaus aber auch den deutschen Botschafter Lichnowsky diese Verhandlungen ableugnete. Er sagte nicht die Wahrheit und das hatte auch Folgen für die kurz danach ausbrechende Julikrise. Das Vertrauen war futsch. Was sollte man tun?? Die „Lösung“ war ein erneuter Versuch die gegnerische Koalition aufzubrechen.

Die deutschen Militärs waren ebenfalls mächtig nervös geworden. Moltke und Co. waren sich darüber in Klaren das 1916/17, nach Vollendung der gewaltigen russischen Rüstung es aller Wahrscheinlichkeit nach keiner Chance mehr gebe, aus einen militärischen Konflikt mit der Triple Entente siegreich hervorzugehen. Schon die Dauer der Mobilmachung würde darstisch verkürzt sein und die Russen würden in der Lage sein mit 1 Million Soldaten an der ostpreußischen Grenze zu erscheinen. Ermöglicht wurde dies u.a. durch den Bau von 16 neuen Eisenbahnlinien.

Seit 1912 hatte Poincare seinen französischen Bündnispartner mehrfach einen Blankoscheck für ein aggressives Vorgehen auf dem Balkan gegen Österreich-Ungarn ausgestellt hatte, zuletzt in der Julikrise während seines Besuchs in Petersburg. Paris rüstete auch Serbien, durch die Erteilung entsprechender Kredite auf. Auch Bulgarien wollte Paris einen Kredit gewähren; allerding nur wenn es mit Petersbug ein Bündnis gegen Österreich abschließt. Paris war klar, das der Krieg aus dem Osten kommen, also der Balkan, musste, wenn es zuverlässig auf russische Hilfe bauen wollte.

Jules Cambon, französischer Botschafter in Berlin. notierte unmittelbar vor der Krise, die schließlich in dem Krieg einmünden sollte, Heute hängt das Schicksal Frankreichs und die Bewahrung des europäischen Friedens von einem fremden Willen ab; demjenigen des Zaren. Frankreich ist Opfer seiner eigenen Allianzpolitik geworden. Es wird Russland auf dem Schlachtfeld folgen müssen.


Es gab noch mehrere Ursachen. Beispielsweise der Hochimperialismus, von denen alle europäischen Mächte befallen waren. Davon vielleicht später mehr.
 
„Falls die Streitkräfte des Dreibundes oder eine zu ihm gehörende Macht mobil machen sollten, werden Frankreich und Russland beim ersten Bekanntwerden des Ereignisses, ohne das es einer vorherigen Absprache bedarf, sofort und gleichzeitig die Gesamtheit ihrer Streitkräfte mobil machen und so nahe wie möglich an den Grenzen in Stellung bringen.“

Deutschland brauchte also gar nicht selbst mobil zu machen, um von einen französisch-russischen Angriff bedroht zu werden.

Wie groß war denn realitier die Chance, dass Österreich-Ungarn oder gar Italien ohne Absprache mit Deutschland zu einem derart drastischen Schritt wie der Mobilmachung übergehen würden?

Auch sich selbst heraus war weder Österreich fähig Russland anzugehen, noch Italien fähig Frankreich ernsthaften Schaden zuzufügen.

Oberflächlich betrachtet, ist diese Klausel natürlich ein Problem, aber de facto war doch klar, dass eine Agression von Seiten der Dreibundpartner das Mitgehen Deutschlands erforderte.

Und im Juli 1914 sieht es ja de facto mit der russischen Teilmobilmachung nur an der Grenze zu Österreich-Ungarn und französischer Zurückhaltung in dieser Frage, ja doch etwas anders aus, als dieser Text das forderte.

Ich bin insofern bei dir, dass diese Formulierung ein Risiko für Zuspitzungen von Krisen barg, aber für den Juli '14 selbst spielt sie keine Rolle.

Gab es eigentlich eine akute Bedrohungslage, für die der Abschluss der Militärkonvention gesprochen hätte? Nein. Beide Partner wollten aus der Isolation und sich außenpolitisch mehr Ellenbogenfreiheit verschaffen.


Für Russland nicht, für Frankreich gab es wegen dem deutsch-italienischen Bündnis und den italienischen Territorialwünschen (Korsika, Tunis, und mit niedrigerer Priorität Savoyen, Nizza) aber durchaus so etwas wie eine strategische Bedrohung, weil man davon ausgehen musste, dass Italien wann immer die Gelegenheit günstig wäre zum Krieg bereit sein würde und Deutschland ggf. mitziehen könnte, mit dem Köder vollständiger Hegemonialstellung und der westlichen Erzfelder in Lothringen.

In allen anderen Fällen, beispielsweise ein französischer Angriff auf Deutschland, sicherte man sich gegenseitige wohlwollende Neutralität zu.

Eines alleinigen französischen Angriffs. Bei einem koordinierten Angriff beider Mächte hätte dann natürlich die Beistandspflicht gegriffen und dass Frankreich wiederrum Deutschland aus seiner Lage heraus ohne russische Unterstützung angriff, war ähnlich unwahrscheinlich, wie dass Wien ohne Absprachen gegen Russland vorgehen würde.
Das war mehr oder minder quantité négligeable.

In Artikel 2 des Vertrages wurde vereinbart, das Italien im Falle eines unprovozierten französischen Angriffs Beistand von Deutschland und Österreich-Ungarn erhält.

Alles andere wäre angesichts der italienischen Territorialwünsche gegenüber Frankreich auch ein Freifahrtsschein gewesen um einen Weltkrieg loszutreten.

Der Unterschied zum russisch-französischen Zweibund sticht ins Auge. Sowohl der Zweibund als auch der Dreibund sind um einiges defensiver ausgerichtet als der Zweierverband zwischen Frankreich und Russland.

Dieser Konklusion würde ich nicht zustimmen, es trägt nur etwas anderen Verhältnissen Rechnung.

Der französisch-russische Zweibund mag auf dem Papier mehr Beistandsszenarien definiert haben, aber das die jemals eintreten würden, musste man als hochgradig unwahrscheinlich auffassen.

Sowohl Österreich ungarn, als auch Italien waren ihren potentiellen Kontrahenten Russland und Frankreich militärisch unterlegen, so dass man davon ausgehen konnte, dass Einzelaktionen von dieser Seite her nicht vorkommen würden.

So, ich weiß, dass du das alles anders sehen und das jetzt fürchterlich zerpflücken wirst, ich wünsche dir schon einmal viel Spaß dabei, ich muss jetzt noch was anderes erledigen, werde mich später mit dem zweiten Teil noch befassen.

:)
 
Und im Juli 1914 sieht es ja de facto mit der russischen Teilmobilmachung nur an der Grenze zu Österreich-Ungarn und französischer Zurückhaltung in dieser Frage, ja doch etwas anders aus, als dieser Text das forderte.

Russland hatte am Abend (fast schon in der Nacht) des 29. Juli die Teilmobilmachung befohlen, aber nur wenig später, am morgen des 31. Juli dann auch doch die Generalmobilmachung.

Die Mobilmachung Frankreichs wurde um 15 Uhr am 1. August beschlossen, noch kurz vor der deutschen Mobilmachung und der deutschen Kriegserklärung an Russland.

Vermutlich hätte es den Krieg auch nicht verhindert, wenn es bei der russischen Teilmobilmachung geblieben wäre, aber es hätte vielleicht noch eine letzte Gelegenheit zu einer Begrenzung bzw. Beilegung des Konflikts gegeben, während die russische Generalmobilmachung aufgrund der militärischen Planung Deutschland mit dem Schliefenplan fast zwangsläufig die deutsche Mobilmachung und den Krieg nach sich ziehen musste.
 
Wie groß war denn realitier die Chance, dass Österreich-Ungarn oder gar Italien ohne Absprache mit Deutschland zu einem derart drastischen Schritt wie der Mobilmachung übergehen würden?

Die Staatsmänner Russlands und Frankreich wollten wohl für jede nur denkbare und undenkbare Maßnahme über entsprechende Abmachungen verfügen.

Auch sich selbst heraus war weder Österreich fähig Russland anzugehen, noch Italien fähig Frankreich ernsthaften Schaden zuzufügen.

Spekulation. Italien zählte aber der Jahrhundertwende schon nicht mehr richtig dazu. Und es hatte es 1896 in Adua bis auf die Knochen blamiert. Also ja, Italien kann man getrost vergessen. Russland hat sich 1914 nun auch nicht gerade mit Ruhm bekleckert. Die Frage ist, wie sich die Österreicher geschlagen hätten, wenn sie, so wie es der Aufmarschplan eigentlich vorgesehen hatte, geschlagen hätte.

Oberflächlich betrachtet, ist diese Klausel natürlich ein Problem, aber de facto war doch klar, dass eine Agression von Seiten der Dreibundpartner das Mitgehen Deutschlands erforderte.

Auch spekulativ. Aber gut. Das wäre ja darauf angekommen, gegen wen man hätte aggressiv vorgehen wollte. Die französischen und russischen Staatsmänner trauten Deutschland jede Schlechtigkeit zu und gingen selbstverständlich davon aus, das, wenn etwas geschähe, da natürlich Deutschland dahinter stecken muss. Deutschland und Österreich waren in ihrer Abmachung deutlich zurückhaltender und beschränkten sich auf einen konkreten russischen Angriff. Es ist m.E. nach ein erheblicher Unterschied.

Ich bin insofern bei dir, dass diese Formulierung ein Risiko für Zuspitzungen von Krisen barg, aber für den Juli '14 selbst spielt sie keine Rolle.

Ich bin ja auch noch gar nicht beim Juli 14 angekommen. Ich habe bisher nur ein Teil der Ursachen des Krieges betrachten; mehr nicht. Und die Julikrise war Anlass, nicht Ursache.
Jedenfalls sind solche Vereinbarungen als Bestandteil der Militärkonvention nicht ungefährlich und beinhalten eher eskalierende als deeskalierende Elemente.
 
Russland hatte am Abend (fast schon in der Nacht) des 29. Juli die Teilmobilmachung befohlen, aber nur wenig später, am morgen des 31. Juli dann auch doch die Generalmobilmachung.

Die Russen legten eigentlich schon am 26.Juli los. Da begann die sogenannte Kriegsvorbereitungsperiode, die in der Nacht vom 25.07. auf dem 26.07.in Kraft getreten war. Wien hatte Serbien nicht gar nicht den Krieg erklärt gehabt. Das geschah bekanntermaßen am 28.07.1914.

Zweck der Kriegsvorbereitungsperiode war es die Mobilmachung von Armee und Flotte und der Festungen sowie den Aufmarsch "der bedrohten Grenze" vorzubereiten. Die Maßnahmen selber waren selbst in zwei Kategorien geteilt. Die zu treffenden Maßnahmen betrafen die Aufstellung des Bahnschutzes, Vorbereitung der Eisenbahntransporte, Verteilung der Lokomotiven und des rollenden Materials, Ankauf von Pferden usw.usw.

Ausgenommen von der Kriegsvorbereitungsperiode waren Turkestan, Omsk, Irkutsk und Amur sowie das Gebiet des Don-Heeres. Die sibirische Flotte blieb auch noch immobil.
 
Für Russland nicht, für Frankreich gab es wegen dem deutsch-italienischen Bündnis und den italienischen Territorialwünschen (Korsika, Tunis, und mit niedrigerer Priorität Savoyen, Nizza) aber durchaus so etwas wie eine strategische Bedrohung, weil man davon ausgehen musste, dass Italien wann immer die Gelegenheit günstig wäre zum Krieg bereit sein würde und Deutschland ggf. mitziehen könnte, mit dem Köder vollständiger Hegemonialstellung und der westlichen Erzfelder in Lothringen.

Die strategische Bedrohung war doch schon 1902 mit dem Bündnis zwischen Italien und Frankreich erledigt.

Eines alleinigen französischen Angriffs. Bei einem koordinierten Angriff beider Mächte hätte dann natürlich die Beistandspflicht gegriffen und dass Frankreich wiederrum Deutschland aus seiner Lage heraus ohne russische Unterstützung angriff, war ähnlich unwahrscheinlich, wie dass Wien ohne Absprachen gegen Russland vorgehen würde.
Das war mehr oder minder quantité négligeable.

Ich habe die Inhalte des Bündnisses referiert und nicht die Wahrscheinlich ob und wann die genannten Fälle eventuell eintreten. Der Dreibund wurde 1882 begründet und zu jenem Zeitpunkt war noch keine Rede von einem russisch-französischen Bündnis. Zu jener Zeit war das Zarenreich noch mit Deutschland und Österreich-Ungarn verbunden.
Wenn ein eventueller französischer Angriff soo unwahrscheinlich gewesen war, weshalb hat Bismarck denn so viel Wert darauf gelegt, das Wien und Berlin mit Rom so eine Vereinbarung abschließen?

Dieser Konklusion würde ich nicht zustimmen, es trägt nur etwas anderen Verhältnissen Rechnung.

Der französisch-russische Zweibund mag auf dem Papier mehr Beistandsszenarien definiert haben, aber das die jemals eintreten würden, musste man als hochgradig unwahrscheinlich auffassen.

Sowohl Österreich ungarn, als auch Italien waren ihren potentiellen Kontrahenten Russland und Frankreich militärisch unterlegen, so dass man davon ausgehen konnte, dass Einzelaktionen von dieser Seite her nicht vorkommen würden.

Ich habe nichts anderes von dir erwartet.:D

Frankreich tat ja nun doch noch ein wenig mehr. Es rüstete Russland massiv auf, machte die Gewährung der erforderlichen Kredite von bestimmten militärischen (siehe oben) Modalitäten abhängig. Auch ging vom Dreibund niemand daran die Nachbarn Russlands einzukaufen und aufzurüsten. Italien war seit dem Jahre 1909, in diesem haben Italien und Russland ein Vertrag in Racconiggi geschlossen, kein Rivalen auf dem Balkan mehr.
Als Iswolsky im Jahre 1908 von Buchlau aus noch andere europäische Hauptstädte besucht, war der Keim gelegt worden. Im Herbst 1909 besuchte dann der Zar, unter weiträumiger Umgehung österreichischen Territoriums, er reiste über Odessa, Italien. Dort kam dann der Vertrag von Racconiggi zustande.

Italien war doch gar nicht mehr relevant. Es hatte eine Abmachung mit Frankreich und seit 1909 auch mit Petersburg. Beide verband die gemeinsame heftige Abneigung gegen Österreich-Ungarn. Und natürlich würde Wien nicht alleine gegen Frankreich oder Russland vorgehen. Die waren ja nicht verrückt, denn auch den Militärs in Wien war klar, das man es dann mit Russland und Frankreich zu tun hatte und keinen Anspruch auf die deutsche Unterstützung hatte. Die galt ja nur für den Angriff seitens Russlands.
 
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In Deutschland wurde nach der Entlassung Bismarcks Caprivi Reichskanzler und Marschall anstellte Herbert von Bismarck Staatssekretär des AA.

Marschall war vorher Staatsanwalt und dann badischer Gesandter am Bundesrat. Er hatte keine nennenswerten Referenzen als Diplomat vorzuweisen, wurde aber Staatssekretär des Auswärtigen Amtes. Ach ja, er hatte ordentlich, im Auftrage des Großherzogs von Baden, mitgeholfen Bismarck aus dem Amte zu befördern. Caprivi war General und zuletzt vor seiner Beförderung zum Reichskanzler Chef des X.Armeekorps. Politische Erfahrung hatte Caprivi gar keine.

Das waren die Männer des sogenannten Neuen Kurses, die die außenpolitische Geschicke des Deutschen Reiches lenken sollten. Die erste Amtshandlung Caprivis bestand in der Nichtverlängerung des Rückversicherungsvertrages; unter massiven Einfluß von Holstein. Caprivi setzte außenpolitisch auf dem Dreibund. Der sogenannte Helgoland-Sansibarvertrag war noch von Bismarck auf die Schiene gesetzt worden. Die dadurch erhoffte Annäherung an England kam nicht zustande.

Kanzer Hohenlohe vermochte an der äußerst unvorteilhaften außenpolitischen Situation, die ihm Caprivi hinterlassen hatten, wenig zu ändern. Es war die Zeit des Hochimperialismus. In Deutschland war die Formel Bismarcks von der Saturiertheit des Reiches wohl nicht mehr zeitgemäß. Während die anderen Groß- und Weltmächte immer größer wurden, konnte man doch nicht einfach stillstehen. Man müsse den Trend der Zeit folgen und dann zu der Elite der Weltmächte dazugehören. Ja, das waren die fatalen deutschen Träumereien, die sich schon aufgrund der geographischen Lage Deutschlands verboten.

1897 wurde Bülow Staatssekretär des AA und Tirpitz Staatssekretär des Reichsmarineamtes. Zwei verhängnisvolle personelle Entscheidungen. Für die Beförderung von Bülow hatte Eulenburg Sorge getragen. Bülow sollte der neue Bismarck werden. Im Zeitalter des Hochimperialismus zählte nur der Staat etwas, der auch als Weltmacht anerkannt war. Dementsprechende deutsche Begehrlichkeiten gab es dann auch und es war nur eine Frage der Zeit, bis man in Konflikt mit den anderen Großmächten, namentlich England und Frankreich, kam. Deutschland trat bei diesen Streitigkeiten nun nicht gerade diplomatisch oder zurückhaltend auf, obwohl doch das eine oder andere Mal bestimmt nicht im Unrecht war. Nur die Art und Weise……………war wenig geeignet, um es nett zu sagen.

Zunächst lief es aber nicht so schlecht. Die Engländer bekam immer mehr Probleme ihr Weltreich zu sichern. Man benötigte dringend Entlastung und dabei fiel zunächst die Aufmerksamkeit auf Deutschland. Im Endeffekt wurde daraus nichts, da sich London und Berlin nicht einigen konnten. London wollte eine Abmachung, wenn überhaupt, nur mit Berlin. Deutschland wollte hingegen, das England dem Dreibund beitritt.

Die englische Diplomatie war um einiges beweglicher als die deutsche und so wurde 1902 das Bündnis mit Japan und zwei Jahre später die Entente Cordiale mit Frankreich abgeschlossen. Nun hat sich die außenpolitische Situation schon dramatisch verschlechtert.

Wie sah es zu jener Zeit, um die Jahrhundertwende, in London aus?

Obwohl Wirtschaft und Flotte beständig wuchsen, war nicht zu übersehen, das England nicht mehr in der Lage war, seine hegemoniale Stellung zu halten. Es gab sehr ernstzunehmende Konkurrenten/Herausforderer. Erwähnt seien die USA, Deutschland und Japan. Die englische Diplomatie war gezwungen zu handeln und sie hatte diese Aufgabe mustergültig, aus englischer Sicht, gelöst! Als erstes stand der Abbau mit den USA auf der Tagesordnung, mit den man im ganzen vergangenen Jahrhundert immer wieder Streitigkeiten hatte. London unterstützte beispielsweise als einziges europäisches Land die USA bei Krieg gegen Spanien. Die USA jener Jahre waren durchaus eine aggressive Großmacht und eben im Atlantik und Pazifik eine direkte Bedrohung Englands. Die USA stritten sich beispielsweise auch mit London wegen der Grenze zwischen Venezuela und British-Guayana, der Streit wurde erst 1899 beigelegt. Die USA nahmen im Verlauf des Krieges gegen Spanien die Philippinnen, Puerto Rico, Guam und Hawaii wurde auch einkassiert. Ebenfalls waren die USA an der wirtschaftlichen Aufteilung Chinas aktiv. Das Deutsche Reich war im Vergleich geradezu friedlich. Die englische Außenpolitik zwischen 1900 und 1906 diente der Beschwichtigung derjenigen Mächte, die die größte Gefahr für das Empire darstellten und das war eben nicht Deutschland. Es waren vielmehr Frankreich, Japan , USA und natürlich Russland.

Im Jahre 1902 wurde ein Bündnis mit Japan abgeschlossen, 1904 kam die Entente Cordiale zustande.

England hatte es vor dem Ausbruch des russisch-japanischen Krieges geschafft, durch Nachgiebigkeit und wohl überlegte Rückzüge gut abzusichern. Ein wichtiges Teil im Puzzle fehlte eben noch und war Petersburg. Nach der der katastrophalen Niederlage gegen Japan war der Acker schon bestellt und 1907 kam es dann zum kolonialen Ausgleich mit der Folge, ich erwähnte es schon oben, das Russland seinen Fokus auf Europa, genauer dem Balkan, zurückverlegte.

Nunmehr standen sich in Europa zwei mehr oder weniger Blöcke sich feindlich gegenüber. Es ist sehr auffallend, dass London aber auch Paris, in den nachfolgenden Jahren ein schon skurriles, allianzkonformes Verhalten am Tage legten. Das ging so weit, ja nahm schon groteske Formen an, das beispielsweise Sir Edward Grey meinte verhindern zu müssen, dass eine englische Musikkapelle nach Deutschland reiste. In Europa gab es spätestens ab 1907 keine neutrale Großmacht mehr, die zwischen den Blöcken hätte vermitteln können.

Oh jeh, man kann so viel zu dem Thema schreiben. Ich schau, das ich noch etwas zu Frankreich du Russland. Aber heute nicht mehr. Ich muss schauen, wann es weiter geht.
 
Moin

Habe nicht den gesamten Thread gelesen, aber wie ist denn die russische Teilmobilmachung noch vor der deutschen
zu bewerten?
War das nicht schon ein großer Schritt in den Abgrund des Krieges?
 
Ein paar sehr kurze, nicht erschöpfende Sätze zu der Entwicklung Russlands, sonst wird das einfach zu viel.

Russland hatte eine ganz Zeit lang unter den wirtschaftlichen Folgen des Krieges gegen das Osmanische Reich 1876/77 zu leiden gehabt. 1892 ernannte Allexander III. den fähigen Serjei Witte zum Finanzminister des Zarenreichs.

Mit Hilfe von hohen Zöllen und Kapitalimporten gelang Witte beachtliche Fortschritte bei der Industrialisierung des Landes.

Für Witte war die Expansion im Fernen Osten schlicht eine Notwendigkeit. Er wollte erreichen, das sein Land nicht einfach nur eine Art von „Kolonie“ des Westens war. Um dies zu erreichen, wollte Witte neue Absatzmärkte in China, Korea und Japan erschließen. Diese Idee hatte auch schon andere Großmächte. Man stieß auf die massive Konkurrenz der anderen Mächte. 1896 erhielt Petersburg die Konzession die Transiberische Eisenbahn durch die Mandschurei bis nach Wladiwostok zu bauen. Schließlich wurde dann mit imperialistischen Praktiken und Methoden Port Arthur erworben. 1898 sah man sich gezwungen die japanischen Interessen in Korea anzuerkennen. 1899 musste man auch den Engländern nachgeben und deren Position im Yangtse Tal anerkennen. Der Boxeraufstand hatte die russische Position im Norden Chinas Schaden zugefügt und Petersburg griff zur militärischen Gewalt und schlug den Aufstand nieder. Die Forderungen, die man an Peking stellte, liefen auf eine Annexion der Mandschurei hinaus. Hierdurch isolierte sich Russland von den anderen Großmächten; selbst Frankreich war nicht bereit die überzogenen Forderungen Petersburgs mitzutragen. Im Jahre 1902 sicherte Russland China dann zu, die Mandschurei binnen 18 Monaten zu räumen.

Da die ganz große Masse des Kapitals in die Industrialisierung, später der Aufrüstung, floß, kam die Landwirtschaft und Bildung viel zu kurz Wenn man den Weizenertrag pro Hektar zu Grunde legt, dann waren Russland und Serbien die Schlusslichter Europas. Das gleich galt für die Bildung. Im Jahre 1900 konnten in Russland nur 21% der 10jährigen lesen; in Österreich waren es 83,5%. Die durchschnittliche Lebenserwartung in Russland war mit 31,5 Jahre sehr niedrig und die niedrigste in ganz Europa. Als Industrienation machte Russland große Fortschritte, das Bruttosozialprodukt pro Kopf hingegen war das kleinste in Europa. Traurige Zustände. Man sollte meinen, der Zar hätte ganz andere Sorgen, als sich mit Deutschland oder Österreich zu schlagen.

Ich versuche dann noch etwas zu Frankreich nachzureichen; sofern Interesse vorhanden ist.
 
Zuletzt bearbeitet:
Moin
Ja, die Abschaffung der Leibeigenschaft in Russland konnte auch kaum zu einer Steigerung der Produktion führen.
Allein wegen der fruchtbaren Schwarzerdeböden konnten die Bauern dort überhabt extensiv produzieren.
Der Zustand des russischen Kaiserreichs war im Verhältnis zu anderen Industrienationen geradezu verheerend.
Dazu kaum noch die korrupte Verwaltung.
 
Zur russischen Wirtschaft wäre nach wie vor Geyer, Lieven und Pipes durchaus zu empfehlen, neben anderen.

Geyer, Dietrich (Hg.) (1975): Wirtschaft und Gesellschaft im vorrevolutionären Russland. Köln: Kiepenheuer & Witsch
Lieven, D. C. B. (1990): Russia's rulers under the old regime. New Haven: Yale University Press.
Pipes, Richard (1974): Russia under the old regime. London: Weidenfeld and Nicolson


Russland 1914: Historische Voraussetzung und der Eintritt in den WW1
 
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Habe nicht den gesamten Thread gelesen, aber wie ist denn die russische Teilmobilmachung noch vor der deutschen
Ist alles ausführlich diskutiert worden. Aber man kann natürlich alles fünfmal diskutieren. Wird nur nicht unbedingt besser. Also dann aus einem alten Thread zur "Mobilisierung" in Russland.

"Das gravierendste Problem der Darstellung betrifft die Kontextualisierung der Problematik der Mobilisierung. Die Entwicklung der strategischen Planungen seit 1870 und ihrer operativen und taktischen Umsetzung erfolgte in Europa im Rahmen einer Revolution im Bereich des Militärischen (RMA). Die industrielle Revolution veränderte die militärische Sicht und Moltke d.Ä. forderte das DR auf, nicht Festungen zu bauen, sondern Eisenbahnen. Sie waren fortan der Faktor, der Kriege entscheiden sollte. In diesem Kontext schrumpften Raum und Zeit, die Verwundbarkeit der jeweiligen Territorien legte im Rahmen der Militärstrategien den „Kult der Offensive“ nahe und die dramatische Steigerung der Anforderungen an die Logistik der Millionenheere näherte den Aberglauben an den „kurzen Krieg“ [vgl. 9].

Die zentralen planerischen Größen in den Generalstäben Europas wurden „Masse und Geschwindigkeit“. Vor diesem Hintergrund entwickelte das DR den Schlieffenplan, der in seiner letzten Fassung drei fatale Merkmale aufwies. Fatal, weil sie die Planungen der angrenzenden Länder beeinflussten und zur Destabilisierung der politischen und militärischen Situation gravierend beitrugen:

1. Einen Aufmarsch im Westen gegen Frankreich, der keinen lokalen – alleinigen - Krieg im Osten mehr zuließ. Das DR mußte am 01.08. 1914 Russland den Krieg erklären, um überhaupt via Bündnisverpflichtungen im Westen seinen Krieg beginnen zu können.
2. Einen extremen Automatismus in der Abfolge der einzelnen Schritte zum Krieg hin aufwies, die präzise eingehalten werden mußten
3. Eine extreme Komprimierung des Faktors „Zeit“ im Rahmen der Mobilisierung und der Konzentration der Kräfte wahrnahm
Diese Faktoren sind es, die ab ca. 1910 eine deutlich erhöhte Dynamik in die militärische Planungen der einzelnen Ländern in Mitteleuropa brachte. Die zeitliche Wirkung bzw. Kausalität geht dabei von der Kenntnis der Franzosen des Schlieffenplans aus und die sich in einem dramatischen Wettlauf mit dem DR befinden in Bezug auf die eisenbahngestützten Mobilisierung ihrer Truppen und der entsprechenden zeitgerechten Konzentration an den kritischen Stellen der Front befinden.

Diese Dramatik des antizipierten „Kurzen Krieges“ und des „Kults der Offensive“ stellt Joffre ab 1912 und dann wieder 1913 in den Gesprächen der Generalstäbe von Frankreich und von Russland dar und erhält von Zhilinski, dem Chef des russischen Generalstabs, die -unrealistsische - Zusage, dass Russland „M+15“ plus mit ca. 800.000 Soldaten eine Entlastungsoffensive im Osten gegen Österreich-Ungarn und / oder gegen das DR starten würde, sofern die Durchführung des Schlieffenplans gegen Frankreich zum Einsatz kommt. Dabei beharren beide Seiten auf das Recht der Planungshoheit und legen die Einzelheiten ihrer Aufmarschplanung nicht offen.

Die gesamte Problematik der schnellen Mobilisierung wird dann während der Schlacht ab dem 17. August 1914 im Bereich der teilmobilisierten 1. und 2. russischen Armee deutlich. Der Hintergrund für die Zusage von Zhilinski ist die damalige skeptische Einschätzung der Leistungsfähigkeit des russischen Heeres durch ihre eigenen militärischen Spitzen, ob man in der Lage wäre, nach der Niederlage von Frankreich, erfolgreich gegen das DR zu kämpfen. In diesem Sinne stand die gemeinsame militärische Planung von Frankreich und Russland unter dem Damoklesschwert, entweder gemeinsam zu gewinnen oder gemeinsam zu verlieren.

Zudem ist relevant, die politische Dimension der Entscheidungen für die Teil- bzw- die dann folgende General-Mobilisierung von den militärischen Problemen zu trennen [vgl. beispielsweise systematisch zu dem Thema Sagan in 9].

Diese vorangestellten Überlegungen sind für das Verständnis der politischen und militärischen Diskussion im Juli 1914 in St Petersburg wichtig, auch um den nicht unerheblichen politischen und militärischen Druck auf die Mobilisierungs- und Aufmarschplanung durch die Franzosen angemessen zu würdigen, der durch den finanziellen Hebel entsprechend „dezent“ unterstrichen wurde.

Bei Lieven [1, S. 139ff] und Fuller [2, S. 445ff] wird deutlich, dass sich St Petersburg im Zuge der Juli-Krise bewusst gegen das Appeasement der letzten Jahre gegenüber dem DR und Österreich-Ungarn entschieden hat, wie an der Position des „starken Mannes“ innerhalb des Kabinetts, von Krivoshein deutlich wird [1, S. 143]. Dieses ist umso erstaunlicher, da wie McDonald feststellt, „there was no real conflict of interests between Russia and Germany“ [3, S. 199] und verweist umso deutlicher einerseits auf situative Faktoren für die Eskalation der Krise und andererseits wird auch deutlich, dass die zentrale Konfliktlinie zwischen Russland und Österreich-Ungarn aufgespannt ist und der Streitpunkt sich um die Erbmasse des zerfallenden Osmanischen Reichs kristallisiert. Und Russland sich, spätestens seit dem russisch-türkisch-Krieg (1877-78) als „Schutzmacht“, nicht uneigennützig, der slawischen Völker auf dem Balkan positioniert hat.

Die konkrete Bedeutung der Sitzungen des Ministerrats vom 24. Und 25. 07 für die Juli-Krise liegt dann primär darin, dass sich Russland hinter die territoriale Integrität von Serbien stellt und somit gleichzeitig seine Rolle als Groß- und Schutzmacht unterstreicht [1, S. 146]. Dieses ist vor allem für die außenpolitische Bewertung durch Sazonow von Bedeutung, weil er davon ausgeht, dass Ö-U den Krieg gegen Serbien in jedem Fall anstrebt [3, S. 206]. Eine Einschätzung, die u.a. laut Rauchensteiner, durchaus zutreffend ist und darauf abzielt, seine zunehmend schwierigen ethnischen bzw. nationalistischen Probleme mit den Süd-Slawen militärisch zu lösen.

Mit dieser deutlichen Reaktion gegenüber Ö-U will Russland die Demütigung der Serben respektive der „Süd-Slawen“ verhindern, die auch Russland als „Schutzmacht“ unweigerlich getroffen hätte und ihren Status als Großmacht nachhaltig beschädigt hätte. Gleichzeitig sollte durch diese Haltung das Abgleiten von Serbien auf den Status eines Teils des informellen Österreich-Ungarischen- Imperiums verhindert werden. Diese Positionierung im Juli 1914 gegenüber Wien zielte somit darauf ab, die eigene Position auf dem Balkan durch eine „Eindämmung“ von Ö-U zu stabilisieren und zum anderen die angeschlagene Position seit der Liman von Sanders-Krise am Bosporus zu stärken, wie Bobroff es darstellt [5].

Gleichzeitig mahnt der russische Ministerrat Serbien auch zur Annahme der österreichischen Bedingungen, sofern sie nicht die staatliche Unabhängigkeit betreffen bzw. einschränken. Um die eigene politische Entschlossenheit zu unterstreichen wird eine Teil-Mobilisierung angeregt, sofern es die Umstände erforderlich machen sollten und ohne das DR provozieren zu wollen. Eine Sicht, der sich ein Nikolaus II anschloss .

Dieser Schritt der russischen Regierung war durchaus erstaunlich und so durch Bethmann Hollweg respektive Moltke nicht erwartet worden, da sie die russische Armee bzw. die russische Gesellschaft als nicht kriegsbereit eingeschätzt haben. Das DR wird auf diplomatischem Wege über die Ziele der russischen Teil-Mobilmachung informiert!

Als Ergebnis der Sitzungen vom 24.und 25. Juli trat am 26 Juli das „Gesetzt zur vorbereitende Periode zum Krieg“ vom 17.02.1913 in Kraft. Diese reine Verwaltungsmaßnahme zielte primär darauf ab, den engen Zeitrahmen der Mobilisierung bzw. präziser der Konzentration der Kräfte entsprechend der Aufmarschplanung nach Plan 19 A (Rev), auf Druck der französischen Forderungen (seit 1910 gab es jährlich Treffen der Generalstäbe), organisatorisch (Eisenbahnen, Festungen, Logistik etc.) überhaupt einhalten zu können. Zudem wurden die regulären Verbände aufgefüllt, um die Sicherheit der Bereitstellungsräume für die relativ lange Konzentrationsphase der Armeen zu gewährleisten, die in der finalen Phase der General- Mobilisierung von ca. 1,3 Mio auf 4,7 Mio erweitert wird [6, S. 86].

Dem Drängen von Sazonow auf die Teil-Mobilisierung, als politisches Druckmittel gegen die drohende Kriegsgefahr von Ö-U gegen Serbien, wurde durch Yanushkevich, als „frisch“ ernannten Chef des Generalstabs aus Unkenntnis der schwerwiegenden organisatorischen Implikationen nicht angemessen widersprochen. Erst am 26.07. informierte der nach St Petersburg zurück gekehrte General-Quartiermeister Danilov die Regierung, das eine Teilmobilmachung in den vier Militärbezirken Odessa, Kiew, Kazan und Moskau aus einer Reihe von Gründen nicht durchführbar sei [1, S. 144 ff]. Die eigentlich politische Verantwortung für diese problematischen Beschlüsse trägt jedoch der Kriegsminister Sukhomlinov.

Am 26.07. geht Sazonow, wie Grey, noch davon aus, das die Antwort der Serben an Wien zu keinen militärischen Maßnahmen von Seiten von Ö-U führt. Erst die Ereignisse vom 28.07 und 29.07 führten bei Sazonow zu einer veränderten Einschätzung [1, S. 145]. Und am 28.07 hatte Sazonow von Nikolaus II noch die endgültige Zustimmung zur Teil-Mobilisierung gegen Ö-U erhalten. Um dann ab dem 29.07. aus einer Reihe von Ereignissen, u.a. die überraschende Kriegserklärung von Ö-U am 28.07 an Serbien, zusammen mit Yanushkevich und Krivoshein auf die General-Mobilisierung zu drängen.

Es war dabei nicht nur Sazonow, der dem DR die „verdeckte“ dynamisierende Rolle (vgl. „Blanko-Scheck“) zuschriebe, sondern der russische Generalstab ging in seiner Einschätzung – korrekt – davon aus, dass das deutsche Militär den präventiven Krieg anstrebte, solange das „Große- Programm“ bis 1917 noch nicht abgeschlossen sei [2, S. 450 und vgl. dazu als Bestätigung auch [8, S. 182ff] oder [7, S. 79 ff ])
 
Teil 2
Es stellt sich dabei die Frage, warum im Juli 1914 bei den Russen die Bereitschaft vorhanden ist, eine potentielle militärische Konfrontation zu akzeptieren, die sie zwischen 1905 und 1913 nicht gezeigt hatten. Als Erklärung wird darauf hingewiesen, dass eine Veränderung der innenpolitischen Situation ab dem Jahreswechsel 13/14 stattgefunden, die sich in einem veränderten Meinungsklima niederschlägt. War bei vorherigen Krisen nach 1906 im wesentlichen die Angst vorhanden – vor allem auch bei Nikolaus II - vor einer weiteren Revolution und bildete den Grund für das Appeasement gegenüber dem DR, so hatte sich das Meinungsklima gedreht, wie Mc Donald betont [3, S. 204 ff]. Ausgelöst durch die Balkan Kriege und Krisen seit 1908 und vor allem durch die Liman von Sanders-Krise waren durch pan-slawistisch-orientierte Zeitungen gezielt nationalistische und patriotische Sichtweisen vor allem im Duma-nahen Bürgertum verstärkt worden. Auf dieser patriotischen Welle glaubte Nikolaus II über eine ausreichende politische Legitimation zu verfügen, den – kurzen - Krieg in 1914 zu wagen, ohne eine Revolution im inneren befürchten zu müssen.

Bleibt ein weiterer wichtiger Punkt zum Timing der Bekanntgabe der Teil-Mobilmachung durch die Russen ungeklärt. Die Teil-Mobilmachung konnte zwei Zielen dienen, einem politischen Ziel als Abschreckung und einen militärischen Ziel zur operativen Durchführung eines potentiellen Feldzuges.

Unter dem militärischen Gesichtspunkt, so Tomaszewski, wäre ein späterer Zeitpunkt der Bekanntgabe der Teil-Mobilisierung optimal, da sich die ö-u-Armee weit in südlicher Richtung in Serbien verstrickt hätte. Und somit ihren Schwerpunkt nur aufwendig nach Nord-Osten gegen Russland hätte verschieben können [4, S. 130]. Unter politischen Gesichtspunkten, als abschreckende Drohkulisse war jedoch ein früher Zeitpunkt zu wählen. Und genau diesen Weg war Sazonow gegangen.

1. Er hat Ö-U frühzeitig informiert, dass eine Verletzung der serbischen Grenze nicht akzeptabel sei und R zu Gegenmaßnahmen greifen wird
2. Er hat die politische Drohung durch eine militärische Bedrohung verstärkt, indem er die Teil-Mobilisierung gegen Ö-U frühzeitig bekannt machte.

Und er hat, wie Trachtenberg gezeigt hat, bei Bethmann Hollweg am 29./30. 07 kurzfristig die Bereitschaft zum Einlenken bewirkt. Die wohl bste Chance, den Automatismus noch zu stoppen.

Diese Maßnahmen zielten primär auf Abschreckung unter in Kauf nehmen, dass sie auch zum Krieg führen können. Dieses „rationale“ Gedankengerüst der Sicherung der Interessen von Großmächten findet eine Entsprechung in der Sichtweise beispielsweise von Bethmann Hollweg, der zielgerichtet, allerdings auch mit Skrupel, zusammen mit Moltke die subjektiv als relevant angesehen Ziele des DR verfolgt [7, S. 116-117].

Unter Berücksichtigung der einzelnen Faktoren, erscheint die Bewertung von Lieven als plausibel. Aus seiner Sicht wird das politische Pokerspiel von St Petersburg unter den damaligen historischen Restriktionen im Sinne der Erhaltung des politischen Status quos als folgerichtig angesehen. Letztlich folgert er, gab es im Juli 1914 für St Petersburg keine gangbaren Alternativen [1, S. 146]

Dieser politischen Bewertung widerspricht Fuller teilweise, der die militärische Bereitschaft von Russland im Jahr 1914 zur Kriegsführung als nicht gegeben sieht und somit die Entscheidung für den Krieg als nicht verantwortliches Handeln beurteilt und darin in der Sicht der 1924 publizierten Einschätzung von Danilow bestätigt wird[2, S. 451]

Auf die Aspekte der Mobilisierung und der Aufmarschplanung wird im Teil II ausführlich eingegangen werden.

[1] D. Lieven: Russia and the Origins of the First World War, 1983
[2] W. Fuller: Strategy and power in Russia 1600 – 1914, 1992
[3] D. Mc Donald: United Government and Foreign Policy in Russia 1900 – 1914, 1992
[4] F. Tomaszewski: A Great Russia. Russia and the Triple Entente, 1905 to 1914
[5] R. Bobroff: Roads to Glory. Late Imperial Russia and the Turkish Straits. 2006
[6] B. Menning: War Planning and Initial Operations in the Russian Context, in: R. Hamilton & H. Herwig: War Planning 1914, 2010, S. 80-142
[7] D. Copeland: The Origins of Major War, 2000
[8] A. Mombauer: Helmuth von Moltke and the Origins of the First World War, 2001
[9] Systematische Einordnung des WW1 in die kriegshistorische Sicht durch die Beiträge von Evera, Snyder & Sagan in: Brown, Cote & Jones: Offense, Defense and War, 2004"
 
In diesem Sinne war der Schlieffenplan und sein Primat der schnellen Vernichtung des Gegners, ermöglicht durch die hohe Leistungsfähgkeit der deutschen Eisenbahnen [6], die kausale Rahmenbedingung für die Planung des zeitlichen Ablaufs der Mobilisierung. Wie vor allem bei Menning und Snyder deutlich wird[1 & 2].

Diesem externen Druck stand das „organisierte Chaos“ der militärischen Planung in Russland gegenüber. Das Problem, mit dem die strategische Planung in Russland vor allem zu kämpfen hatte, war die geringe personelle Kontinuität bei der Person des Chefs des Generalstabs. Zwischen 1908 und 1914 hatten diese wichtige Position nicht weniger als fünf verschiedene Generäle inne [1, S. 221]. Und dieser Zustand deutet zum einen auf die geringe Kontinuität der Planungen hin und verweist zusätzlich darauf, dass der russische Generalstab aufgrund der starken Rolle der Bedeutung der französisch-russischen Allianz anfällig war, gegenüber dem Druck des französischen Generalstabs und seinen Erwartungen.

Ein weiterer wichtiger Aspekt war die brisante innenpolitische Situation in Russland nach 1905. Als Folge der semi-revolutionären Situation in Russland, mit regelmäßigen Streiks und als Folge des Zwangs, Haushaltsmittel einzusparen, wurde ab 1910 eine komplett neue Planung für die „territoriale“ Rekrutierung der Armee (ca. 50 %) und ihre friedenmäßige Dislozierung im Inneren von Russland, sowie die kriegsmäßige Konzentration der Armeen im Zuge der neuen Aufmarschplanungen verabschiedet (Plan 19).

Bis 1910 rekrutierten sich die russischen Einheiten primär aus den grenznahen Regionen und das betraf vor allem Polen. Das bewirkte eine ungleiche kostenmäßige Belastung dieser Bezirke, es hatte unerwünschte Auswirkungen auf die ethnische Zusammensetzung der Truppen und reduzierte ihre Verwendung, aufgrund der grenznahen Stationierung, als polizeiliches Repressionsinstrument bei Unruhen oder Revolutionen [2, S. 172].

Dieses System wurde ab 1910 modifiziert. Es hatte neben der Dislozierung der Armee an potentiellen Unruheherden den Vorteil, dass die Kosten für die Stationierung im Frieden gleichmässig auf Russland zu verteilen und zusätzlich, die Rekruten hatten kurze Wege zu den Einheiten, für die sie mobilisiert werden sollten [1, S. 222].

Im Jahr 1913 bedeutete diese Verlagerung der Standorte von der westlichen Grenze zum DR in das Innere folgende Verteilung der Armee-Korps in den Militärbezirken. Warschau 5, Vilnius 4, Kiew 5, Odessa 2, St Petersburg 5 und Kazan 2 [2, S. 223-224]. Damit waren ca. 2/5 der aktiven Armee im Grenzbereich stationiert, während der Rest per Eisenbahn in die Bereitstellungsräume zu tranportieren war!

Diesen deutlichen Vorteilen während der Friedenszeit standen massive Nachteile für die Konzentrationsphase im Falle eines Krieges gegenüber. Unter den neuen Planungsvoraussetzungen mussten die Korps schnell und vollständig an die Eisenbahnendpunkte an der Grenze zum DR gelangen und von dort in ihre Konzentrationsgebiete marschieren. Die Folge für die Geschwindigkeit des russischen Aufmarsches war, dass die russische Armee im Jahr 1912 länger für die Mobilisierungs- und Konzentrationsphase benötigte wie im Jahr 1900 [2, S. 172]!

Seit 1908 erhöhte sich der französische Druck auf Russland zur Steigerung seiner Mobilisierungskapazität kontinuierlich [9, S. 82]. Der Vorwurf zielte auf die Nichterfüllung des Artikels 2 der Militärkonvention ab und hielt den Russen vor, dass sie im Beistandsfall nicht rechtzeitig Mobilisieren können. Unter dem Eindruck der Verschärfung der Konflikte im Jahr 1911 zwischen dem DR und Frankreich erreichte dieser Druck von Seiten der Franzosen seinen Höhepunkt [9, S.82]. Im Rahmen des Treffens zwischen dem französischen und dem russischen Generalstab im Juli 1912 werden entsprechende Maßnahmen zur Verbesserung der Eisenbahn-Infrastruktur beschlossen.

Der weiterhin massive französische Drucks durch Joffre 1913 auf den russischen Generalstab stand in enger Beziehung zur offensiven Formulierung des Plans XVII, der im Oktober 1913 verbindliche Planungsgrundlage wurde. Und in ihm wurde die schnelle und parallele Mobilisierung der französischen und russischen Armee festgelegt [10, S. 118 ff]. Dabei ging man in Frankreich davon aus, dass Russland deutliche Fortschritte gemacht hat und ab dem M+15 mit Angriffen beginnen könnte und M+20 mit dem Gros der regulären, mobilisierten Armee substantiell eine strategische Offensive gegen das DR einleiten könne, um das Abziehen von Einheiten aus dem Westen zu erzwingen [10, 120].

Die umfangreichen Verbesserungen der Eisenbahn-Infrastruktur waren zu Kriegsbeginn zu einem hohen Prozentsatz noch nicht begonnen worden und die angefangenen Maßnahmen noch nicht fertiggestellt. Russland ging im Juli 1914 mit einer völlig unzureichenden Eisenbahn-Infrastruktur in den Prozess der kriegsmäßigen Dislozierung seiner Armeen, wie in der Darstellung bei Stevenson und Stams deutlich wird [7 & 9, S. 86-87].

Und diese mangelnde Fähigkeit zur schnellen Konzentration seiner aus dem Inneren von Russland mobilisierten Streitkräfte an seiner West-Grenze ist der Schlüssel für das Verständnis der einzelnen Phasen des Mobilisierungsprozesses in 1914. Der im Vergleich zum DR (M+13)und zu Ö-U (M +16)langsamere Prozess der Konzentration erforderte für die russische Armee eine erhöhte Sicherheit für die ankommenden Einheiten durch entsprechende „Deckungsstreitkräfte“ [1, S. 230]. Dieses war für die russischen Planer im Generalstab umso vordringlicher, als sie vom DR überraschende Angriffe durch Kavallerieformationen – eine „attaque brusquèe“ - erwarteten, die den Aufmarschprozess ins Stocken bringen könnten [2, S. 176].

Es gab zwischen den französischen und dem russischen Generalstab gravierende Unterschiede in der strategischen Beurteilung potentieller Kriegsszenarien und somit auch der konkreten Aufmarschplanung [4, S. 130ff]. Das betraf zum einen den Schwerpunkt des Aufmarsches gegen Österreich-Ungarn – A - oder gegen das Deutsche Reich - G - Für die konkrete Aufmarschlanung im Juli 1914 galt der ursprüngliche Plan 19 vom 9.7.1910, der durch Danilow, unterstützt durch Kriegsminister Sukhomlinov, als revidierter Plan 19 A am 14.05.1912 in Kraft trat und bereits zentrale Elemente des Plans 20 aufnahm, der im Herbst 1914 in Kraft treten sollte [1, S. 240-248].

Die Russen lösten das Problem des französischen Drucks im Rahmen des Plan 19a dahingehend auf, dass der Umfang der Einheiten, die nach M+15 (mit 800.000 Soldaten) zum Angriff übergehen sollten im wesentlichen aus schnell verfügbaren, aktiven Einheiten bestehen [1, S. 245]. Das Gros der mobilisierten Einheiten stand erst zu einem späteren Zeitpunkt zur Verfügung (M+26 bzw. M+41)[1, S. 252]. Und dieser Umstand der unvollständigen Gliederung bzw. der unvollständigen Ausstattung von kriegsmäßig vorgesehen Einheiten, war auch ein Grund für das Scheitern der 1. und 2. russischen Armee in 1914. Sie wurden zu schnell mobilisiert, sie waren unvollständig mobilisiert und wurden so ins Gefecht geworfen [1, S. 245]. Das Problem wird an einer Darstellung von Snyder deutlich.

.......................................Vollständige Inf Div....... Vollendete Konzentration in Tagen
...........................................1912 / 1913 .................... 1912 / 1913
1. Armee.................................. 15 / 15............................ 36 / 26
2. Armee ..................................14 / 11............................ 40 / 33
 
Teil II.
An dieser Darstellung sieht man, dass man durch die Optimierung der Abläufe während der gesamten Mobilisierung Geschwindigkeit gegen Vollständigkeit des Aufmarsches eingetauscht hatte [2, S. 183].

Und diese Zuwachs an Geschwindigkeit war auch erreicht worden durch die Maßnahmen, die im Bereich der „Period Preparatory to War“ ab Februar 1912 eingesteuert worden sind [3, S. 41]. In zweierlei Hinsicht waren diese Maßnahmen für den anschließenden Mobilisierungsprozess von besonderer Bedeutung. Zum einen wurden die Einheiten im Grenznahen Bereich durch Rekruten auf Sollstärke erhöht, Einheiten auf Truppenübungsplätzen wurden in ihre Standorte geschickt und beurlaubte Soldaten, aber vor allem Offiziere, zu den Einheiten zurück geholt. Mit dieser Maßnahme sollte vor allem der Schutz der Truppen gewährleistet werden, die aus dem Inneren herangeführt werden. Zum anderen wurden die Pläne der strategischen Eisenbahnlinien auf den Transport von Armeen vorbereitet.

Allerdings erfolgte diese Planung auf einer so prekären Grundlage, dass der Kriegsminister gewarnt wurde, dass ganze Armeeeinheiten an Bahnstationen kampieren würden ohne dass die Chance bestehen würde, sie kurzfristig in die Aufmarschgebiete transportieren zu können.

Das Problem der mangelnden Wahrnehmung der Logistik bzw. des Ausbaus der strategischen Eisenbahn-Infrastruktur für die Kriegsführung hatte dabei in Russland zwei „militärische“ Gründe.

Zum einen gab es vor allem bis ca. 1912 Widerstand aus dem russischen Militär zum forcierten Ausbau von strategischen Eisenbahnlinien in den Grenzbereich [2, S. 174].. Der Widerstand basierte auf der Angst, dass diese Infrastruktur einem Angreifer mehr helfen würde wie der russischen Armee [5, S. 44]. Zum anderen drückte sich darin die Geringschätzung von logistischen Fragen aus, die bei den entsprechenden Planspielen, zuletzt Anfang 1914, keine Berücksichtigung fanden [1, S. 252]. Man wollte „not to complicate the play“ [1, S. 252]. Diese Geringschätzung der logistischen Probleme ist dann auch eine der zentralen Ursachen des Scheitern der russischen Offensiven im August 1914, obwohl die deutsche Armee im wesentlichen im Westen gebunden war [2, S. 161]

In diesem Sinne faßte Suvorov nach dem WW1 die „lessons learned“ der russischen Planungen von 1914 dahingehend: „not to hurry the offensive, to complete concentration, to establish logistical order, and then press forward“ [1, S. 254].

Bleibt für mich als Fazit eine gewisse Ambivalenz. Auf der einen Seite bin ich überzeugt, dass beispielsweise die isolierte Betonung der Bedeutung der "period preparatory to war" für die Erklärung des Ausbruchs des WW1 ihre reale Bedeutung überbetont. Und zum anderen bleibt die Bewertung von Lieven, dass es schwer ist sich vorzustellen, welche realistische Alternative sich Russland im Juli 1914 geboten hätte.

[1] B. Menning: Bayonets before Bullets. The imperial Russian army 1861-1914. 1992
[2] J. Snyder: The Ideology of the Offensive. Military Decision Making and the Disaster of 1914, 1984, S. 157 - 198
[3] N. Stone: The Eastern Front 1914 – 1917
[4] P. Gatrell: Government, industry and rearmament in Russia, 1900 – 1904, 1994
[5] R. Harrison: The Russian Way of War. Operational Art, 1904-1940, 2001
[6] M. Van Creveld: Supplying War. Logistics from Wallenstein to Patton. 2004, bes. S, 113 ff
[7] D. Stevenson: War by Timetable: The Railway Race before 1914. Past and Present, No 162 Feb. 1999, S. 163-194
[8] B. Menning: War Planning and Initial Operations in the Russian Context, in: R. Hamilton & H. Herwig: War Planning 1914, 2010, S. 80 – 142
[9] K. Stams: The Russian Railway and Imperial Intersections in the Russian Empire. MA-Thesis University of Washington, 2012
[10] G. Krumeich: Armaments and Politics in France on the eve of the First World War. 1984
 
Die konkrete Bedeutung der Sitzungen des Ministerrats vom 24. Und 25. 07 für die Juli-Krise liegt dann primär darin, dass sich Russland hinter die territoriale Integrität von Serbien stellt und somit gleichzeitig seine Rolle als Groß- und Schutzmacht unterstreicht

Und damit leider m.E. den Ersten Weltkrieg letzten Endes unvermeidbar gemacht. Russland war gegenüber Serbien zu nichts verpflichtet. Russland hatte nach den Balkankriegen sich eine sehr starke Stellung auf dem Balkan erarbeitet. ÖU stand hingegen schon mit dem Rücken zur Wand. Wien hatte hatte auch die territoriale Integrität Serbiens garantiert, will heißen, es sollte nichts annektiert werden.

Es steht auch immer noch die Behauptung in Raume, das die Russen möglicherweise Kenntnis von dem geplanten Attentat in Sarajewo hatten.

Auch das Verhalten der russische Botschaft in Rom, war eigentümlich. Es war die einzige europäische Botschaft, die sich strikt weigerte die Fahne auf Halbmast abzusenken. Das galt ebenfalls für die russische Gesandtschaft in Belgrad.
 
Als Ergebnis der Sitzungen vom 24.und 25. Juli trat am 26 Juli das „Gesetzt zur vorbereitende Periode zum Krieg“ vom 17.02.1913 in Kraft. Diese reine Verwaltungsmaßnahme zielte primär darauf ab, den engen Zeitrahmen der Mobilisierung bzw. präziser der Konzentration der Kräfte entsprechend der Aufmarschplanung nach Plan 19 A (Rev), auf Druck der französischen Forderungen (seit 1910 gab es jährlich Treffen der Generalstäbe), organisatorisch (Eisenbahnen, Festungen, Logistik etc.) überhaupt einhalten zu können. Zudem wurden die regulären Verbände aufgefüllt, um die Sicherheit der Bereitstellungsräume für die relativ lange Konzentrationsphase der Armeen zu gewährleisten, die in der finalen Phase der General- Mobilisierung von ca. 1,3 Mio auf 4,7 Mio erweitert wird [6, S. 86].

Hier wollte ich eigentlich thematisch noch gar nicht sein.:D

Nur ein Verwaltungsmaßnahme?

Die Frage ist doch auch, welchen Eindruck diese Kriegsvorbereitungsperiode auf Wien und Berlin machen würde? Der deutsche Militäraattache von Eggeling meldete am 26.07.nachmittags nach Berlin, das für Moskau, Kiew und Odessa die Mobilmachung angeordnet worden sei. Die Konsuln Österreichs schickten Berichte über effektive Mobilmachungsmaßnahmen nach Hause. Ein Brief des deutschen Konsuls in Moskau gibt darüber Auskunft, das es Deutschen nicht mehr erlaubt sei, verschlüsselte Telegramme abzusenden. Aus Riga erfuhr Pourtales das alles Schienenfahrzeuge requiriert worden seien und so geht es immer fort und weiter. Diese ganze Bündel von Maßnahmen, welche natürlich zur optimierung der Geschwindigekeit beitrugen, trugen ganz gewiss nicht zur Entspannung der Situation bei. Rauchensteiner und Stone meinen ja sogar, das noch vor dem 25.07.die Mobilmachung in Gang gesetzt hätten.
Suchomlinow besaß am 26.07. noch die Stirn den deutschen Militärattaché ins Gesicht zu lügen und führt aus, es sei kein einziges Pferd requiriert und kein einziger Reservist einberufen worden. Aber er pflichtete Eggeling zu, das eine Art von Mobilmachung auf jedem Fall im Gang sei.
Sasonow versicherte den deutschen Botschafter Pourtales unter Verpfändung seines Ehrenwortes, ebenfalls am 26.07. , das keine russischen Armeekorps an die westliche Grenze entsandt worden seien und ein solcher Mobilmachungsbefehl nicht existiere.

Was sollte die Deutschen davon eigentlich halten? Eigentlich wohl, das man ihnen nicht die Wahrheit mitteilte. Genauso wie es Sir Edward Grey gegen über Lichnowsky bezüglich der Marinekonvention getan hatte. Die Folgen waren keine positiven.

Das Ultimatum Österreich war vorsätzlich so verfasst, das es unannehmbar für Belgrad sein sollte? Das steht außer Frage. Nur war es das tatsächlich. Wenn man sich das Ultimatum der Nato an Belgrad 80 Jahre später ansieht, dann war es wohl doch nicht so unannehmbar. Außerdem gab es ein Präzedenzfall, ich habe aber jetzt nicht die Quelle parat, es ist aber trotzdem zutreffend, wo es die Österreicher es serbischen Ermittlungsbeamten gestattet haben, an den Ermittlungen mitzuarbeiten.
 
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