Da tust du den Berlinern Unrecht. Sie haben mehrere Bücher zum Thema herausgebracht. Sie hatten weit mehr als nur das Barbaricum im Blick: (..
Aber ich bin sicher nicht der geeignete Verteidiger dieses Projekts.
In die Rolle wollte ich Dich auch nicht drängen. Aber Du weisst vielleicht, ob die Berliner ihrer Entzerrung europäische Koordinaten, oder lediglich solche aus der Germania Magna zu Grunde legten. Die Pressemitteilungen sind diesbezüglich nicht eindeutig:
https://www.pressestelle.tu-berlin....us_der_universitaet/2007/entzerrte_weltkarte/
Zunächst einmal versucht der Altertumswissenschaftler Andreas Kleineberg, aus den mehr als sechstausend Angaben des Ptolemaios moderne Orte zu identifizieren. Für manche Orte wie Toledo oder Barcelona funktioniert das recht gut, weil es diese Städte noch heute gibt und ihre alten Namen "Toletum" und "Barcino" noch immer bekannt sind. (..) Mit den Mitteln der "geodätischen Deformationsanalyse" versuchen Frank Neitzel und seine Kollegen, die Weltkarte in einzelne Bereiche mit einheitlichen Veränderungen oder Deformationen zu teilen. Speziell entwickelte Computerprogramme überführen dann die historischen Werte der jeweiligen Kartenteile mit möglichst einheitlichen Deformationen in moderne Breiten- und Längengrade. Dabei zeigte sich, dass die Karte des Ptolemaios im Maßstab 2 : 3 oder 5 : 7 verzerrt ist.
Germania magna ? Ein neuer Blick auf eine alte Karte ? Institut für Prähistorische Archäologie*?*Fachbereich Geschichts- und Kulturwissenschaften
Ziel war es zum einen, die Germanien betreffenden Verzerrungsparameter zu bestimmen und darauf aufbauend zusammenhängende Gebiete (sog. Transformationseinheiten) herauszufiltern, die einer ähnlichen Verzerrung unterlagen. Bereits in früheren Untersuchungen war erkannt worden, dass sich die Informationen des Ptolemaios aus verschiedenen Quellen zusammensetzten und das zu rekonstruierende Kartenbild zu Germanien dementsprechend diversen Verzerrungen unterliegt. (..) Nach den Ergebnissen der Datenanalyse konnten insgesamt 12 Transformationseinheiten im Raum zwischen Rhein und Weichsel ermittelt werden. Damit zeichnet sich ein noch wesentlich kleinteiligeres Bild als bislang ab.
Die im zweiten Link enthaltene Karte mit den einzelnen Transformationseinheiten (Anlage) ist ganz aufschlussreich und könnte die starken, jedoch unsystematischen Abweichungen zwischen den Berlinern und den Tschechen erklären. Mir scheint es so (Klarstellung explizit gewünscht!), dass die dortige Transformationseinheit G10 in Menosgada verankert wurde. Da dieser Ort inzwischen üblicherweise mit dem Staffelberg bei Bad Staffelstein identifiziert wird, wurde Menosgada samt der umliegenden Orte (Marobudum, Setuacutum, Brodentia etc.) stark südwestlich verschoben, was dann die entsprechende Abweichung zu den Lokalisierungen der Tschechen erklärt. Ich persönlich finde die sich bei den Tschechen abzeichnende Verkehrsachse Regensburg - Fürth am Wald - Pilsen (-Prag), und die Lokalisierung von Marobudum in/bei Pilsen plausibler als die Berliner Variante Nichts gegen Donauwörth, aber dort hätte ich doch von Ptolemäus die Angabe des bekannten römischen Namens Submuntorium an Stelle von Brodentia/ Brodeltia erwartet. Im übrigen frage ich mich, warum die Berliner Brodeltia nicht anhand der von Ptolemäus angegebenen Koordinaten der Inn-Mündung (d.h. Passaus) lokalisierten, dann wären sie wohl (wie die Tschechen) jenseits der Donau nahe Regensburg gelandet.
Die Transformationseinheit G7 scheint in Rottweil/Area Flavia verankert worden zu sein. Diese Lokalisierung gilt als archäologisch gesichert. Ebenso gesichert ist jedoch Tarodunum=Kirchzarten (östlich Freiburg/Brsg), und hier landen die Berliner nicht wirklich auf dem Punkt.
G1 wurde ein bisschen nach Südosten verschoben, und Ptolemäus Treva liegt jetzt schön bei Hamburg. Leider gibt es hier jedoch keine nennenswerten kaiserzeitlichen Spuren. Ohne Verschiebung läge Treva wohl bei Wedel, dem Endpunkt des mittelalterlichen Ochsenwegs, der jenseits der Elbe seine Fortsetzung in der auch schon sehr alten B3 ab Buxehude findet. Marionis wäre dann bei Lübeck verblieben und nicht in Schonberg/ Mecklenburg gelandet. Tecelia hat bei Ptolemäus die selben Koordinaten wie die Wesermündung, wo immer diese zu Ptolemäus Zeiten auch lag. Warum die Berliner den Ort nun knapp 40 km weseraufwärts lokalisieren, ist, gelinde gesagt, erklärungsbedürftig.
Auch hier tust du zumindest den Berlinern Unrecht. Sie identifizieren einige der Orte nämlich gerade nicht mit den Methoden der Mathematik sondern weil sie meinen, dass sie in der ptolemaiischen Karte den Hellweg entdeckt hätten.
Den habe ich in Westfalen (Transformationseinheit G5) auch durchaus erkannt. Aber östlich des Eggegebirges haben die Berliner dann erstmal nach Süden verschoben (Transformationseinheit G6), und anschließend das Transformieren offenbar ganz eingestellt. So finden wir weder Höxter, noch Hameln, noch Minden, alles langbekannte Weserfurten an den verschiedenen Zweigen des Hellwegs, bei ihnen. Stattdessen aber Hannover und Braunschweig, wo bestimmt auch ein paar germanische Bauern siedelten, aber bislang nichts irgendwie Stadtähnliches aus der Kaiserzeit erbuddelt wurde.
Eine frühkaiserzeitliche stadtähnliche Siedlung nördlich des Harzes ist archäologisch gesichert - die alte Salzstadt Schöningen südlich Helmstedt. Liegt auch noch verkehrsgeographisch perfekt in der Fortsetzung aller drei Hellweg-Zweige zur Elbfurt bei Magdeburg. Schwer vorstellbar, dass dieser Ort bei Ptolemäus nicht auftaucht. Haben die Berliner ihn geprüft?
Alles in allem erwächst bei mir der Eindruck, dass den Berlinern bei ihrem im Grunde vielversprechenden Ansatz ein paar handwerkliche Fehler unterlaufen sind (vielleicht fehlten auch Archäologen im Team). Statt zu entzerren, haben sie ab und zu wohl noch ein paar Verzerrungen draufgepackt. Schade eigentlich...
Anmerkung: Da ich das Buch nicht besitze, stützen sich meine Kommentare auf folgende, auf dem Buch basierende Google Map. Ich hoffe, diese gibt die Ergebnisse der Berliner korrekt wieder:
https://maps.google.com/maps/ms?ie=...687572833113.000490b1bb0ecad317036&dg=feature