Falsch verstanden, mir geht es nicht um die Würdigung der Aussagen der evangelistischen Aussagen über die Person Jesus, mir ging es um die Würdigung der Echtheit der Evangelien, allein darauf habe ich mich auch bezogen und vorab von tradierten Fehlerquellen gesprochen.
Was soll das heißen - im Unterschied zum geschilderten Sachverhalt? Was ist ein "echter" Text? Im Juristischen ist "echt" der Gegensatz zu "gefälscht". Gefälscht ist danach eine Urkunde z.B. dann, wenn sie fälschlich vorgibt, von einer bestimmten Person zu stammen, z.B. ich stelle unter Deinem Namen eine Urkunde aus, dass Du mir einen Kasten Bier schuldest und unterschreibe ihn auch mit deinem Namen. Insofern sind die Evangelien sicherlich gefälscht, da zu ihrer Abfassungszeit keine Person mehr lebte, die als Verfasser genannt wird. Diese rezente Unterscheidung zwischen "echt" und "gefälscht" kann auf antike Texte aber gar nicht angewandt werden.
Und was jetzt? Was soll nun heißen "echt", ohne dass es auf den Wahrheitsgehalt des Inhalts ankommt?
Oder kurz: Aus der Unterschiedlichkeit der Aussage ziehe ich einen Rückschluss auf die Echtheit der Texte, keinesfalls auf die Wahrheit der darin enthaltenden Aussage, ich leite ja auch nicht aus vier unterschiedlichen Zeugenaussagen ab, dass diese der Wahrheit entsprechen.
Richtig. Aber gibt es "unechte" Zeugenaussagen? Was soll ich mir also unter einer "echten" Zeugenaussage vorstellen?
Oder, juristisch würde man diese Denkschritte eben scharf trennen. Es geht hier nur um die Glaubwürdigkeit der Zeugen. Es geht überhaupt nicht um deren Aussage zum Sachverhalt. Nur unglaubwürdige Zeugen würde der Jurist (gedanklich) aussortieren, bevor er sich mit der Materie befasst.
Glaubwürdig? Unglaubwürdig? In Bezug auf was? Auf den Inhalt der Aussage kann's ja wohl nicht sein. Denn der Sachverhalt soll ja außen vor bleiben. Was willst du dann aber dem Zeugen glauben / nicht glauben? Glaubwürdig ist ein Zeuge dann, wenn seine Aussage glaubhaft ist. Und die Aussage ist die Schilderung eines Ereignisses oder Geschehensablaufs.
Bei den Evangelien können wir festhalten:
1. Sie stammen nicht von der Person, der sie zugeschrieben werden, wahrscheinlich von einem späteren Mitglied seiner Gemeinde.
2. Die Schilderungen geben nicht Selbsterlebtes des Verfassers wieder, sondern sind Verarbeitungen von ihm vorliegenden Material verschiedener Herkunft.
3. Bei der Verarbeitung dieses Materials wurde dieses "frisiert", und zwar im Hinblick auf die theologische Intention des Verfassers. Jeder der Verfasser hatte eine eigene Theologie über Jesus entwickelt und hat danach seinen Text gestaltet. Lukas legt z.B. besonderen Wert auf das Verborgene der Gegenwart Gottes in Jesus. Daher heißt es bei messianischen Ereignissen immer wieder: Und er verbot ihnen streng, jemandem davon zu erzählen (z.B. Lk. Kap. 9,21).
4. Aus den Evangelien lassen sich historische Abläufe nicht rekonstruieren. Die Anekdoten sind sachlich und thematisch geordnet, nicht zeitlich. Welchen Wanderweg der Wanderprediger Jesus während seiner Predigtzeit (auch die ist nicht feststellbar: 2 Jahre? 3 Jahre?) zurückgelegt hat, ist nicht zu ermitteln. Selbst der Prozess Jesu, das Kernstück, ist in einigen Teilen unglaubwürdig. Z.B. woher sollten die Evangelisten wissen, was Jesus und Pilatus unter vier Augen miteinander besprachen? Auch seine Reden sind größtenteils entweder Erfindungen oder zumindest inhaltliche Zusammenfassungen. Nur ganz wenige Sätze werden heute als "ipsissima vox" Jesu anerkannt.
In diesen 4 Punkten besteht heute in der Wissenschaft so ziemlich vollständige Einigkeit. Was hat in diesem Zusammenhang nun das Attribut "echt" zu suchen? Was ergibt sich daraus?
4.
Was die Evangelisten wollten und bezweckten steht hier nicht zur Debatte. ich habe nur gefolgert, dass wenn die Synoptiker tatsächlich Synoptiker gewesen wären (ein Evangelium hätte dann ja auch ausgereicht), sie als Zeugnis für den Sachverhalt (das Leben Christi) nicht zu gebrauchen gewesen wären. Das hätte nicht für und nicht gegen den Sachverhalt gesprochen, nur sie wären als Quelle raus.
Dann gäbe es für diesen Sachverhalt keine Quelle. Ein antiker Sachverhalt ohne Quelle über ihn, also ohne Bericht, ist so gut wie nicht geschehen.
Der Begriff der Synoptiker bedeutet nicht Identität ihrer Texte, sondern (durchaus unterschiedliche) Verarbeitung der gleichen Quelle - im Gegensatz zum Johannesevangelium, das aus einer völlig anderen Tradition gespeist wird. Wenn sie identisch gewesen wären (wie du "Synoptiker" verstehst), wäre es ja tatsächlich nur ein Evangelium mit zwei Abschriften unter den Namen der Abschreiber. Wieso ist ein Text mit zwei Abschriften als Quelle nicht zu gebrauchen? Wieso ist (ja, was eigentlich?) glaubwürdiger, wenn drei Verfasser den gleichen Überlieferungsfundus wie einen Steinbruch plündern und jeder daraus seine eigene Sicht der Dinge macht?
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