Sex im Mittelalter

Aus der Zimmerischen Chronik:
Da ist kainer, er sei dann sonderlich mit aim langen und starken penicill begabt gewesen, zugelassen worden. Vil gueter gesellen, wie ich von den alten gehört, die auch gern das böst hetten gethon, warden außgemustert, die dorften nit mehr hierzu schmecken ... Aber ein ritter, genannt herr Veit von Emmershofen, der war der bößt und angenemest an dem ort, der hett die bössern brief. Das beschaint sich ußer dem. Sie hielt ainsmal ein fasnacht zu Rotenburg, und war ain groß rennen und stechen uf dem Markt. Sie war mit irem frawenzimer in eim haus und sahe zu. Herr Veit von Emmershofen kam in dasselbig haus, und als er sicht, daz die herzogin in eim stüblin allain war und dem ritterspiel zusache, ist er nit unbehendt,beschleußt die thür am stüblin und den nechsten zu der herzogin, die den kopf vorm fenster hett. Der hueb er die klaider dahünden uf und fieng an dem nest zu zu schanzen. Die herzogin wust nit, wer diese gugelfuer anfieng, war zornig, sicht hünder sich und sprücht (gleichwol mit gröbern worten): ‚Wer plagt mich dahinden?‘ So ersicht sie aber, daz es herr Veit von Emmershofen war, derhalben ließ sie iren zorn fallen, sprechende: ‚Sihe, herr Veit, seindt irs? faren für‘, und damit sahe sie wiederum zum fenster hinaus, wie vor, und ließ herrn Veiten machen.

aus Wiki


Die bewusste Dame war übrigens maßgeblich an der Gründung der Tübinger und der Freiburger Universität beteiligt. Was Fakt ist und kein Schwank

Ob das nun üble Nachrede ist, oder was auch immer können wir hier und heute nicht wissen,

aber "a netts Gschichtle isch´s halt doch"
 
Da muss ich gegenreden: Während das haushaltene Ehepaar in der Kammer schlief, waren Knechte, Mägde und Kinder in die Alkoven "verbannt". Das waren Schrankbetten, die meist über den Tierställen untergebracht waren (Tiere strahlen Wärme ab). Die Kammer war meist an der Rückwand des Ofens.
Das kann ich mir kaum vorstellen. Alkoven bestehen rundum aus Holz, das heisst das konnten sich nur die betuchteren Leute und auch reiche Bauern, Gutsbesitzer usw. leisten. Das einfache Volk hatte einfache Holzbetten, die Ärmsten nur Stroh oder Decken als Unterlage.


Verschiedene Formen von Bettnischen können unterschieden werden:
  • Eine historische Bettnische oder ein kleiner Nebenraum in einem Zimmer, in dem sich die Schlafgelegenheit (Bett oder einfach Decken) befindet. Alkoven waren wärmer als freistehende Betten und boten eine größere Intimsphäre. Dienstboten hatten früher nicht selten nur eine kleine Kammer mit einem Alkoven, in die sie sich zurückziehen konnten.
  • In Bauernhäusern ein "Schrankbett". Solche Alkoven wurden früher meistens zwischen Döns und Küche eingebaut, oder in der Querdiele, die den Wohn- und den Wirtschaftsbereich trennte.

Himmelbett auf der Burg Vianden in Luxemburg


Im Mittelalter kamen Himmelbetten in Mode. Das vierpfostige Bett mit Vorhängen diente tagsüber als Sitzgelegenheit, nachts wurden die Vorhänge zugezogen, und es bildete sich ein Alkoven. Die Betten wurden von nun an immer größer und geräumiger, die Stoffe wurden feiner, die Materialien exquisiter und die Schnitzereien kunstvoller.
Noch im frühen Mittelalter bedeckte man auch oft den Fußboden mit Teppichen, belegte diese mit Kissen, welche mit Federn (plumit) oder fester mit Wolle oder Haaren gestopft waren (matraz), und benutzte Pelze als Decken. Die Bettstellen waren ursprünglich den römischen sehr ähnlich und aus Bronze gefertigt. Man legte sich damals meist nackt ins Bett und hüllte sich in das große, über die Kissen gebreitete Leintuch (Leilachen, linde Wat, Linten).
Vom 13. Jahrhundert an entwickelte sich größerer Luxus, die hölzernen Bettstellen wurden mit eingelegter Arbeit verziert, geschnitzt und bemalt. Damals entstanden auch bereits die Spannbetten, die am Tag als Sofa dienten. Auf einem vierfüßigen, mit Stricken überspannten Gestell lag das lederne, mit seidenen Stoffen überzogene und mit Federn gefüllte Unterbett, welches mit der gesteppten Decke (Kulter) bedeckt wurde. Auf dieses Möbel wurden für die Nacht ein leinenes Betttuch (Lilachen) gebreitet und einige Kissen, namentlich die so genannten Ohrkissen, hinzugefügt. Zum Füllen der Kissen dienten zur Zeit der Minnesänger besonders Eider- und Adlerdaunen. Als Zudecken dienten seidenbezogene, pelzgefütterte Decken.
Bei den gewöhnlichen Betten benutzte man als Unterlage bis in das 12. Jahrhundert hinein nur Stroh. Unterbetten und Matratzen findet man erst viel später. Ein eigenes Bett benutzten damals nur ganz vornehme Leute; das Gefolge, die Ritter mussten zu zweien oder dreien ein schmales Lager teilen.
Das Hauptbett für das Ehepaar bildete das hervorragendste Möbel der Kemenate. Bereits damals wurden die Vorhänge und die Betthimmel Mode, und an letzteren befestigte man Hängelampen als Nachtlicht. Das Kopfende des Bettes wurde stets an die Wand gestellt, so dass man von beiden Seiten in das Bett steigen konnte. Dabei aber ließ man zwischen Bett und Wand an der einen Seite einen nicht zu breiten Raum (la ruelle) als Empfangsort für intime Freunde, der Anfang des späteren Boudoirs (ein kleines, elegantes Damenzimmer). Wirkliche Alkoven kamen erst im 16. Jahrhundert in Gebrauch.


Allmählich stieg der Luxus, die Ausstattungsstücke der Betten vermehrten sich, und die Größe des Bettes wuchs derart, dass es im 15. Jahrhundert wie ein Haus in der Stube stand, groß genug, eine ganze Familie aufzunehmen. An den Höfen hatte man Paradebetten, welche nicht benutzt, sondern in Prunkgemächern aufgestellt wurden. Dort wurden diejenigen vornehmen Personen, namentlich fremde Gesandte, empfangen, welche zwar nicht zum Betreten des Schlafzimmers berechtigt waren, aber doch vor den übrigen Höflingen ausgezeichnet werden sollten. In diesen Prunkzimmern fand das so genannte grand lever statt, das petit lever dagegen im Schlafzimmer.
 
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:
1. getrennte Schlafzimmer sind heute kein Standard, nicht dass ich wüßte
Mißverständnis.
Ich meine natürlich nicht getrennte Schlafzimmer in dem Sinne, daß die beiden Ehepartner getrennt wären - ich meine ein abgetrenntes Schlafzimmer der Beiden, getrennt vom Rest der Mischpoke.
Und das ist nun schon seit einigen Generationen bei uns Standard.

Andererseits ist es vermutlich müssig darüber zu spekulieren, wie und wo im allgmeinen genächtigt und/oder der Beischlaf vollzogen wurde, denn es gibt keine eindeutig verlässlichen Quellen, die darüber Auskunft geben können.
Die braucht man auch nicht unbedingt. Schilderungen über die Schlafräume in Burgen etc. sind ja auch nicht typisch.

Es reicht doch die Feststellung, daß sehr oft damals (und oft noch heute) Familien überhaupt nur einen Schlafraum hatten/haben - dann ist schon klar, daß die Eltern keine besondere Privatsphäre hatten.
 
Übernachtung und Schlafkammern in Burgen schrieb:
Auf Burgen selbst ist zeitlich zu differenzieren: im Hochmittelalter diente höchstwahrscheinlich die in einem Obergeschoß befindliche saalartige, beheizbare Stube der Unterbringung von Gästen, welche mindestens dem ministerialen oder ritterlichen Stand angehörten. Gästen, welche von gleichem oder höherem Stand als der Burgherr waren, stellte dieser wohl eine seiner eigenen Schlafkammern zur Verfügung. Im Spätmittelalter wurde in landesfürstlichen Burgen häufig eine eigenständige Stube/Kammer mit gehobener Ausstattung unterhalten, welche die meiste Zeit unbenutzt war und nur für den gelegentlichen Aufenthalt der Herrschaft selbst oder hochstehender Gäste diente.
Aus Gastlichkeit im Hochmittelalter/Spätmittelalter - Beitrag #4 - dort auch die Literaturhinweise

Anm.: Wie sich dies gewöhnlich - also wenn man keine Gäste unterbringen mußte - damit verhielt, liefere ich heute Abend nach, wenn ich die Bücher wieder zur Hand habe.




Himmelbett auf der Burg Vianden in Luxemburg
Hierzu nur die Anmerkung, daß dieses Bett mE aus einer späteren Zeit stammt - soweit dies anhand der Bildgröße zugegebenermaßen abzuschätzen ist.
 
Hier nun der Nachtrag zu Schlafkammern bzw. Schlafräumen auf Burgen...

Eine Anmerkung im Voraus, da der Begriff Kemenate hier auch gefallen war: darunter versteht man nicht ein Frauengemach o. dgl., sondern nicht mehr und nicht weniger als einen beheizbaren bzw. beheizten Raum (da von lat. caminata - beheizbarer Wohnraum), wie wir ihn bspw. im traditionellen Wohnturm/Donjon in der Form der repräsentativen Wohnhalle oder ab dem 12. Jh. im Palas als saalartige Stube über dem repräsentativen Saalbau (in größeren Burganlagen auch als saalartige Hauptstube, welche als Speise- oder Wärmesaal diente) vorfinden. Möglich war dabei auch eine eigene Badestube, welche relativ leicht beheizt werden konnte und deshalb während der Wintermonate als Wohnraum diente, und in gut ausgestatteten Burganlagen wie dem Donjon von Ardres ein zusätzlicher Raum für die Kinder, der zusätzlich bspw. aber auch für Kranke oder bei medizinische Behandlungen (Aderlaß) genutzt wurde. Es handelet sich jedoch nicht zwangsläufig um einen regulären Schlafraum, auch wenn die Schlafräume der Herrschaften beheizbar sein konnten - und es oftmals auch waren. Der Gemeinschafts(schlaf)raum der Dienerschaft blieb noch bis in die Neuzeit unbeheizt.

Burgherren und ihre Familien hatten zumindest eine eigene Schlafkammer, wiewohl sich bzgl. Zahl und Ausgestaltung kaum allgemeingültige Aussagen treffen lassen, da sich diese Räume natürlich von Burg zu Burg unterschieden. In diesbezüglich großzügig ausgestatteten Burganlagen wie dem Donjon von Ardres hatten bspw. die Söhne und Töchter sogar eigene Kammern, in sehr spartanisch ausgestatteten Burganlagen wird gerade einmal ein Schlafraum erwähnt. Für den angesprochenen sehr exklusiven Donjon von Ardres spricht Adam of Balsham/Adam de Parvo Ponte außerdem von "... anschließend ein abgesonderter Bereich, nämlich das Zimmer bzw. Schlafgemach der Zofen und Pagen..."

Die Dienerschaft mußte sich jedoch einen Gemeinschaftsraum bzw. eine Gemeinschaftskammer teilen; das Kennzeichen der Beheizbarkeit läßt sich dafür - wie eingangs geschrieben - bis in die Neuzeit nicht ausmachen. Der Teil des Gesindes, dessen Arbeitsbereich außerhalb der herrschaftlichen Wohngebäude lag, also im Bereich der Wirtschaftsgebäude der Burg, nutzte ebendiese Gebäude auch als Wohn- und Schlafraum.

Wichtig ist hierbei grundsätzlich zudem zu erwähnen, daß Betten durchaus desöfteren mehrschläfrig waren: davon kündet bekanntlich das Epos Kudrun von 1235, wo für 63 Frauen etwa 30 Betten hergerichtet werden.
Fazit: So richtig im eigenen Bett gemütlich machen konnten es sich wohl selbst nicht einmal immer alle Adligen...

Zu den Betten bzw. Schlafstätten selbst ist noch zu sagen, daß sich nur die Herrschaft - soweit ihr dies möglich war - Spannbetten leistete, welche mit einem Baldachin aus Holz oder Stoff versehen waren. Darauf lagen eine Federmatratze und ein Polster, darüber eine genähte Auflage und ein Kissen sowie ein Laken - aus Leinen, Wolle oder später auch reiner Baumwolle - und schlußendlich eine Stoff- oder Wolldecke (mit Daunen oder Fell gestopft).
Knechte schliefen noch im 16. Jh. auf Strohlagern - und teilweise neben den Pferden -, Mägde in einfach gezimmerten Gemeinschaftsbetten.

Verwendete Literatur:
http://www.geschichtsforum.de/f178/europa-im-hochmittelalter-1050-1250-a-2571/
Andreas Schlunk/Robert Giersch "Die Ritter. Geschichte - Kultur - Alltagsleben" - Konrad Theiss Verlag, Stuttgart 2003



Noch einige Anmerkungen zu den Gegebenheiten außerhalb der Burgen...

Erst ab dem 13. Jh. zeichnete sich bei den Bauern eine - regional und sozial zu differenzierende - Entwicklung ab, Wohnbereich und Wirtschaftsbereich mehr und mehr voneinander zu trennen, d.h., bis dahin waren der Wohnteil und der Stall stets unter einem Dach. Eine geschlechtsspezifische Aufteilung des Hauptwohnraumes wie bspw. in Island ist auf dem europäischen Kontinent dabei nicht bekannt.

Aber zum Schlafen etc.: Betten i.S.v. richtigen Bettgestellen kannten die Bauern kaum, sondern am ehesten noch einfache Gerüste, auf denen ein einfacher Strohsack lag. Noch im Spätmittelalter taten es bei nicht wenigen Bauern zu diesem zweck ein Polster, eine Decke und zwei Laken.
Peter Dinzelbacher trifft überdies bzgl. des Threadthemas folgenden Satz:
Peter Dinzelbacher schrieb:
... Die Fußböden waren oft nur gestampfte Erde; Stroh diente dazu, etwas Wärme und Sauberkeit zu bieten; es war auch die übliche Unterlage, auf der man schlief, sich liebte, geboren wurde und starb...

In den gutbürgerlichen Häusern der Städte - wo wir übrigens nicht nur Bürger, Handelsherren u.ä., sondern ebenso auch wiederum Ritter, Minsteriale, aber bspw. auch Angehörige des Hofes sowie Kleriker antreffen - befand sich über dem Küchen- und Wirtschaftsbereich ein repräsentativer Saal, der ebenso beheizt war wie der Schlafraum nebenan.
In derart gut ausgestatteten städtischen Häusern ähnelten die Betten durchaus denen der Burgherren, wenn sie auch oftmals nicht bzw. erst ab dem Spätmittelalter derart "prunkvoll" waren. Darauf lagen eine Federmatratze und ein Polster, darüber eine genähte Auflage und ein Kissen sowie ein Laken - aus Leinen, Wolle oder später auch reiner Baumwolle - und schlußendlich eine Stoff- oder Wolldecke (mit Daunen oder Fell gestopft).

Verwendete Literatur:
http://www.geschichtsforum.de/f178/europa-im-hochmittelalter-1050-1250-a-2571/



Ausgehend von diesen Ausführungen in der Fachliteratur, wo zudem stets betont wird, daß sich nur selten allgemeingültige Aussagen zu Schlafräumen treffen lassen, zeigt sich, daß allein aus diesen Gegebenheiten heraus dem Threadthema also gar nicht so einfach beizukommen ist.
 
Wenn jemand Lust hatte, dann hatte er sie genauso wie heute.
"Listu in der minne dro;
ich sich den leihten morgen dro:
diu vagelin singent den tak, er ist ho."

Der ritter hort den wehter
er weckte sine brut:
"Liep morgen kom ich rehter
ja bistu lieb, min trut."
Sie want' in ir arme blank,
dem ritter, mit sorgen sie rank:
er trute sie des sagt sie im da dank.

Sich huop dar ein leit scheiden,
da wart weinen so groz;
Er swuor di tiuren eiden:
"ich tuo dich sorgen bloz."
Dennoch weinete dasz wip,
sie sprach zuo z'im: "geselle, nu blip."
er sach: "ich wil ze dir ane hip."
 
Klar kann man alles differenzierter betrachten. Ist aus meiner Sicht allerdings nicht notwendig. Wenn jemand Lust hatte, dann hatte er sie genauso wie heute. Und Deine angeführten Zitate bestätigen das ja auch.

Das bestreitet ja niemand. Nur der Umgang damit ist verschieden. Wenn heute jemand Lust hat, dann gibts meist genug Möglichkeiten, diese auszuleben.

Im Mittelalter waren die Vorstellungen da etwas anders, die Menschen sahen die eigene Lust als etws Negatives, als etwas das unterdrückt werden musste, da Wollust eine Sünde ist/war. Speziell bei Frauen wird das ein Problem gewesen sein, denn gerade als Frau hatte man tugendhaft zu sein. Eine wollüstige Frau sank rapide im Ansehen, auch bei ihrem Ehemann. Eine Prostituierte war auf der untersten sozialen Stufe der Gesellschaft angesiedelt.

Lust wurde wenn, dann nur heimlich oder gedanklich ausgelebt. Minnelieder dürften dann eine Art gewesen sein, diese Lust auszuleben ohne sich tatsächlich zu versündigen. Fraglich allerdings wäre dabei inwieweit wollüstige Gedanken schon als Sünde gegolten haben und Auswirkungen auf das "Seelenheil" der Sünder hatten, nach kirchlicher Meinung.
Mich würde interessieren, ob die Menschen diese Gedanken gebeichtet haben und welche Bußen ihnen dafür auferlegt wurden.
 
Minnelieder sind in diesem Thema sehr problematisch. Teilweise wurden sie von den Ehemännern der Frauen in Auftrag gegeben, aber natürlich von den Dichtern selbst wiedergegeben. Der Minnedienst gehört unter diesem Aspekt schon eher zum Lehnswesen.
 
Im Mittelalter waren die Vorstellungen da etwas anders, die Menschen sahen die eigene Lust als etws Negatives, als etwas das unterdrückt werden musste, da Wollust eine Sünde ist/war.

Bei besonders ausufernden Diskussionen wie dieser ist es nützlich, ab und zu einzustreuen, dass auch vor 700 Jahren die Lebenssachverhalte sehr vielgestaltig/-schichtig waren. Es gab bestimmt z. B. viele Menschen, auf welche die zitierte Einstellung zu Lust/Sexualität zutraf - und eine unbekannte Zahl von Gegenbeispielen. Das jeweilige soziale Milieu spielte vielleicht eine größere Rolle als heute, und dass die schriftliche Überlieferung - nicht nur bei diesem Thema - hochselektiv ist, muss nicht eigens begründet werden. - Nach diesem prophylaktischen Abwiegelungsversuch einige Hinweise:

1. Für eine negative Einstellung gegenüber Sexualität, soweit sie sich von der Fortpflanzung ablöst, gibt es kirchengeschichtlich viele Belege (bis in unsere Tage). Die Frage, inwieweit sie tatsächlich bestimmend ist für die "häusliche Praxis", steht auf einem anderen Blatt. Auch wenn man Sillys "Dampfkesselmodell" ("Der Körper bricht irgendwann mal aus der Moral aus" - Wilhelm Reich lässt grüßen!) nur einen geringeren Erklärungswert beimisst, steht doch "die Macht der Triebe" außer Zweifel. Aber wem schreibe ich das hier...:pfeif:

2. Tatsache ist jedenfalls, dass es die Kirche schon schwer genug hatte, in den eigenen Reihen Ordnung zu schaffen: Bis weit in die Neuzeit hinein standen Teile des Personals im Ruch, eine durchaus "unverkrampfte" (Roman Herzog) Einstellung zu den Freuden des Leibes zu haben. In seinem unbedingt lesenswerten Beitrag erwähnt La Roncière (in: Geschichte des privaten Lebens, Hg. Ariès/Duby, Bd. 3, S. 213), dass dieses ein beliebtes Thema der Novellisten war:
Zu Ehren der größten Sexualathleten - der Priester und Mönchen - bezeichnete man den Geschlechtsakt als "Psalm" oder "Psalter". Von einem Mönch wird berichtet, er habe in einer Nacht sechs Psalmen rezitiert, und am Morgen noch einmal zwei - wohl ein klassischer Fall von frommen Übereifer.
3. Man kann auch getrost davon ausgehen, dass Sexualität damals "Thema eins" war. (Wie gesagt, gab es die Champions League damals noch nicht.) Gleichwohl überrascht mich die Darstellung von Thomasset (in: Geschichte der Frauen, Hg. Duby/Perrot, Bd. 2, S. 77 f.), wonach es "die arabische Medizin" gewesen sei, "aus der eine neue Art des Denkens" über die "Geheimnisse der Frauen" resp. ihres Körpers entstand:
In diesem Kulturkreis veranlaßte die Polygamie den Mann, seinen Körper besser kennenzulernen und der Frau mehr Freiheiten in ihrer Suche nach Befriedigung einzuräumen. Der Canon des Avicenna bekräftigt das Recht auf Lust. [...] Im Abendland war man weit davon entfernt, solche Forderungen aufzunehmen. Dennoch blieb im Rahmen des züchtigen Genusses ehelicher Freuden einiges hängen. Albertus Magnus erlaubte immerhin Zärtlichkeiten vor der sexuellen Vereinigung...[...]
An der Wende vom 13. zum 14. Jh. nahm die Liebeskunst einen bemerkenswerten Aufschwung. Ärzte wie Magninus und John de Gaddesden gaben Ratschläge, denen selbst in Handbüchern der modernen Sexualforschung nicht widersprochen würde. [... Es gab sogar] eine richtige Abhandlung über [...] verschiedene Stellungen beim Koitus,. Das Manuskript erschien [...] in katalanischer Sprache unter dem offenherzigen Titel Speculum al foderi...
Vor Weiterem wurden wir durch die Reconquista bewahrt bzw. durch das, was Norbert Elias' - nicht unumstritten - als "Zivilisierung" bezeichnet hat.

4. Intimität hatte selbstverständlich einen hohen Stellenwert. Die beengte Wohnsituation vieler Familien forderte freilich Kompromisse, wie Contamine (in: Ariès/Duby, aaO, S. 463) schreibt:
Es ist eine begründete Vermutung, daß das einzelne Bett im Mittelalter nicht nur - billigerweise - dem verheirateteten Paar Platz bot, sondern auch dessen Kindern, mehreren Geschwistern oder den Dienstboten ein und desselben Herrn oder sogar Fremden, die sich den Raum und das Lager miteinander teilen mußten.
Die Abgeschiedenheit von anderen war erstrebenswert, jedoch insbesondere eine Finanzierungsfrage. Häufig musste es genügen, Sichtschutz zu haben und sich im Übrigen der Situation, wie sie war, anzupassen. (In Erweiterung von Röhrich [Redensarten, Bd. 3, S. 1755] könnte der Ausdruck "auf die Zähne beissen" [serrer les dents] auch hier einen Ursprung haben.)

So weit zunächst. Ich geh' dann mal sublimieren.
 
Zuletzt bearbeitet:
:ironie:Ich lächele immer etwas, wenn ich hier lese.
Kann mir doch keiner erzählen, das die Lust am Sex früher anders war als heute.
Sicher, ursprünglich war es dazu gedacht, um die Art zu erhalten.
Aber wie sagte schon ein alter Philosoph? (Ich denke, also bin ich).

Hoch lebe die Liebe. Das war früher auch nicht anders.
Selbst bei Zwangsehen kam sicher auch eine Lust auf, wenn man die Augen zu machte.
 
Zuletzt bearbeitet:
Es geht hier weniger um vorhandene Lust sondern eher um Themen, wie wo Sex ausgeübt wurde (und trotz der wiederholt angesprochenen Möglichkeit immer und überall biblisch zu werden, wird heute am meisten im Bett koitiert - aber war das früher auch so? Die "Architektur" der Betten hat ja die Zweifel der ursprünglichen Verfasserin überhaupt erst geweckt) und wie promiskuitiv man war. Möglicherweise auch darum, ob man die "einzig richtige" Stellung vielleicht doch mehr als dem einen oder anderen lieb war, variiert wurde, verwiesen sei hier nach jschmidt auf den Speculum al foderi und nach Repo auf die Zimmersche Chronik.
Der Mensch unterscheidet sich vom Tier, weil er sein Handeln reflektiert. Das führt zu manchen Kuriositäten. Ein Tier würde sich z.B. unter normalen Umständen niemals Schmerz zufügen. Ein Mensch kann dagegen aus bestimmten Umständen Schmerz zur Eigenbestrafung anwenden oder sogar Lust dabei empfinden. Das ist zwar nicht wirklich rational*, aber durch die Fähigkeit des Menschen zur Rationalität begründet. Wenn der Mensch sich selbst und sein Handeln reflektiert, dann reflektiert er auch seine Triebe, wie Hunger, Durst, Müdigkeit, Harndrang etc. und Lust.
Die menschliche Reflexion ist dabei immer auch vom jeweiligen Zeitgeist mit beeinflusst. Wenn also der Lust nachzugeben eine Todsünde darstellt, dann werden die Menschen dies auf ein verträgliches Mindestmaß reduziert haben.
Im Brief des Priesterkönigs Johannes an den byzantinischen Kaiser Emanuel (dessen wirklicher Adressat der Papst und dessen Verfasser vermutlich ein Parteigänger der Staufer, möglicherweise der Bischof von Mainz oder der Abt des Klosters Corvey war) etwa behauptet der fiktive Priesterkönig von sich, dass seine Frauen (sic!) ihm viermal jährlich zugeführt würden, um die Nachkommenschaft zu sichern.

*Um das gleich zu relativieren: Die Selbstbestrafung ist natürlich aus religiöser Sicht durchaus rational gedacht: Man bestraft sich selbst, fügt sich selbst Schmerz zu und erreicht damit eine Besänftigung des göttlichen Strafgerichts.
 
Zuletzt bearbeitet:
Im Mittelalter waren die Vorstellungen da etwas anders, die Menschen sahen die eigene Lust als etws Negatives, als etwas das unterdrückt werden musste, da Wollust eine Sünde ist/war. Speziell bei Frauen wird das ein Problem gewesen sein, denn gerade als Frau hatte man tugendhaft zu sein. Eine wollüstige Frau sank rapide im Ansehen, auch bei ihrem Ehemann. Eine Prostituierte war auf der untersten sozialen Stufe der Gesellschaft angesiedelt.
.

Und das Luther-Wort: Der Woche zwier schadet weder Dir noch Ihr?

Hast Du den o.g. Schwank aus der Zimmerischen Chronik gelesen?
Es handelt sich hier um eine geborene Pfalzgräfin, verwitwete Gräfin von Wirtemberg und verwitwete Erzherzogin von Österreich. also Hochadel und keine Magd. Und wie gesagt, die altehrwürdigen Unis in Tübingen und Freiburg sind auf ihre Intention entstanden.
 
jschmidt hat es eigentlich schön beschrieben. Es ist bei unserer Diskussion immer daran zu denken, daß es eben Individuen sind, die alle ihren eigenen Weg gingen und gehen. Daher kann man eben nicht verallgemeinern. Da die Informationen aus dieser Zeit darüber sehr diffus sind, bleibt uns ja kaum was anderes Möglich als zu spekulieren. Ich spekuliere daher auch darauf, daß im Bett eher am wenigsten passierte, weil eben immer jemand aus der Familie mit drinnen lag. Und wenn es zum Warmhalten diente. Fachliteratur hilft nur bedingt weiter und benennt eigentlich nur Momentaufnahmen einzelner Personen oder Stände u.s.w. die nicht verallgemeinert werden können. Leider ! Und daher werden wir auch weiter unsere eigenen Gedanken und Vorstellungen äußern müssen. Ich jedenfalls kann mir einfach nicht vorstellen, daß die alle so fromm waren, wie es sich darstellt. Man arrangierte sich durchaus mit der Gesellschaft. Und wenn die Not am größten war, dann waren einem auch die Folgen aus seinem Handeln egal. Daher möchte ich nicht wissen, wie viele Frauen den Rock geliftet haben, um an was Essbares zu gelangen (um es mal drastisch auszudrücken). Daß dies dann sicher nicht die Regel war, sollte jedem klar sein. Aber die Siphyllis (Hab ich das jetzt richtig geschrieben ?) grassierte doch nicht ohne Grund als Seuche.
 
Und das Luther-Wort: Der Woche zwier schadet weder Dir noch Ihr?

Hast Du den o.g. Schwank aus der Zimmerischen Chronik gelesen?
Es handelt sich hier um eine geborene Pfalzgräfin, verwitwete Gräfin von Wirtemberg und verwitwete Erzherzogin von Österreich. also Hochadel und keine Magd. Und wie gesagt, die altehrwürdigen Unis in Tübingen und Freiburg sind auf ihre Intention entstanden.


Das hast Du schön gesagt, Repo.

Das klingt fast wie das Schlußwort.

War die zweimal verwitwete Pfalzgräfin die Mechthild ?

Gruß.....
 
Im Bett muss ja auch nicht viel passieren. Aber wenn das liebe Weib alleine am Herd steht wärend die Kinder und andere draußen beschäftigt sind. Warum dann nicht mal ein kleines Stelldichein neben der warmen Feuerstelle? ;)
 
Ich jedenfalls kann mir einfach nicht vorstellen, daß die alle so fromm waren, wie es sich darstellt.
Das ist eben das große Problem. Wir sollten aber historische Zäsuren die seit dem Mittelalter dazu kamen nicht allzugering schätzen. Ich erwähne noch einmal die berühmte Entzauberung der Welt durch die Auflärung (im Spanischen desengaño - wörtlich 'Entbetrug') aber auch die gesellschaftlichen Veränderungen durch die Entwicklung einer preiswerten und vor allem sicheren Antirezeptionstechnik. Diese Dinge haben mit Moralvorstellungen aufgeräumt die vorher zum gesellschaftlichen Funktionieren dazugehörten. Und wenn wir ehrlich sind, leiden insbesondere lustvolle Frauen bis in die Gegenwart unter dem Vorwurf der Promiskuität. Da hängen eigentlich antiquierte Vorstellungen von Treue etc. noch an.

Aber die Syphilis grassierte doch nicht ohne Grund als Seuche.
Die Syphilis ist eine neuzeitliche Erscheinung, die eng mit den kriegerischen Auseinandersetzungen verbunden ist. Sie stammt vermutlich aus Amerika.
 
Diese Dinge haben mit Moralvorstellungen aufgeräumt die vorher zum gesellschaftlichen Funktionieren dazugehörten. Und wenn wir ehrlich sind, leiden insbesondere lustvolle Frauen bis in die Gegenwart unter dem Vorwurf der Promiskuität. .

Tut mir Leid, kann ich nicht nachvollziehen.
Auch das halte ich für eine Umsetzung der Moralvorstellungen des Viktorianischen Zeitalters auf das Mittelalter.

Da hängen eigentlich antiquierte Vorstellungen von Treue etc. noch an

Das ist ein ganz anderes Thema, keineswegs antiquiert, ohne die geht es nämlich nicht.
Wir diskutieren hier aber nicht über Tagespolitik!
Danke!:devil:
 
Zurück
Oben