Historische Kontinuität hängt nicht davon ab, wer in einem Land herrscht.
Nicht alleine - aber ein Faktor von mehreren ist das schon.
Kommt halt immer auf die Art der Herrschaft an.
Du hast völlig recht, die Iren haben trotz der englischen Herrschaft ihre Identität bewahrt. Was wohl auch daran liegt, daß die Engländer ihnen zwar weitgehend erfolgreich die Sprache aufgedrückt haben, ansonsten Irland aber immer eine eigenständige Einheit blieb - es wurde nie versucht, es zu einem integralen Teil Englands zu machen.
Die Gallier dagegen verloren ihre eigene Identität, betrachteten sich selber nicht mehr als Kelten, bekamen das römische Bürgerrecht, Gallien war nur noch ein geographischer Begriff (so jedenfalls meine Kenntnis).
Alle heutigen Nationen können auf eine "durchgängige Tradition" zurückblicken.
Das ist aber doch sehr unterschiedlich. Daß ziemlich jede Gegend Europas seit Jahrtausenden durchgängig besiedelt war, ist mir für historische Kontinuität zu wenig.
Mal ein anderes Beispiel: Die historische Tradition der Ungarn beginnt mit der Landnahme und geht durchgängig bis heute.
Da stört nicht, daß die Gegend schon vorher bewohnt war. Auch wenn vereinzelte dieser Vorsiedler noch Nachfahren im heutigen Ungarn haben mögen, auch wenn die Ungarn vorhandene Strukturen übernommen haben mögen - das sind nicht relevant, die Ungarn haben historisch nichts mit der Vorbevölkerung zu tun und sehen diese zu Recht nicht als zu ihrer Tradition gehörig an.
Während umgekehrt der ungarische Staat einige Zeit nicht präsent war, die Ungarn fremd beherrscht wurden - das hat ihre historische Tradition nicht unterbrochen.
Dass nur Deutschland sich unbeeinflusst aus seinen eigenen Wurzeln entwickelt haben soll, kann ich nicht erkennen.
Das "nur" habe ich auch nicht gesagt, ich habe nur den Gegensatz zu Gallien gezogen, wo es eben einen deutlichen Traditionsbruch gegeben hat.
Auch Italien hat (trotz jahrhundertelanger Fremdherrschaft und territorialer Zersplitterung) eine durchgängige historische Tradition, auch Skandinavien, Irland, auch das aus mehreren Volksgruppen fusionierte Schottland, Polen - und natürlich Griechenland (siehe unten den Beitrag von Maglor), obwohl es da ja erhebliche Brüche gab.
Die Völkerwanderung hat das Gebiet, in dem wir heute leben, genauso umgekrempelt wie alle Nachbarländer.
Nur teilweise. Aus Norddeutschland, Nordhessen, Westfalen sind im wesentlichen Leute weggewandert - wer daheim blieb, für den änderte sich nicht viel (nur die Zusammenfassung in Stämme war veränderlich). Es gibt schon einige Gebiete, da hocken im Prinzip immer noch die Leute, die da schon immer gehockt haben ;-)
Und mit der Etablierung des fränkischen und später des Kaiserreichs sind römische Elemente viel nachhaltiger in die "deutsche" Kultur hineingetragen worden als durch die Legionen.
Durchaus richtig. Aber das waren graduelle, längerfristige Veränderungen, die die Traditionslinie nicht abgeschnitten haben.
Das unsere heutige Kultur sich ganz entscheidend von der des Mittelalters unterscheidet, ist ja unbestreitbar. Und dennoch ist die historische Kontinuität eindeutig.
Da sehe ich das Problem mit "Heldenbildern"
Das mit dem "Held" ist eigentlich eine ganz andere Baustelle. Man kann Arminius auch gerne als "Persönlichkeit der deutschen Geschichte" bezeichnen.
Heutige Gesellschaften neigen dazu, die antiken Helden nachträglich in ihre Tradition einbinden zu wollen.
Richtig.
Das wird dann spannend, wenn es eben keine wirkliche Traditionslinie gibt. Ein König Artus (sollte es ihn gegeben haben) gehört eben nicht in die englische Tradition, das wäre Geschichtsklitterung.
Ansonsten aber halte ich es sogar für ganz wesentlich für die Definition von "historischer Kontinuität", daß die Nachfolgenden selber eine Tradition sehen und akzeptieren.