Kriminalgeschichte des Christentums - Geschichtsklitterung mit System?


Hab's mir gerade durchgelesen. Etwas dröge.
Ich war ja schon froh, dass uns kein Mod wegen unserer atomaren-Erstschlag-Albernheiten geschimpft hat.:) Aber die Straf-Lektüre des verlinkten Textes war ja noch gemeiner als Schimpfe.:hmpf:
Wenn ich den Text richtig verstanden habe, hat sich Pius XII. zweideutig bzw. missverständlich über die Erlaubtheit bzw. Unerlaubtheit eines Atomwaffen-Verteidigungskrieges ausgedrückt. Falls der Papst die Möglichkeit solch eines Verteidigungskrieges tatsächlich in Betracht gezogen hat, wäre das wohl auch als handfeste Drohung gegen den Angreifer Dreschner zu deuten. Die Sache scheint sich zuzuspitzen.
 
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Eigentlich nicht. Im Unterschied zum Theologen Gundlach hat er sich auf eine Weise wenig zweideutig geäußert, die nicht nur ihr beide so nicht erwartet hättet.
Aber davon abgesehen hast du schon verstanden, was ich ungefähr ausdrücken wollte: Es kann sinnvoll, aber auch mühsam, sein, sich erst über den Sachverhalt kundig zu machen, bevor man sich eine Meinung oder ein Urteil bildet - und auch, den Sachverhalt und das Urteil auseinanderzuhalten. Du hast ja immerhin mehrere Bände Deschners gelesen:respekt:
 
Aber davon abgesehen hast du schon verstanden, was ich ungefähr ausdrücken wollte: Es kann sinnvoll, aber auch mühsam, sein, sich erst über den Sachverhalt kundig zu machen, bevor man sich eine Meinung oder ein Urteil bildet - und auch, den Sachverhalt und das Urteil auseinanderzuhalten. Du hast ja immerhin mehrere Bände Deschners gelesen:respekt:

Nun ja, eh also ... :rotwerd: um ehrlich zu sein: ich hab noch nicht mal den Klappentext einer der Bände gelesen. Ich dachte, ich könnte auch so mitreden, ohne dass mich jemand ertappt. Aber die Rechnung ist wohl nicht aufgegangen. Ich weiß, ich hätte Haue verdient:haue:.

:respekt: verdient dekumatland. Der hat sich durch die ersten vier Bände gearbeitet.


Insgesamt hast Du natürlich vollkommen recht: Es ist sinnvoll und mühsam zu einem gerechten Sachurteil über Dreschners Werk zu gelangen, indem man es liest bzw. gelesen hat. Volle Zustimmung! (Aber wenn man sich der Mühe entziehen will, kann man auch einfach so drauflos quatschen. Das geht solange gut, bis man ertappt wird.)


NACHTRAG: Hab mir gerade den ersten Band von Deschner bestellt (die Zeit der frühen Kirche interessiert mich ohnehin am meisten), um mein Gewissen zu beruhigen und meine Wissenslücke zu schließen. Nach der Lektüre dieses Bandes weiß ich hoffentlich auch, warum ich Deschners Werk nicht ausstehen kann. :)
 
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NACHTRAG: Hab mir gerade den ersten Band von Deschner bestellt (die Zeit der frühen Kirche interessiert mich ohnehin am meisten), um mein Gewissen zu beruhigen und meine Wissenslücke zu schließen. Nach der Lektüre dieses Bandes weiß ich hoffentlich auch, warum ich Deschners Werk nicht ausstehen kann. :)
bestell dir auch noch Peter Brown "die letzten Heiden", passt in diese Zeit und dieses Thema und ist richtig lesenswert! Großes Indianerehrenwort!
 
Deschner - ein schwieriges Thema. Den eingehenden Liebenfels-Vergleich finde ich auch nicht ganz fair - aus meiner Sicht hat sich Deschner nicht in gleicher Weise moralisch korrumpiert wie der Hochstapler und Betrüger Liebenfels. Inhaltlich gibt es ebenfalls sehr verschiedene Ansätze, damit meine ich nicht nur den Rassismus im Liebenfels'schen Werk, sondern letzterer wollte ja quasi einen eigenen Kultus um sich schaffen. Das kann man Deschner wiederum nicht vorwerfen.

Deschner kam ganz im antiautoritären Diskurs der 60er Jahre hoch, traf hier den richtigen Ton. Lange bevor Richard Dawkins "Gotteswahn" entstand, war Deschner zumindest in Deutschland quasi der Referenz-Atheist mit seiner "Kriminalgeschichte". Mangels Alternativen (zumindest in den 1970er/80ern) hat man wohl öfters nicht so genau hingeschaut, was da abgefeiert wird. Andererseits ist die Schärfe der Polemik ein Markenzeichen von Deschner und ich denke, dass viele ihn gerade dafür mochten - und mögen. Und dafür über die inhaltlichen Schwächen der Werke hinwegsehen.

Ich verbinde Deschner auch vor allem mit dem "Moloch" und meine, dass dieser sehr wohl in die Diskussion eingebracht werden kann. Deschner betont in dem Werk deutlich, dass es aus einem Guss mit seinen antikirchlichen Schriften ist. Außerdem findet sich da ein schöner Abschnitt zu seinem Selbstverständnis, S. 348 (rauskopiert, daher Schwierigkeiten mit der Typographie:

Man denke doch nur an die deutsche Geschichtswissenschaft
die ses Jahrhunderts!
Die ubergrose Mehrheit ihrer Vertreter schrieb zur Kaiserzeit
im Sinn des Kaisers und der Monarchie, im Dritten
Reich im Sinn Hit lers und der Nazis, danach im Westen im
Sinn der westlichen, im Osten der ostlichen Demagogen.
So war, so ist es doch. Aber diese sich gern so szientifi sch


gebende, diese scheinbar so behutsam ab wagende, in Wirk
348



lichkeit freilich jede entschiedene Stellungnahme entschieden
verweigernde Geschichtsschreibung ist meist nichts
als die bestenfalls gelehrt am Wesentlichen vorbeiredende,
ganze Gene rationen dreist an der Nase herumfuhrende
Wissenschaft eines im Grunde korrumpierten Tendenzkartells,
das, wenn schon den Mach tigen nicht nach dem
Maul, so doch kaum je scharf zuwiderredet und alles als
≫unserios≪, abtut, was nicht so notorisch-opportunistisch
wie es selbst die Geschichte verdreht oder vernebelt, nicht
so im Sinne der und des jeweils Tonangebenden sich geriert.
Schlieslich werden die Professionellen, Geschichtsschreiber
und -lehrer, ja auch vom je weiligen Staat bezahlt. Und
wes Brot ich ess, des Lied ich sing. Oder wie 1947, ziemlich
in diesem Zusammenhang, der britische Militar-Gouverneur
General Robertson einpragsam sagte: ≫He who pays
the piper calls the tune≪: ein – mit eher Kleingeld gekauft er
– akademischer Klungel, dem es in der Regel weniger an
Kopf als an Charakter gebricht, weshalb seine teils apologetischen,
teils glorifi zieren den Rucksichten (wortlich und
ubertragen genommen) nur Vorschub In Sien den nachsten
Geschichtsverbrechern und -verbrechen.
Wer Geschichte nicht als Kriminalgeschichte schreibt,

ist ihr Komplize.

Bezeichnend der letzte Satz, ich fand in der Geisteswissenschaft Leute nie sonderlich sympathisch, die ihr Schaffen zum alleinigen Prinzip erhoben habe. Es steht aber auch für Deschners holzschnittartige Rigorosität. Zumal gerade im "Moloch" - zudem hier ja schon einiges gesagt wurde - sich Deschners Skeptizität zwar gegen jeden Historiker in Staatsdiensten, jedoch nicht auf die eigene Quellenbasis erstreckt. Da wird nämlich ziemlich unkritisch verschwörungstheoretische Literatur der Nachkriegszeit wie etwa Sutton verarbeitet, selbst damals schon bekannten Fälschungen wie dem "Abegg-Archiv" saß Deschner auf.​

Ich lasse Deschner gerne als politischen "Streitschreiber" durchgehen;
doch als Historiker argumentiert er mir zu sehr mit dem Holzhammer, ohne freilich selbst eine brillante Primärforschung abzuliefern.​
 
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Danke für den Tipp, aber auch wenn "Die letzten Heiden" kein dickes, teures Buch ist, will ich meinen Geldbeutel ein bisschen schonen, zumal die Spätantike nicht mehr meine Hauptinteressen-Epoche ist.

@ Ashigaru:
Aussagekräftiges Zitat aus dem Moloch und schöne Einordnung in die Diskussion.
 
@Ashigaru

"...Wer Geschichte nicht als Kriminalgeschichte schreibt,

ist ihr Komplize. ..."

Ich habe von Herrn Deschner bis dato nichts gelesen und werde diesen Zustand auch in Zukunft nicht ändern. Alleine das oben angeführte Zitat, was Du freundlicherweise eingestellt und hervorgehoben hast, ist meiner unmaßgeblichen Meinung nach megalomanisch. Herr Deschner schreibt keine Geschichte, bestenfalls schreibt er Geschichte auf und letzteres offensichtlich auch nicht lege artis.

Ob der Erfolg von Herrn Deschner auf soziologischen Mileus der 1960'er und 1970'er Jahre zurück geführt werden kann, entzieht sich meiner Beurteilung, könnte aber durchaus naheliegend sein.

Problematisch ist m.E. nicht die Kirchenkritik, sondern die Projektion eines ideologisch transzendierten "Feindbildes" auf die historische Analyse und solches geht immer "schief" und führt zu "Zerrbildern". Wenn soche "Zerrbilder" auf die rezeptionsbereiten Milieus treffen, werden sie auch angenommen, insbesondere da sie relativ einfache Antworten liefern - ähnlich wie bei Verschwörungstheorien. Hinzu treten dann schlaglichtartige Reduktionen, Pius XII., der Papst der schwieg, Paul VI. => Humanae Vitae etc.

Das ist Agitation, vllt. auch Schriftstellerei - why not, entzieht sich aber dem wissenschaftlichen Diskurs.

M.​
 
du hast gelesen, was Tante Wiki zu den aufgelisteten Fakten bei Deschner mitgeteilt hat, dass sie nämlich nicht in Zweifel gezogen werden?
Zu wissenschaftlich zuverlässigem Arbeiten gehört aber auch die Frage der Auswahl, Gewichtung und Wertung der einbezogenen Fakten. Man könnte beispielsweise sagen: Gesualdo di Venosa ist ein Adliger der Renaissance, de seine Frau und ihren Liebhaber umbrachte und dafür wegen seiner Position nicht belangt wurde. Ist ein Faktum, nicht bestreitbar. Nur wenn man sich darauf beschränkt, unterschlägt man, daß man sich heute nicht deswegen für ihn interessiert, sondern weil er zugleich ein bedeutender Komponist war. Und ebenso wäre das auch umgekehrt nicht sauber: wenn man sich auf das Genießen seiner Madrigale beschränkt und unterschlägt, daß dieser große Meister auch ein Mörder war...
 
Ob der Erfolg von Herrn Deschner auf soziologischen Mileus der 1960'er und 1970'er Jahre zurück geführt werden kann, entzieht sich meiner Beurteilung, könnte aber durchaus naheliegend sein.

??????? Umgangssprachlich würde ich Dich fragen, was sowas soll? :confused:

Wissenschaflich würde ich Dich fragen, was und wer denn bitte diese Milieus ausmachte, wieviele gab es eigentlich und wie sich diese Milieus in der Arbeit von Deschner vermitteln. Positiv, negativ, bruchlos oder doch nicht ganz?

Ansonsten ist aus meiner Sicht diese negative, en passant, Qualifizierung schon ungewöhnlich. :grübel:
 
Problematisch ist m.E. nicht die Kirchenkritik
sähen das alle so, bräuchte man sich über die zehn Bände Kriminalgeschichte nicht zu echauffieren :)
____________________

zu Deschners scharfen Anklagethesen wäre anzumerken, dass ein Körnchen Wahrheit durchaus drinsteckt: je nach Kulturkreis und Ideologie werden durchaus recht verschiedene Geschichten geschrieben - dass die hierzulande gültigen Methoden und Denkweisen die einzig wahren wären, setzen wir hierzulande gerne voraus und lehnen andere "fachlich" ab (man denke nur an die Normannentheorie bzgl. der frühruss. Geschichte). Hierbei fällt es uns leicht, den jeweils anderen ihre jeweiligen ideologischen Voraussetzungen nachzuweisen - aber haben wir denn wirklich so ganz und gar keine? ...sind wir in unseren abendländisch-westeuropäischen Universitäten und Akademien die einsame Spitze neutraler-seriöser-methodischperfekter-unwiederlegbarer Geisteswissenschaft?
...man kann, man muss nicht, aber man kann zu solchen Überlegungen gelangen, wenn man Deschners rigorosen Skeptizismus nicht gleich an den eigenen Methoden misst und ablehnt.
 
zu Deschners scharfen Anklagethesen wäre anzumerken, dass ein Körnchen Wahrheit durchaus drinsteckt ...

Mag sogar sein, dass Deine Gedanken ehrenwert sind, weil sie einen vor Eingefahrenheit und Hochmut schützen. Aber wie Deschner "die anderen" anzuklagen und dann selbst nichts Besseres vorweisen zu können, in Bezug auf Inhalt und Methodik, ist ja auch ein bisschen zu einfach.
Ich denke nicht, dass sein Werk von so vielen kritisiert wird, weil die alle nur den Splitter in Deschners Auge sehen, nicht aber den ideologischen Balken im eigenen Auge. Sondern ich denke, dass ideologische Eingefahrenheit eher ein tatsächlich bestehendes Problem bei Deschner ist.
Und man kann die historische Forschungsliteratur auch nicht so über einen Kamm scheren; denn es gibt doch eine große Vielfalt. Selbst die akademischen Historiker liegen ja überhaupt nicht alle auf einer "ideologischen Linie" (ich weiß, das hast Du so auch gar nicht behauptet, aber das von Ashigaru gebotene Descher-Zitat impliziert dies so in etwa).
 
(ich weiß, das hast Du so auch gar nicht behauptet, aber das von Ashigaru gebotene Descher-Zitat impliziert dies so in etwa).
("wer Geschichte nicht als Kriminalgeschichte schreibt, ist ihr Komplize" könnte auch von Brecht & Co. stammen, man denke an das Romanfragment die Geschäfte des Herrn Julius Caesar u.a. -- würde man über dieses Zitat ein Wehgeschrei anstellen, wenn es vom großen Brecht oder von Karl Kraus wäre?)
 
("wer Geschichte nicht als Kriminalgeschichte schreibt, ist ihr Komplize" könnte auch von Brecht & Co. stammen, man denke an das Romanfragment die Geschäfte des Herrn Julius Caesar u.a. -- würde man über dieses Zitat ein Wehgeschrei anstellen, wenn es vom großen Brecht oder von Karl Kraus wäre?)

(Da hast Du Dir aber jetzt auch beinah den harmlosesten und moderatesten Satz aus dem Deschner-Zitat herausgesucht. Lies mal oben. Das Zitat ist durchaus länger.;))
 
??????? Umgangssprachlich würde ich Dich fragen, was sowas soll? :confused:

Wissenschaflich würde ich Dich fragen, was und wer denn bitte diese Milieus ausmachte, wieviele gab es eigentlich und wie sich diese Milieus in der Arbeit von Deschner vermitteln. Positiv, negativ, bruchlos oder doch nicht ganz?

Ansonsten ist aus meiner Sicht diese negative, en passant, Qualifizierung schon ungewöhnlich. :grübel:

@Thane

Gegen Kirchenkritik, auch Religionskritik, ist per se nichts einzuwenden.

Mein Einwand, und der ist nicht "en passant", bezieht sich auf ideologisch präformulierte Erwartungshorizonte hinsichtlich der Untersuchungsergebnisse sowie selektiver Quellen- bzw. Literaturwahl. Alleine die Kategorie "Kriminalgeschichte" determiniert die zu erwartenden Ergebnisse als eindeutig negativ, das ist m.E. methodisch nicht lege artis und ideologisch "überformt".

Zu den Milieus, ich weiß, da bist Du soziologisch fitter als ich, sieh mir da gewisse Unschärfen nach. Ich subsumierte dabei, sicher unscharf, die Protestbewegung der 1960'er und Anfang 1970'er Jahre, die soziohistorisch nicht homogen waren, wohl aber in ihrer grundsätzlichen "Protesthaltung" gegen den überkommenen Wertekanon z.B. der Kirche durchaus übereinstimmten und bei denen Herr Deschner einen aufnahmebereiten und aufnahmewilligen Resonanzboden fand und so eine rezeptionsgeschichtliche Wirkungsmächtigkeit entwickeln konnte, die er vorher eventuell nicht gehabt hätte.

M. :winke:
 
Melchior schrieb:
Zu den Milieus, ich weiß, da bist Du soziologisch fitter als ich, sieh mir da gewisse Unschärfen nach. Ich subsumierte dabei, sicher unscharf, die Protestbewegung der 1960'er und Anfang 1970'er Jahre, die soziohistorisch nicht homogen waren, wohl aber in ihrer grundsätzlichen "Protesthaltung" gegen den überkommenen Wertekanon z.B. der Kirche durchaus übereinstimmten und bei denen Herr Deschner einen aufnahmebereiten und aufnahmewilligen Resonanzboden fand und so eine rezeptionsgeschichtliche Wirkungsmächtigkeit entwickeln konnte, die er vorher eventuell nicht gehabt hätte.

Sehe ich genau so. Allerdings scheint mir eben das Sendungsbewusstsein, offenbar selektive Wahrnehmung und das missionarische Ereifern bzgl. des angesprochenen "Molochs" (@ashigaru: den Aspekt der Relevanz dieses Werkes für die Einschätzung von Deschner, seine "Methodik", teile ich) selbst für einen reduzierten Anspruch, einen historisierenden Schriftsteller, schon "pathologische" Züge anzunehmen.

Hinzu kommt zu dem von Melchior genannten Hinweis auf Resonanzboden nach meinem Eindruck die Kriegstraumatisierung der Generation der 20-jährigen 1944/45, hier auf die Person Deschner bezogen, individuell noch verbunden mit religiös motivierter Drangsalierung in Elternhaus und Internat. Es wäre interessant, den jungen Deschner auch in Richtung auf so etwas wie Psychological Disorder für die lebenslange Konservierung eines fanatischen Eifers (nicht nur bzgl. Kirche, sondern siehe "Moloch") zu erforschen, vielleicht übernimmt das mal ein Biograph.
 
Hier noch zwei ganz interessante, zeitgenössische Artikel von 1957 und 1964 über Deschner in seiner frühen Rolle als Literaturkritiker:

DER SPIEGEL*47/1957 - Der Blütenleser

DER SPIEGEL*39/1964 - Brei im Mund

Offenbar auch hier schon war die Feder mit bebender Wut geführt, übte Deschner die Rolle als alleine stehender Ankläger (bei dem Verriss von Hesses unsäglichem "Narziss und Goldmund" bin ich ganz auf seiner Seite).
 
Zuletzt bearbeitet:
Gegen Kirchenkritik, auch Religionskritik, ist per se nichts einzuwenden.

Mein Einwand, und der ist nicht "en passant", bezieht sich auf ideologisch präformulierte Erwartungshorizonte hinsichtlich der Untersuchungsergebnisse sowie selektiver Quellen- bzw. Literaturwahl. Alleine die Kategorie "Kriminalgeschichte" determiniert die zu erwartenden Ergebnisse als eindeutig negativ, das ist m.E. methodisch nicht lege artis und ideologisch "überformt".
...wie beurteilst du den Umstand, dass es vorab selektive Arbeiten gibt, welche z.B. Titel tragen wie Sozialgeschichte der Musik oder auch Wirtschaftsgeschichte des römischen Reiches oder auch Mentalitätsgeschichte der Merowingerzeit, welche hochwissenschaftlich und seriös sind?

es ist völlig legitim, eine chronologisch auflistende Geschichte der Verbrechen und Verfehlungen der Kirche(n) zu verfassen und diesem Projekt einen eindeutig auf den Inhalt hinweisenden Titel wie "Kriminalgeschichte" zu geben :winke:

denn es ist völlig legitim, sich eines Einzelaspekts eines Gegenstands anzunehmen.

und wie schon erwähnt, sind Kirche(n) und Christentum Gegenstände, mit denen sich mehrere Perspektiven befassen dürfen, ja sollen - eine alleinige Deutungshoheit sollte da keine Disziplin für sich beanspruchen.

lediglich die überspitzte polemische Conclusio Deschners, dass das Christentum a priori verlogen und verbrecherisch sei, ist ungeschickt weil seine zehn Bände diesen Beweis nicht leisten - aber so sind halt polemische Überspitzungen; und in diesem umfangreichen Fall ist die Materialfülle immerhin unterhaltsam (also lesbar) aufbereitet. Kurzum: so viel Aufregung und Lärm hätten die zehn Bände eigentlich nicht verdient - aber die Rezeptionsgeschichte ist oftmals unberechenbar: offensichtlich hat diese Publikation kontroverse Wirkung. Sagte nicht der Gründer der Religion, die Deschner beharkt, dass ihm warm oder kalt lieber als lau sei?
 
Zuletzt bearbeitet:
Wir haben ein kleines terminologisches Problem gehabt, das zu Mißverständnissen geführt hat.

Zuerst:
Ob der Erfolg von Herrn Deschner auf soziologischen Mileus der 1960'er und 1970'er Jahre zurück geführt werden kann, entzieht sich meiner Beurteilung, könnte aber durchaus naheliegend sein.

Du sprichst von "soziologischen Milieus", die ich als die unterschiedlichen !!!! Richtungen der Soziologie in der BRD gedeutet habe. Geprägt durch sehr unterschiedliche Personen wie Rene König, Adorno, Wolfgang Schluchter, Lespsius und viele andere hervorragende Soziologen.

In diesem Sinne bildete, so meine Interpretation Deiner Formulierung, diese sehr heterogene Gruppe, mit antagonistischen Positionen, vgl. beispielsweise den "Positivismusstreit", die soziologischen Milieus.

Wissenschaftsgemeinde ? Wikipedia

Eine Herleitung von Deschner aus diesen Milieus erschien mir deswegen sehr fraglich. Und sie wird beispielsweise von Eley auch nicht vorgenommen, der m.E. die aktuelleste und umfassendste Darstellung linker Theoriebildung vorgenommen hat.

Forging Democracy:The History of the Left in Europe, 1850-2000 - Geoff Eley - Google Books

A Crooked Line: From Cultural History To The History Of Society - Geoff Eley - Google Books

Danach:
Zu den Milieus, ich weiß, da bist Du soziologisch fitter als ich, sieh mir da gewisse Unschärfen nach. Ich subsumierte dabei, sicher unscharf, die Protestbewegung der 1960'er und Anfang 1970'er Jahre, die soziohistorisch nicht homogen waren, wohl aber in ihrer grundsätzlichen "Protesthaltung" gegen den überkommenen Wertekanon z.B. der Kirche durchaus übereinstimmten und bei denen Herr Deschner einen aufnahmebereiten und aufnahmewilligen Resonanzboden fand und so eine rezeptionsgeschichtliche Wirkungsmächtigkeit entwickeln konnte, die er vorher eventuell nicht gehabt hätte.

Gemeint hattest Du die sozialen Milieus und so verstehe ich Deine ursprüngliche Aussage jetzt inhaltlich korrekt. Und unter dieser Voreussetzung ist die These vermutlich richtig, dass seine Bücher / Aussagen von einer politisierten 68er- Generation, im Rahmen der universellen Infragestellung tradierter Werte, positiv rezipiert wurden.

Soziales Milieu ? Wikipedia
 
es ist völlig legitim, eine chronologisch auflistende Geschichte der Verbrechen und Verfehlungen der Kirche(n) zu verfassen und diesem Projekt einen eindeutig auf den Inhalt hinweisenden Titel wie "Kriminalgeschichte" zu geben :winke:

denn es ist völlig legitim, sich eines Einzelaspekts eines Gegenstands anzunehmen.

Eigentlich lässt sich dagegen gar nichts sagen. Das Argument überzeugt mich sogar so ziemlich. Andererseits stelle ich mir die Frage, ob man ein "umgekehrtes" Projekt genauso beurteilen würde:
Angenommen ich würde zehn Bände ausschließlich über die Friedenstaten und Wohltaten des Christentums und der Kirche bspw. mit dem Titel "Die Geschichte der Wohltaten des Christentums" verfassen und veröffentlichen, alles aus historischen Quellen herausgearbeitet,* dann würde mein Werk von der Geschichtswissenschaft ja auch als nicht ernst zunehmende Apologie belächelt. Und wenn ich dann noch so ein kämpferischer "Sturkopf" wäre, der der akademischen Geschichtswissenschaft ideologische "Verblendung" vorwirft, dann würde man mich zurecht der gröbsten Einseitigkeit beschuldigen.
Im umgekehrten Fall kann ich folglich auch die Reaktionen auf Deschner und seine "Kriminalgeschichte" verstehen. Und damit relativiert sich das, was mich am Anfang fast überzeugt hätte, schon in gewisser Weise. Andererseits ist Deine Argumentation auch irgendwie plausibel. Schwierig.:grübel:

*Mit meinem mäßigen Parallel-Vergleich will ich eines nicht, nämlich Deschner Fleiß, Arbeitsdisziplin, schriftstellerisches Können usw. absprechen. Von alleine entstehen so zehn Bände nicht. Ich will sein Werk überhaupt nicht schmälern, indem ich suggeriere ich oder irgendjemand anderes könnte ohne großen Aufwand zehn vergleichbare Bände über die Wohltaten des Christentums aus dem Ärmel schütteln. Darum geht es mir in dem Vergleich ausdrücklich nicht, sondern nur um die vergleichbaren Reaktionen auf Deschners Werk und auf jenes fiktive Werk.
 
Andererseits stelle ich mir die Frage, ob man ein "umgekehrtes" Projekt genauso beurteilen würde:
Angenommen ich würde zehn Bände ausschließlich über die Friedenstaten und Wohltaten des Christentums und der Kirche bspw. mit dem Titel "Die Geschichte der Wohltaten des Christentums" verfassen und veröffentlichen,
(gibt es dergleichen glorifizierende "Arbeiten" nicht schon zuhauf?)
 
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