Indogermanen, Konstrukt oder Wirklichkeit?

Auch Süd-Slawisch hat sich weniger durch Migration (kaum archäologisch belegt), als vielmehr als Verkehrssprache unter Bulgaren, Awaren, Goten, Gepiden, Byzantinern, Veneziern etc. durchgesetzt (gilt für Ostlslawisch und Wäräger / Chasaren/ Byzantiner das Gleiche?).
südslawisch als lingua franca bei Goten und Gepiden?????
...auf die gepidischen Quellen in südslawischer Sprache bin ich gespannt...
auch gotische Texte in südslawisch abgefasst machen mich neugierig
 
Auch Süd-Slawisch hat sich weniger durch Migration (kaum archäologisch belegt), als vielmehr als Verkehrssprache unter Bulgaren, Awaren, Goten, Gepiden, Byzantinern, Veneziern etc. durchgesetzt (gilt für Ostlslawisch und Wäräger / Chasaren/ Byzantiner das Gleiche?).

Die Frage ist, ob sich so eine Migration archäologisch belegen lässt. Die Archäologie rückt seit Jahren immer mehr von Mustern ab, wie "typisch germanische", "~ slawische", "~ keltische Hausform" und geht immer mehr in die Richtung, dass Häuser so gebaut wurden, wie es regional möglich und nötig war (Bodenbeschaffenheit, Klima, Baumaterial). Insofern ist ein Eindringen der Slawen in die Romania archäologisch auch nicht unbedingt nachzuweisen, weil sie eben dortige kulturelle Praktiken (etwa den Hausbau) übernahmen.

Dass ausgerechnet die Venezianer, welche die Mamluken regelmäßig mit slawischen Sklaven versorgten und so für deren Reproduktion sorgten (als mehrheitliche Kastraten konnte sich diese ägyptische Kriegerkaste ja nicht eigenständig fortpflanzen) die Sprache ihrer Handelsware hätten übernehmen sollen, ist auch einigermaßen unplausibel.
 
Die Frage ist, ob sich so eine Migration archäologisch belegen lässt. Die Archäologie rückt seit Jahren immer mehr von Mustern ab, wie "typisch germanische", "~ slawische", "~ keltische Hausform" und geht immer mehr in die Richtung, dass Häuser so gebaut wurden, wie es regional möglich und nötig war (Bodenbeschaffenheit, Klima, Baumaterial). Insofern ist ein Eindringen der Slawen in die Romania archäologisch auch nicht unbedingt nachzuweisen, weil sie eben dortige kulturelle Praktiken (etwa den Hausbau) übernahmen.
Der Einwand ist berechtigt, gilt jedoch auch umgekehrt. Die traditionell als Migrationsbeleg angeführte "slawische Keramik" entpuppt sich auf den zweiten Blick meist als nichts anderes als Abkehr von römisch-griechisch-böhmischer Drehscheibenware und Rückkehr zu handgefertigter Ware. Dieser Prozess erfordert keine Masseneinwanderung; er ist auch durch Unterbrechung von Handelsbeziehungen, und - damit einhergehend - dem Niedergang großer, exportorientierter Töpfereizentren und dem Wiederaufleben lokalen Klienhandwerks zu erklären.
Generell gibt es - vom direkten Grenzraum entlang der Donau abgesehen - wenig Belege für spät-völkerwanderungszeitliche Siedlungszerstörung auf dem Balkan. Die Goten, Heruler etc. haben da weit heftiger gewütet, aber das war gut zwei Jahrhunderte vor der vermuteten Einwanderung der Slawen.
Vor allem aber spricht die Genetik gegen massive slawische Einwanderung. Die y-DNA Haplogruppe R1a wird allgemein als Slawen-Marker (plus Indo-Iranischer-Zweig der indogermanischen Sprachen) angesehen. Sie erreicht Häufigkeiten von 57,5% in Polen, 46% in der Ukraine und im europäischen Russland, um 40% in der Slowakei und im Umland von Rostock, 34% in Tschechien, 30% in Ungarn, und 19% in Österreich (dort, wie auch in Deutschland, mit starkem Ost-West-Gefälle). Auf dem Balkan hat lediglich Slovenien (38%) eine mit Ostdeutschland vergleichbare Häufigkeit. Nach (Süd-)Osten hin geht die Frequenz immer weiter zurück: 24% bei Kroaten, 15-17% bei Bosniern, Serben, Rumänen und Bulgaren, 7,5% in Montenegro, 4,5% im Kosovo (Zum Vergleich: Italien 4%, Frankreich 3%, Spanien 2%). Diese Zahlen zeigen klar den Wanderungsweg auf, verdeutlichen aber auch, dass der quellenmäßig belegte Slaveneinfall nach Slovenien und Osttirol Richtung Südosten schnell an Kraft verlor.

Die dominante Haplogruppe auf dem Balkan ist I2a - originär europäisch (Cro Magnon), und Träger der nacheiszeitlichen mesolithischen Re-kolonisation Europas, wahlweise von einem adriatischen und/oder pontischen Refugium aus.
Daneben finden sich hohe Häuigkeiten der Haplogruppe E1b1b (45% im Kosovo, um 20% auf dem östl. Balkan einschl. Griechenland und Sizilien). Diese Haplogruppe hat ihre höchsten Freuenzen in Nordafrika (Marokko und Äthiopien/ Somalia jeweils bis 80%, Tunesien 70%).Die dominierende Sub-Klade auf dem Balkan ist E-V13 - diese Klade entwickelte sich vermutlich in der Levante, ist auch in Ägypten und Lybien verbreitet (jedoch nicht in Ost-Anatolien!). Interessanterweise stammt der früheste Nachweis dieser Klade von einem Neolitiker in Katalonien (5.000 BC), nicht vom Balkan. Drei Theorien der Verbreitung auf den Balkan werden diskutiert (a) transmediterrane mesolithischer Einwanderung, (b) frühneolithische Expansion per "island hopping" im östl. Mittelmeer, und dann graduelles "Einsickern" ins Hinterland, oder (c) spätneolithische Migration von Tunesien aus über Süditalien nach Albanien/ Kosovo. In jedem Fall waren diese Einwanderer mit hoher Wahrscheinlichkeit (proto-)afro-asiatisch (semitisch-hamitisch)-sprachig, und hatten mit Slawisch ziemlich lange nichts am Hut.

Dass ausgerechnet die Venezianer, welche die Mamluken regelmäßig mit slawischen Sklaven versorgten und so für deren Reproduktion sorgten (als mehrheitliche Kastraten konnte sich diese ägyptische Kriegerkaste ja nicht eigenständig fortpflanzen) die Sprache ihrer Handelsware hätten übernehmen sollen, ist auch einigermaßen unplausibel.
Ich meinte "Verkehrssprache zwischen", nicht "unter" den diversen sich ab dem 6./7. Jahrhundert auf dem Balkan tummelnden Völkern. Die Venezianer standen in meiner Aufzählung aus gutem Grund an letzter Stelle - Ragusa (Dubrovnik) sprach ja noch bis ins 19. Jahrhundert venezianisch. Ausser mit Slaven handelten die Venezianer u.a. auch noch mit bosnischem Salz, und ihre Zulieferer, die romanischsprachigen Morlachen, sind ein weiterer Beleg dafür, dass sich Südslawisch nicht primär über Migration durchsetzte.
Morlachs - Wikipedia, the free encyclopedia
 
Die y-DNA Haplogruppe R1a wird allgemein als Slawen-Marker (plus Indo-Iranischer-Zweig der indogermanischen Sprachen) angesehen. Sie erreicht Häufigkeiten von 57,5% in Polen, 46% in der Ukraine und im europäischen Russland, um 40% in der Slowakei und im Umland von Rostock, 34% in Tschechien, 30% in Ungarn, und 19% in Österreich (dort, wie auch in Deutschland, mit starkem Ost-West-Gefälle). Auf dem Balkan hat lediglich Slovenien (38%) eine mit Ostdeutschland vergleichbare Häufigkeit. Nach (Süd-)Osten hin geht die Frequenz immer weiter zurück: 24% bei Kroaten, 15-17% bei Bosniern, Serben, Rumänen und Bulgaren, 7,5% in Montenegro, 4,5% im Kosovo (Zum Vergleich: Italien 4%, Frankreich 3%, Spanien 2%). Diese Zahlen zeigen klar den Wanderungsweg auf, verdeutlichen aber auch, dass der quellenmäßig belegte Slaveneinfall nach Slovenien und Osttirol Richtung Südosten schnell an Kraft verlor.

Könnte man nicht ebenso gut das genaue Gegenteil folgern?
Je weiter die slawische Expansion ging, desto mehr ursprünglich nichtslawische Bevölkerungsteile wurden mitgerissen, und desto größer wurde die Lawine?

Abgesehen davon ist R1a kein "Slawenmarker". Die Haplogruppe hat sich schon Jahrtausende vor den ersten Slawen verbreitet.

Es hat sicher keinen Zeitpunkt in der Geschichte gegeben, in der R1a-Haplogruppenträger und slawische Muttersprachler auch nur annähernd identisch waren.
 
Diese Zahlen zeigen klar den Wanderungsweg auf, verdeutlichen aber auch, dass der quellenmäßig belegte Slaveneinfall nach Slovenien und Osttirol Richtung Südosten schnell an Kraft verlor.
http://en.wikipedia.org/wiki/Morlachs

Wo ist dieser Weg denn Quellenmäßig belegt? Das erste Auftauchen von Slawen in den Quellen findet doch an der unteren Donau statt? Und Slowenien oder Karantanien wurden von aus Pannonien vor den Awaren zurückweichenden Gruppen besiedelt. Eine Stoßrichtung nach Südost ist mir da nicht bekannt.
 
Könnte man nicht ebenso gut das genaue Gegenteil folgern?
Je weiter die slawische Expansion ging, desto mehr ursprünglich nichtslawische Bevölkerungsteile wurden mitgerissen, und desto größer wurde die Lawine?
Könnte man. Nur deutet alles darauf hin, dass nicht primär die Slawen rissen, sondern eher Goten, Hunnen, Awaren, Bulgaren, Alanen etc., und die Slawen selbst ordentlich "mitgerissen" wurden, bzw., im Falle der Westslawen, ziemlich langsam in vorher weitgehend entvölkerte Gebiete "nachsickerten".
Wenn man Deinen Ansatz weiter denkt - welchen Grund haben die "mitgerissenen" Nicht-Slawen, Slawisch zu lernen, und eben nicht Alt-Bulgarisch, Gotisch, Awarisch usw? Eigentlich keinen anderen, als sich eine Verkehrssprache für den lokalen Markt (und nicht für Umgang mit den neuen "Herren", also Awaren/ Alt-Bulgaren) anueignen.

Dazu kommt dann noch die Frage, von wo die nichtslawischen Bevölkerungsgruppen mitgeschleptt wurden. Klar, da kamen z.B. germanische Heruler nach dem Fall ihres Reiches in Pannonien nach Nordserbien (allerdings als gezielte Grenzansiedlung der byzantinischen Kaiser). Aber die balkantypische Haploguppe I2a-Din (für "Dinarische Alpen") hat ihre höchste Konzentration auf den süddalmatischen Inseln, in Südwestbosnien und in der Herzegowina, also in den Regionen, die am spätesten slawisiert wurden. Die wurden nicht "mitgerissen", die sammelten sich in Rückzugsräumen. Und die für den östlichen Balkan ebenfalls prägende Haplogruppe E1b1b hat nach dem Kosovo die höchste Konzentration in Albanien, dann folgt der Peleponnes und Süditalien/ Sizilien. Liegt alles nicht gerade auf den bekannten Einfallrouten der Slawen in den Balkan...

Abgesehen davon ist R1a kein "Slawenmarker". Die Haplogruppe hat sich schon Jahrtausende vor den ersten Slawen verbreitet.

Es hat sicher keinen Zeitpunkt in der Geschichte gegeben, in der R1a-Haplogruppenträger und slawische Muttersprachler auch nur annähernd identisch waren.
Stimmt - deshalb nutze ich das Wort "Marker". Meine Argumentation war verkürzend und vereinfachend, um nicht komplett OT zu geraten. Bei R1a muss man in die Untergruppen gehen. Die hohe Konzentration an der norwegischen Westküste z.B. ist sicher nicht- und vorslawisch, hier dominiert die Untergruppe Z284, die kaum ausserhalb Skandinaviens zu finden ist. Bei M458 (Peak an der Oder) lässt sich streiten, wie weit dies ein west-slawischer Marker ist, oder bereits auf bronzezeitliche Migration zurückzuführen ist. Z282* (Peak in Weissrussland und im westlichen Russland) ist jedoch klar ein ostslawischer Marker, während sich Z293 wunderschön mit der Verbreitung indo-iranischer Sprachen einschließlich Tocharisch deckt.
Die letzten beiden Verbreitungskarten im Anhang entstammen folgender, absolut lesenswerter Publikation aus 2013. Eine für die "Urheimat"-Diskussion relevante Erkenntnis ist, dass sich der westliche ("germano-balto-slawische") und der östliche ("indo-iranisch-tocharische") Zweig im westlichen iranischen Hochland getrennt haben - grob gesagt in Kurdistan. Beim östlichen Zweig hört die Studie leider in Indien auf, wiewohl es einige archäologische (insbesondere Verbreitung der Bronzeverarbeitung ab etwa 2.000 vor Chr.) und linguistische Anzeichen gibt, dass die Expansion sich zumindest nach Burma und Südwestchina, vermutlich bis Thailand fortgesetzt hat.
European Journal of Human Genetics - The phylogenetic and geographic structure of Y-chromosome haplogroup R1a
Die erste Karte ist aus einer älteren Publikation der gleichen Autoren, zwar etwas veraltet, aber als Überblick immer noch o.k. Bemerkenswert hier ist, dass der "indo-iranische / balto-slawische" Marker R1 sich ab etwa 10.000 v. Chr., also zum Ende der letzten Eiszeit, vom Indus aus ausgebreitet hat. Damals sprachen die Jungs wohl noch nicht indo-germanisch (das hat sich ja erst 3-4.000 Jahre später entwickelt), aber so ein paar sprachliche Muster, auf die die rückwandernden Arier aufbauen konnten, dürften in Indien wohl verblieben sein.
 

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Ich habe auch nicht vor, daraus eine ernsthafte Hypothese zu entwickeln. Ich wollte nur zeigen, wie beliebig solche Hypothesen sind.

Nur deutet alles darauf hin, dass nicht primär die Slawen rissen, sondern eher Goten, Hunnen, Awaren, Bulgaren, Alanen etc., und die Slawen selbst ordentlich "mitgerissen" wurden
Jedenfalls sind die Sprachen der Goten, Hunnen, Awaren, Bulgaren, Alanen in Südosteuropa schon bald restlos untergegangen. Durchgesetzt hat sich das Slawische.

Woran man wieder mal sieht, dass sich an den Genen nicht die Sprache ihrer Träger ablesen lässt.

Andererseits sind dann letztlich doch alle Sprachen der Welt irgendwie alles das selbe...
 
Ich habe auch nicht vor, daraus eine ernsthafte Hypothese zu entwickeln. Ich wollte nur zeigen, wie beliebig solche Hypothesen sind.

Ich sehe eben auch die große Gefahr von Zirkelschlüssen, wenn man aus DNA-Verteilungen auf Wanderungen schließt, und diese dann letztendlich mit DNA-Untersuchungen belegen will.
 
Das witzige ist ja: Anlass für diesen Thread war für DerGeist ein Vorwurf der Archäologie gegenüber der Vergleichenden Sprachwissenschaft, der der akademischen Sprachwissenschaft gegenüber längst nicht mehr gerecht ist. Mittlerweile wird aber hier im Thread stellenweise genau das betrieben, was DerGeist stellvertretend für die archäologische Schule, der er sich zugehörig fühlt, der Vergleichenden Sprachwissenschaft fälscherlicherweise vorgeworfen hat.
 
Abgesehen davon ist R1a kein "Slawenmarker". Die Haplogruppe hat sich schon Jahrtausende vor den ersten Slawen verbreitet.

Es hat sicher keinen Zeitpunkt in der Geschichte gegeben, in der R1a-Haplogruppenträger und slawische Muttersprachler auch nur annähernd identisch waren.

Eine absolut korrekte Feststellung.

Ähnliche Überlegungen treffen ebenso auf Germanen, Kelten, Altaier oder andere ethnische Gruppen zu. Zwar lassen sich genetische Verwandtschaftverhältnisse vermuten, aber es gibt keine slawische oder germanische DNA.
 
Woran man wieder mal sieht, dass sich an den Genen nicht die Sprache ihrer Träger ablesen lässt.
Hier irrst Du, zumindest was Afrika angeht:
European Journal of Human Genetics - Contrasting patterns of Y chromosome and mtDNA variation in Africa: evidence for sex-biased demographic processes
To investigate associations between genetic, linguistic, and geographic variation in Africa, we type 50 Y chromosome SNPs in 1122 individuals from 40 populations representing African geographic and linguistic diversity. We compare these patterns of variation with those that emerge from a similar analysis of published mtDNA HVS1 sequences from 1918 individuals from 39 African populations. For the Y chromosome, Mantel tests reveal a strong partial correlation between genetic and linguistic distances (r=0.33, P=0.001) and no correlation between genetic and geographic distances (r=-0.08, P>0.10). In contrast, mtDNA variation is weakly correlated with both language (r=0.16, P=0.046) and geography (r=0.17, P=0.035). (..)
When Bantu speakers are removed from these analyses, the correlation with linguistic variation disappears for the Y chromosome and strengthens for mtDNA. These data suggest that patterns of differentiation and gene flow in Africa have differed for men and women in the recent evolutionary past. We infer that sex-biased rates of admixture and/or language borrowing between expanding Bantu farmers and local hunter-gatherers played an important role in influencing patterns of genetic variation during the spread of African agriculture in the last 4000 years.
Kurz gesagt: Im Rahmen der Bantu-Expansion haben die männlichen Eindringlinge ihre Gene und Sprache der weiblichen Vorbevölkerung "aufgedrückt". In den übrigen (untersuchten) afrikanischen Sprachfamilien sind mütterliche Gene und Linguistik stark korrelliert (R>0,35), männliche Gene dagegen kaum. Die Pygmäen im Kongobecken bilden Ausreisser - hier erfolgte teilweise Übernahme von Bantu-Sprachen ohne zugehörigen männlichen Gentransfer.

Natürlich gibt es keine "germanische" oder "slawische" DNA - aber es gibt genetische Marker, die in bestimmten Sprachräumen in erhöhter Konzentration auftreten, und Rückschlüsse auf die Besiedlungsgeschichte einschließlich Sprachausbreitung zulassen - oder eben für den Gegenfall, wie auf dem Balkan: Prävalenz vorantiker Gene, dennoch Slawisierung im 1. Jahrtausend.
Ich sehe eben auch die große Gefahr von Zirkelschlüssen, wenn man aus DNA-Verteilungen auf Wanderungen schließt, und diese dann letztendlich mit DNA-Untersuchungen belegen will.
Die Gefahr ist sicherlich gegeben. Im Falle der vorgenannten Studie war die Bantu-Expansion aber längst archäologisch und linguistisch erkannt und erforscht. Die Genanalyse komplementiert die Erkenntnisse und trägt zum Verständnis des Mechanismus des "Expansionserfolgs" bei.
 
Hier irrst Du, zumindest was Afrika angeht:
[...] Kurz gesagt: Im Rahmen der Bantu-Expansion haben die männlichen Eindringlinge ihre Gene und Sprache der weiblichen Vorbevölkerung "aufgedrückt". In den übrigen (untersuchten) afrikanischen Sprachfamilien sind mütterliche Gene und Linguistik stark korrelliert (R>0,35),

Würdest Du bitte die im Aufsatz zitierte Korrelation der "genetic and Linguistik distances" noch einmal inhaltlich interpretieren und erläutern?

Erläuterung: ME passt die im Aufsatz zitierte statistische Korrelation genetischer und sprachlicher "Distanzen" (ganz abgesehen von der Interpretation von r hier im Einzelfall) nicht zu der zitierten Aussage von Sepiola, dem (derzeit) nicht möglichen Rückschluss von geringen genetischen Distanzen auf Sprache. Das sind zwei paar Schuhe. Oder ich habe ein anderes Verständnis von Statistik, bzw. hier der Interpretation von Korrelationen bzw. dem zitierten Mantel-Test.

Siehe auch hier:

https://rosenberglab.stanford.edu/highlights/HighlightPNAS-CreanzaEtAl2015-PNAS.pdf
 
Zuletzt bearbeitet:
European Journal of Human Genetics - The phylogenetic and geographic structure of Y-chromosome haplogroup R1a
Die erste Karte ist aus einer älteren Publikation der gleichen Autoren, zwar etwas veraltet, aber als Überblick immer noch o.k. Bemerkenswert hier ist, dass der "indo-iranische / balto-slawische" Marker R1 sich ab etwa 10.000 v. Chr., also zum Ende der letzten Eiszeit, vom Indus aus ausgebreitet hat. Damals sprachen die Jungs wohl noch nicht indo-germanisch (das hat sich ja erst 3-4.000 Jahre später entwickelt), aber so ein paar sprachliche Muster, auf die die rückwandernden Arier aufbauen konnten, dürften in Indien wohl verblieben sein.

Vorsicht ist geboten, wenn man aus der heutigen Verteilung von Haplogruppen auf demografische Ereignisse in der Vergangenheit schließen möchte.

So schreiben die Autoren der von dir verlinkten Studie selbst: "We caution against ascribing findings from a contemporary phylogenetic cluster of a single genetic locus to a particular pre-historic demographic event, population migration, or cultural transformation."

Es müssen auf jeden Fall Untersuchungen an aDNA erfolgen und in die Betrachtung einbezogen werden (aDNA steht als Abkürzung für ancient DNA und bezeichnet in unserem Zusammenhang alte DNA, die man z.B. aus Skelettmaterial, das von archäologischen Stätten stammt, extrahiert hat).

Dir sei zur Einordnung die Lektüre folgender Veröffentlichung ans Herz gelegt: http://genetics.med.harvard.edu/reich/Reich_Lab/Welcome_files/PIIS0168952514001206.pdf

aDNA aus dem von dir genannten Bereich (Indus) ist derzeit noch nicht verfügbar und untersucht. Rückschlüsse aus der heutigen Verteilung von DNA in der Bevölkerung auf vergangene Bevölkerungsbewegungen können - wie gesagt - trügerisch sein. Die derzeit ältesten Funde von R1a und R1b stammen von osteuropäischen Jägern und Sammlern.

Letzteres steht hier, S. 5: http://biorxiv.org/content/biorxiv/early/2015/02/10/013433.full.pdf

R1 ist weder ein indo-iranischer noch balto-slawischer Marker. Die verschiedenen Untergruppen kommen weit verstreut vor. Was du mit "rückwandernden Ariern" meinst, bleibt unverständlich.
 
Würdest Du bitte die im Aufsatz zitierte Korrelation der "genetic and Linguistik distances" noch einmal inhaltlich interpretieren und erläutern?
Mir ist nicht ganz klar, wo Deine Verständnisprobleme liegen, falls ich also an Deinen Fragen vorbeiargumentiere, bitte ich um Entschuldigung.

Genetik: Zunächst wurde die genetische Varianz aller getesteten Individuen ermittelt. Sie betrug 68% bei den Männern, und 84% bei den Frauen. Innerhalb jeder geographischen Gruppe (W,N,S,O, Zentr.-Afrika) lag sie bei yDNA im Schnitt bei 26%, bei der mtDNA bei 12% - Männer waren also historisch sehr viel stärker interregional mobil als Frauen. Innerhalb jeder linguistischen Gruppe betrug die Diversität nur noch 16,6% für yDNA, d.h. die männliche genetische Homogenität innerhalb linguistischer Gruppen ist sehr viel höher als innerhalb geographischer Regionen. Bei mtDNA steigt dagegen die Diversität innerhalb linguistischer Gruppen leicht im Vergleich zu geographischen Gruppen an.

Konkret heisst das für yDNA (Hervorhebungen durch mich):
The vast majority of these lineages (98.1%) belong to five major haplogroups: A (7.1%), B (10.2%), E (70.2%), J (5.4%), and R (5.2%). Haplogroup A is closest to the root of the tree and is found most frequently in the Khoisan, particularly the A2 and A3b1 lineages (47.7%). Haplogroup B chromosomes are most frequently observed in Pygmies (48.9%), with B2a* and B2b* being nearly exclusive to this group. Haplogroup E is overwhelmingly the most common in this study. Over half of the individuals in our study (51%) are members of the subclade E3a, which is defined by the P1 mutation. Niger-Congo speakers have the highest frequency of E-P1* chromosomes (40.7%) and the largest proportion of E-M191 chromosomes (27.5%), particularly in Bantu speakers (31.5%). The E3b1 (E-M78) lineage is most frequent in Afroasiatics (22.5%). In this study, haplogroup J is concentrated in Afroasiatics (19.5%). While African haplogroup R chromosomes are generally quite rare, R-P25* chromosomes are found at remarkably high frequencies in northern Cameroon (60.7–94.7%). The remaining haplogroups (K, F*, I, and G) account for only 1.9% of the individuals in our data set.
Kurzfassung und Erläuterung: Die archaischen ("Ur-homo sapiens") Haplogruppen A und B dominieren bei Khoisan-Sprechern (A) und Pygmäen (B). E1b1a (E-V38, in der Studie noch bezeichnet als "E-P1*") korrespondiert stark mit der Verbreitung der Niger-Kongo-Sprachen (Verbreitungskarte von E-V38 mit neueren Daten angehängt), die Unterklade E-M191 ist insbesondere bei Bantu-Sprechern typisch. Über E1b1b (E-M215) als afroasiatischer, insbesondere Berber/ Kuschiten Marker hatte ich ja schon weiter oben ausführlich geschrieben, ergänzend dazu die vermutete Wanderungskarte im Anhang. Haplogruppe J hat zwar die höchste Konzentration im Ostkaukasus (92% bei Inguschen), gilt aber generell als semitischer Marker (einschl. Ashkenazi), und wird aufgrund des vermuteten ostanatolischen Ursprungs teilweise auch mit der neolithischen Expansion in Verbindung gebracht. Das afrikanische "Epizentrum" liegt im Sudan, mit Fortsetzung ins amharische Sprachgebiet sowie angrenzenden omotischen Sprachen.
Ethio Helix ???:????: Analyzing YDNA J lineages in Ethiopian linguistic groups

Korrelationsanalysen: Für die untersuchten 40 (y-DNA) bzw. 39 (mtDNA) Populationen wurden Matzitzen der jeweiligen paarweisen Differenz gebildet (also: Wolof zu Mandinka, Wolof zu Amhara, Mandinka zu Amhara, etc.)


  • genetisch (Anzahl der trennenden Mutationen, wenn ich richtig verstehe),
  • geographisch (Luftlinie, ohne weitere Berücksichtigung topographischer Barrieren - da aber die großen Seen und der kong. Regenwald in der Populationsauswahl weitgehend umgegangen wurden, ist dies wohl unkritisch)
  • Linguistisch, nach vier verschiedenen Methoden, u.a. selbst erstellter Sprachstammbaum mit Berücksichtigung vermuteter Zeiten der Sprachabspaltung, daneben ein der Fachliteratur entnommener Sprachstammbaum, und simplifizierte Versionen ohne Zeitberücksichtigung, die die ling.Distanz lediglich auf Basis der Position in den Sprachstammbäumen messen. Lt. Text ergeben sich für alle vier Versionen weitgehend die gleichen Resultate.
    Das eigenerstellte linguistische Modell stammte von Christopher Ehret - dem "Papst" für Nilo-saharische und Khoisan-Sprachen. Der Studienanhang mit Kurzdarstellung ist inzwischen offline, aber allzuweit dürfte das Modell nicht von Ehrets sonstigen (absolut lesenswerten) Publikationen abgewichen haben:
    https://books.google.de/books?id=0K...v=onepage&q=Christopher Ehret Khoisan&f=false
Auf diese Matrizen wurden Korrelationsanalysen angewandt, die für yDNA eine statistisch signifikante Korrelation zwischen linguistischer und genetischer Distanz zeigten, d.h. je näher sich zwei Populationen linguistisch stehen, desto näher sind sie auch genetisch. Für die geographische Distanz konnte kein entsprechender Zusammenhang nachgewiesen werden. Bei der mtDNA wird die genetische Distanz in jeweils gleichem Maß durch linguistische und geographische Distanz bestimmt.
Ohne die Bantu-Populationen verschwindet die genetisch-linguistische Korrelation bei der yDNA. Wenn zusätzlich auch noch vier Populationen aus Nordkamerun, die stark durch die eurasische yDNA Haplogruppe R1b geprägt sind, aus der Betrachtung genommen wird, erscheint eine statistisch signifikante Korrelation zwischen genetischer und geographischer Distanz. Bei der mtDNA führt die Elimination der Bantu-Populationen zu einem leichten Anstieg der linguistischen, und zu einem starken Anstieg der geographischen Korrelation. Schliesslich wurde innerhalb jeder Region die genetische Diversität einschliesslich, und ohne Bantu-Völker gemessen:
Unlike the case for any other language family, the removal of Bantu populations results in a higher Y chromosome CT (0.28) than when they are included (0.06). This supports the hypothesis that Bantu Y chromosomes (eg E-P1*, E-M191) are acting to homogenize geographically differentiated populations. A similar analysis of mtDNA results in slightly higher CT value when the Bantu populations are excluded (0.07 versus 0.04).
Schlussfolgerungen:

  1. Ohne Bantu und nordkamerunische, genetisch stark eurasisch gefärbte Völker lassen sich 27% der yDNA-Unterschiede zwischen jeweils zwei afrikanischen Völkern auf ihre geographische Distanz zurückführen. Bei der mtDNA sind es über 35%.
    Linguistische Distanz spielt für die yDNA keine signifikante Rolle, erklärt aber 25% der mtDNA genetischen Distanz.
    Das dominierende Muster ist also Matrilokalität, mit starker "Einheiratung" über linguistische Grenzen hinweg, aber Weitergabe der mütterlichen Sprache.
  2. Unter Einschluss von Bantu und nordkamerunischen Völkern verkehrt sich das Bild. Jetzt erklärt linguistische Distanz 33% der y-DNA Variation, geographische Distanz wird insignifikant. Gleichzeitig sinkt die innerregionale genetische Varianz stark - Bantu-Männer haben also vomals geographisch differenzierte Populationen homogenisiert, was wohl auch die deutlich geringere afrikaweite Varianz der y-DNA im Vergleich zur mtDNA erklärt.
    Der Effekt zeigt sich, allerdings in deutlich gemindertem Ausmass, auch bei der mtDNA, die nun nur noch zu jeweils etwa 17% durch geographische und linguistische Distanz erklärbar ist.
    D.h., auch die Bantu haben vielfach von aussen eingeheiratet, jedoch diese Frauen häufig auf ihre Wanderung mitgenommen, und generell die väterliche Sprache gemeinsam mit den väterlichen Genen weitergegeben.
Vermutlich wiesen die Bantu schon zu Beginn ihrer Wanderung nicht nur eine yDNA-Haplogruppe auf. Bei ihnen fand sich aber überdurchschnittlich viel E1b1a, insbesondere die Unter-Klade E-M191, und dieser "Bantu-Marker" erlaubt es, ihre Wanderungen geographisch nachzuvollziehen.
 

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Vorsicht ist geboten, wenn man aus der heutigen Verteilung von Haplogruppen auf demografische Ereignisse in der Vergangenheit schließen möchte.
Grundsätzlich richtig. Im von Dir angesprochenen Fall - Ausbreitungsgeschichte von R1a - basiert die Karte (Inset unten links) jedoch nicht auf der heutigen Verbreitung, sondern auf der regionalen genetischen Diversität bzw. dem Vorkommen basaler Formen, also ohne späterere Mutationen und Aufspaltung in Untergruppen. Diese Methode ist für die Identifikation von genetischen "Urheimaten" allgemein gebräuchlich.

Auf dem gleichen Weg kommen die Autoren der von mir verlinkten Studie auch zur Feststellung, die in den weiteren Karten gezeigte Aufspaltung von R1a in einen westlichen und einen östlichen Zweig sei etwa um 4.000 v. Chr. in Ostanatolien " in the vicinity of present-day Iran" erfolgt.
Die Studie führt dann u.a. aus:
"To put our frequency distribution maps, PCA analyses, and autocorrelation results in archaeological context, we note that the earliest R1a lineages (genotyped at just SRY10381.2) found thus far in European ancient DNA date to 4600 years before present (YBP), a time corresponding to the Corded Ware Culture (..) This raises the possibility of a wide and rapid spread of R1a-Z282-related lineages being associated with prevalent Copper and Early Bronze Age societies that ranged from the Rhine River in the west to the Volga River in the east including the Bronze Age Proto-Slavic culture that arose in Central Europe near the Vistula River (..) The corresponding diversification in the Middle East and South Asia is more obscure. However, early urbanization within the Indus Valley also occurred at this time and the geographic distribution of R1a-M780 (Figure 3d) may reflect this."
Die "proto-slawische Kultur an der Weichsel" (um 2.600 v. Chr) ist so offensichtlicher Schwachsinn, dass es bei einem so renommieren Forscher wie Underhill eigentlich nur einen Grund für das Wörtchen "Slavic" geben kann..
Für die östliche Verteilung, insbesondere in Zentralasien, fällt die hohe Korrelation mit bekannten Zentren des frühbronzezeitlichen Kupfer-und Zinnbergbaus auf. Das Bergbaumuseum Bochum hat da intensiv geforscht, bei Interesse könnte ich entsprechende Links raussuchen. Das "Indogermanen und Bronze"-Thema ist ja nicht ganz neu, und überzeugt mich auch mehr als die "Pferd und Wagen"-Geschichte (insbesondere vor dem Hintergrund, dass die ersten Wagenspuren in Flintbek bei Kiel gefunden wurden und der Trichterbecherkultur zuzuordnen sind, die ansonsten nicht gerade zu den heissen Anwärtern früher Indoeuropäisierung zählt).
Es müssen auf jeden Fall Untersuchungen an aDNA erfolgen und in die Betrachtung einbezogen werden
Klar, hat die verlinkte Studie ja auch gemacht, wie das obige Zitat zeigt. Eine umfassende, und laufend aktualisierte Darstellung aller Bestimmungen von aDNA findet sich hier: Ancient Eurasian DNA of the Copper and Bronze Ages [Schau Dir mal auf der "Silk-Road"-Seite die aDNA aus Xinjang, China an - 100% R1a. Was, bitte, sollen die ursprünglich aus dem Iran kommenden Jungs dort denn wohl gesprochen haben, wenn nicht Tocharisch?].
aDNA aus dem von dir genannten Bereich (Indus) ist derzeit noch nicht verfügbar und untersucht. Rückschlüsse aus der heutigen Verteilung von DNA in der Bevölkerung auf vergangene Bevölkerungsbewegungen können - wie gesagt - trügerisch sein. Die derzeit ältesten Funde von R1a und R1b stammen von osteuropäischen Jägern und Sammlern.

Letzteres steht hier, S. 5: http://biorxiv.org/content/biorxiv/early/2015/02/10/013433.full.pdf
Zu der Studie wollte ich sowieso noch kommen. Haak ist grundsätzlich super - seine vorangegangene Studie (mit P. Brotherton) zu neolithischer mtDNA H war bahnbrechend, zeigte sie doch für Mitteleuropa (primär Elbe-Saale-Raum) massive Bevölkerungsumbrüche von Bandkeramik zu Rössen/ Lengyel, dann erneut mit dem genetischen Wiedererstarken der nordeuropäischen Jäger und Sammler in der Trichterbecherkultur, und im Endeffekt das fast völlige Aussterben der ersten mitteleuropäischen Neolithiker auf..Allgemein irritiert hat jedoch die Aussage dort im Abstract, um 4.000 v. Chr. sei die heutige mitteleuropäische genetische Struktur schon weitgehend geschaffen worden.
Neolithic mitochondrial haplogroup H genomes and the genetic origins of Europeans
In der von Dir verlinkten Studie behauptet er nun, nur ein Jahr später, vehement das Gegenteil, und zieht - auf sehr begrenzter Datenbasis - aus meiner Sicht teils voreilige, teils unfundierte Schlussfolgerungen.
Zu den Befunden im einzelnen (vgl. Table 2 bei Haak m Anhang, sowie meinen Link weiter oben):

R1a:

  • ca. 5.200 BC, Karelien, Russland, mesolith. [R1a1, basal, entstanden vor iran. O-W-Aufspaltung, heute nur dokumentiert in Iran/ Türkei/ Kaukasus]
  • ca. 2.600 BC, Eulau, Deutschland, Schnurkeramik [3 Funde, Vater und Söhne, R1a1, basal oder zu degen. für weitere Analyse]
  • ca. 2.400 BC, Espenstedt, Deutschland, Schnurkeramik [R1a1a1, basal, vor iran. O-W-Aufspaltung]
  • ca. 1.600 BC, Solenoozernaïa, Krasnoyarsk, Russland, Andronovo-Kultur [nur bestimmt auf basal R1a1a]
  • ca. 1.600 BC, Oust-Abakansty, Khakassia, Russland Andronovo-Kultur [nur bestimmt auf basal R1a1a]
  • ca. 1.100 BC, Halberstadt, Deutschland, Urnenfelder-Kultur ["balto-slaw."-Zweig, Z-280]
Hier gibt es im Grunde nichts Neues (Eulau, Espenstedt und die Andronovo-Kultur-Funde waren schon länger bekannt), ausser dem mesolithischen Fund aus Karelien. Der zeigt frühe Präsenz von R1 in NO-Europa an, allerdings in einer (erwartungsgemäß) basalen Form, und hat wohl wenig mit späteren Migrationen aus Ostanatolien/ Iran in die pontische Steppe und weiter zu tun.

R1b:


  • ca. 5.300 BC, Derenburg, Deutschland, Bandkeramik [degeneriert, nur als P* ("Vatergruppe" von R) identifizierbar]
  • ca. 5.250 BC, Samara, Russland, mesolith. Jäger/ Sammler
  • ca. 5.100 BC, Els Trocs, Katalonien, Spanien (neol.) [2 Funde, lt. Haak Verwandte, zweiter Fund nur als yDNA P* markiert]
  • ca. 5.000 BC, Derenburg, Deutschland, Bandkeramik [degeneriert, nur als P* identifizierbar]
  • ca. 3.800 BC, Espenstedt, Deutschland, Baalberge-Kultur [degeneriert, nur als P* identifizierbar]
  • ca. 3.500 BC, Quedlinburg, Deutschland, Baalberge-Kultur [degeneriert, nur als R* identifizierbar]
  • ca. 3.200 BC, Samara, Russland, Yamnaya-Kultur
  • ca. 3.100 BC, Samara, Russland, Yamnaya-Kultur
  • ca. 3.100 BC, Samara, Russland, Yamnaya-Kultur
  • ca. 3.100 BC, Samara, Russland, Yamnaya-Kultur
  • ca. 3.000 BC, Ishkinova/ Orenburg, Russland, Yamnaya-Kultur
  • ca. 2.900 BC, Samara, Russland, Yamnaya-Kultur
  • ca. 2.800 BC, Samara, Russland, Yamnaya-Kultur
  • ca. 2.550 BC, Kromsdorf, Deutschland, Glockenbecher-Kultur [2 Funde, mögl.verwandt]
  • ca. 2.250 BC, Quedlinburg, Deutschland, Glockenbecher-Kultur
Das ist schon spannender - nicht so sehr der Jäger und Sammler aus Samara, sondern vor allem der spanische Neolithiker (der übrigens, bei der weiten Datierungsspanne der Samara aDNA, durchaus älter als diese sein mag). Bis jetzt hatten sich alle gefragt, wie es die vermuteten R1b-Indogermanen von der pontischen Steppe aus geschafft haben, die genetisch dominierende Haplogruppe am Atlantik zu werden (u.a. i90% in Wales, 88% bei Basken). Nun wissen wir, dass sie gar nicht aus der Steppe, sondern per Schiff aus Kleinasien kamen, und wohlmöglich auch gar keine Indogermanen waren (die Basken sind es ja heute noch nicht). Unterwegs sammelten die Els Trocs-Leute auch noch die Haplogruppe I2a1b1 an der dalmatischen Küste auf, was Haaks Anhang ebenfalls zeigt, er aber nicht weiter erwähnenswert findet.
Es wäre schön gewesen, wenn er versucht hätte, der stark degenerierten Bandkeramiker yDNA aus dem Elbe-Saale-Raum noch ein paar mehr Informationen zu entlocken, ob sie nun R1a oder R1b enthält - so bleiben nur Mutmaßungen (meine ist der tabellarischen Zuordnung entnehmbar).
Neu ist die Erkenntnis, dass die Yamnaia-Kultur offenbar stark durch R1b geprägt war, jedoch dort bislang die erwarte R1a yDNA-nicht augeftaucht. Das macht es aus meiner Sicht doch relativ unwahrscheinlich, dass die Schnurkeramiker von der Yamnaya-Kultur aus mit R1a beglückt, und in Folge indogermanisiert wurden.

Nimmt man alles zusammen:

  1. R1b-Ausbreitung nach Westeuropa durch die mediterrane, maritime neolithische Expansion, nicht durch die Steppe,
  2. Verwurzelung von R1a in Ostanatolien,
  3. Bislang kein Nachweis für R1a-Präsenz in der Yamnaya-Kultur, womit diese auch als Erklärung für das erstmalige Auftauchen dieser Haplogruppe bei den Schnurkeramiken fragwürdig wird,und
  4. Klare Ost-West-Trennung der jüngeren R1a-Untergruppen, ohne Überlappung nördlich des kaspischen Meers
halte ich die Kurgan-Theorie für genanalytisch widerlegt. Dass es um Renfrews anatolische Theorie kaum besser steht, weil die Bandkeramiker spätestens um 4.000 v. Chr. ausstarben, macht die Sache nicht einfacher. "Gehen Sie zurück auf Los, ziehen sie keine 4.000 Euro ein".
Was du mit "rückwandernden Ariern" meinst, bleibt unverständlich.
War tendenziell ein lautes Selbstgespräch angesichts des obigen Befunds. Noch sehr ins unreine gesprochen, erwäge ich folgendes Szenario:
- Proto-proto-indogermanisch existiert/ bildet sich im Indusraum, ist auch Ausgangspunkt der drawidischen Sprachen
- postglaziale Expansion nach Iran / Ostanatolien (grundsätzlich für Haplogruppe R1a genetisch belegt)
- dort Herausbildung des proto-Indogermanischen im Sprachkontakt mit afroasiatischen (akkadisch) und kaukasischen Sprachen
- ggfs, aber dann in begrenztem Umfang, Teilname an der neolithischen Expansion,
- Spezialisierung auf die Ausbeutung ostanatolischer Zinnvorkommen, ggfs. auch Teil/ Träger der Kura-Araxes-Kultur (Bronzeverarbeitung in Kleinasien nach neuen archäol. Befunden aus Israel bereits im 7.Jtsd. v.Chr.)
- Nach Erschöpfung ostanatolischer Zinnvorkommen Migration zu neuen Quellen, insbesondere Altai, Zentralasien, und den Ganges entlang Richtung Yünnan (Ostzweig), nach (Nord-)Westen hin zunächst Donauraum und Ural, dann weiter Richtung Alpen und Erzgebirge (Badener Kultur)
- "Rückkehr" nach Indien dadurch erleichtert, dass dortige dravid. Sprachen auf der selben Proto-Sprache basieren.
Out-of-India-Theorie ? Wikipedia
Kura?Araxes culture - Wikipedia, the free encyclopedia
Vin?a-Kultur ? Wikipedia
Badener Kultur ? Wikipedia

Dir sei zur Einordnung die Lektüre folgender Veröffentlichung ans Herz gelegt: http://genetics.med.harvard.edu/reich/Reich_Lab/Welcome_files/PIIS0168952514001206.pdf
Danke für den schönen Link. Habe ihn überflogen, muss ihn aber noch mal in Ruhe lesen, gerade auch im Hinblick auf die vorskizzierten "Arbeitshypothesen".
 
Hier irrst Du, zumindest was Afrika angeht:

Sprache und Genetik sind zwei völlig verschiedene Dinge. Obama müsste demnach einen afrikanischen Stammesdialekt sprechen.

Zwar können genetische Verwandtschaft und Sprache zusammenfallen, doch gibt es da keine Zwangsläufigkeit. Biologie ist nicht an Sprache gebunden.
 
Die neusten genetischen Ergebnisse alter DNA

Eight thousand years of natural selection in Europe - Eight thousand years of natural selection in Europe | bioRxiv - mit PDF

Interessant, dass laut dieser Arbeit bei der Yamnaya Kultur in der Zeit von 3.300 - 2.700 v.Chr. der Polymorphismus C/T-13910 des LCT Gens (Gen: MCM6, Chromosom: 2, SNP: rs4988235), also das Allel 13910*T für Laktosetoleranz (Laktasepersistenz), nicht vorkommt, während es, dessen Ausbreitung so gut mit der Ausbreitung der Indoeuropäer zusammen passt, zu dieser Zeit schon in Schweden (Malmström) und Spanien (Plantinga) vorkommt.
 
Zuletzt bearbeitet:
Interessant, dass laut dieser Arbeit bei der Yamnaya Kultur in der Zeit von 3.300 - 2.700 v.Chr. der Polymorphismus C/T-13910 des LCT Gens (Gen: MCM6, Chromosom: 2, SNP: rs4988235), also das Allel 13910*T für Laktosetoleranz (Laktasepersistenz), nicht vorkommt, während es, dessen Ausbreitung so gut mit der Ausbreitung der Indoeuropäer zusammen passt, zu dieser Zeit schon in Schweden (Malmström) und Spanien (Plantinga) vorkommt.

Und was soll uns das nun sagen? :grübel:
 
Deshalb.
www.biomedcentral.com - Figure
http://www.google.de/url?sa=t&rct=j...WTtSf9DP7X2lOyQkqUaj6JA&bvm=bv.92885102,d.bGQ

Ich will damit nicht sagen, dass die ersten Menschen mit dieser Mutation Indogermanen waren, allerdings scheint sich diese Mutation mit der Ausbreitung der indogermanischen Sprachen ausgebreitet zu haben.
Statt einen Ausgangspunkt in Europa anzunehmen läge es doch näher, diese halbnomadischen Immigranten etwa nöördlich des Kaspischen und Schwarzen Meers zu verorten.
Aber es lässt sich nunmal nicht abstreiten, dass alle, die die LCT-13.910 C/T-Mutation, tragen einen gemeinsamen Vorfahren haben, und nach heutigem Kenntnissstand kommt dieser aus Zentraleuropa.

The allele associated with lactase persistence was found in 50% of the farmer samples and in 10% of the hunter-gatherer samples.
Our data suggests that the frequency of the allele linked to lactase persistence in the investigated farmer population was, already 5 500 years ago, closer to modern Swedish frequencies than to those seen in the contemporary hunter-gatherers.
Helena Malmström - Ancient DNA as a Means to Investigate the European Neolithic - Dissertation 2007
http://www.google.de/url?sa=t&rct=j...6GADtoYptTvarOYidTW2BwA&bvm=bv.92765956,d.bGQ
 
Woran man wieder mal sieht, dass sich an den Genen nicht die Sprache ihrer Träger ablesen lässt.
Hier irrst Du, zumindest was Afrika angeht:
Das ist doch auch in Afrika nicht anders.

Um mal eine besonders starke Korrelation herauszugreifen:
40% der Sprecher einer Niger-Kongo-Sprache tragen den Marker E-P1*, 60% tragen ihn nicht.
Was besagt das über einen Träger des Markers E-P1*? Spricht er nun eine Niger-Kongo-Sprache oder nicht?
 
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